BSG Urteil v. - B 13 RJ 31/05 R

Leitsatz

Die Behebung einer rentenberechtigenden Leistungsminderung ist nicht unwahrscheinlich mit der Folge, dass ausnahmsweise Rente wegen Erwerbsminderung als Dauerrente zu gewähren wäre, solange die therapeutischen Behandlungsmöglichkeiten nicht ausgeschöpft sind. Hierzu zählen alle anerkannten Behandlungsmethoden, auch geläufige Operationen, die zur Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit führen können, soweit nicht aus dem Gesundheitszustand des Versicherten abzuleitende spezifische Kontraindikationen entgegenstehen.

Gesetze: SGB VI F: § 43; SGB VI F: § 102 Abs 2 S 1; SGB VI F: § 102 Abs 2 S 4; SGB VI F: § 102 Abs 2 S 1 Nr 1; RVO § 1276; RRErwerbG; SGB I § 65

Instanzenzug: SG Frankfurt am Main S 16 RJ 3526/03 vom LSG Darmstadt L 2 RJ 191/04 vom

Gründe

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin unbefristete Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit anstelle der ihr gewährten Rente auf Zeit zusteht.

Der 1950 geborenen Klägerin ist aufgrund eines 1977 erlittenen Wegeunfalls, bei dem sie sich eine ausgeprägte Schädigung des linken Kniegelenks zuzog, eine unfallversicherungsrechtliche Minderung der Erwerbsfähigkeit um 30 vH zuerkannt worden. Auf ihren im Juni 2002 gestellten Rentenantrag bewilligte die Beklagte ihr nach sozialmedizinischer Untersuchung durch Frau Dr. K. mit Bescheid vom (Neufeststellungsbescheid vom ) in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung beginnend ab (Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen ab ), weil es nach den medizinischen Untersuchungsbefunden nicht unwahrscheinlich sei, dass die volle Erwerbsminderung - gegebenenfalls nach Implantation einer Kniegelenksendoprothese - behoben werden könne.

Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte zur Gewährung unbefristeter Rente seit dem verurteilt, weil die Behebung der Erwerbsminderung bei der Klägerin unwahrscheinlich sei. Die Knie-Kunstgelenk-Implantation sei ein mit Risiken verbundener Eingriff und daher nicht duldungspflichtig. Der Entschluss der Klägerin, den Eingriff nicht vornehmen zu lassen, sei deshalb zu respektieren (Urteil vom ).

Das Landessozialgericht (LSG) hat das Urteil des SG aufgehoben und die Klage "auch" gegen den am erlassenen Neufeststellungsbescheid der Beklagten abgewiesen (Urteil vom ). Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Zwar sei das Leistungsvermögen der Klägerin infolge der Verschleißerscheinungen im linken Kniegelenk und der damit einhergehenden Schmerzen seit März 2002 so weit herabgesetzt, dass sie nicht mehr mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig sein könne. Nach Auskunft des Chirurgen Dr. S. vom sei eine Besserung der Leistungsfähigkeit der Klägerin bei allen Unwägbarkeiten des perioperativen bzw postoperativen Behandlungsverlaufs bei Einbringung eines Kniegelenksimplantats "eher nicht unwahrscheinlich". Da diese Situation bereits bei Rentenfeststellung durch die Beklagte bestanden habe, habe diese zu Recht keine unbefristete Rente wegen Erwerbsminderung bewilligt; eine Behebung der Erwerbsminderung sei nicht unwahrscheinlich iS des § 102 Abs 2 Satz 1 iVm Satz 4 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI). Es könne eine Besserung nicht ausgeschlossen werden, die zu einer rentenrelevanten Steigerung der Leistungsfähigkeit führe. Auch wenn die Operation nicht duldungspflichtig sei und zu einem späteren Zeitpunkt durchgeführt werden solle, müsse sich die Klägerin bezüglich einer Besserung ihres Leistungsvermögens auch auf die Einbringung eines Kniegelenksimplantats verweisen lassen. Das Gesetz stelle nicht auf eine Zumutbarkeit oder Duldungspflicht eines medizinischen Eingriffs ab.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts (§ 102 Abs 2 Satz 4 SGB VI). Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor: Bei einem Vergleich des § 102 Abs 2 Satz 4 SGB VI neuer Fassung (nF) mit dem alten Recht, wonach Rente zeitlich begrenzt zu leisten gewesen sei, wenn die "begründete Aussicht" auf eine Behebung der Minderung der Erwerbsfähigkeit in absehbarer Zeit bestanden habe, müsse das Tatbestandsmerkmal "unwahrscheinlich" im neuen Recht dahingehend ausgelegt werden, dass eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine Behebung der Leistungsminderung nicht bestehe. Anderenfalls verwische der Unterschied zwischen den Wortbedeutungen "unwahrscheinlich" und "ausgeschlossen". Geringe Heilungschancen - zumal nach nicht duldungspflichtiger Operation - dürften in die Wertung der Wahrscheinlichkeit bzw Unwahrscheinlichkeit der Wiederherstellung des Leistungsvermögens nicht einbezogen werden. Die vom Gesetz verlangte negative Prognoseentscheidung stelle vielmehr darauf ab, ob die Behebung der Erwerbsminderung bei vernünftiger Würdigung aller Umstände in Betracht gezogen werden könne. Eine solche Würdigung führe bei ihr, der Klägerin, dazu, dass eine Wahrscheinlichkeit der Behebung der Leistungsminderung nicht bestehe; denn es bestünden schwerwiegende medizinische Gründe (Operationsrisiken) gegen die Durchführung der Kunst-Kniegelenks-Implantation. Als Verletzung "weiteren materiellen Rechts" rügt sie, das LSG habe die Funktion eines Sachverständigen verkannt, der dem Gericht allein Fachwissen zur Beurteilung von Tatsachen vermittele und Schlussfolgerungen ziehe; demgegenüber habe das LSG in seiner Anfrage an Dr. S. diesen um seine Einschätzung gebeten, ob das Tatbestandsmerkmal "unwahrscheinlich" vorliege; dieser Rechtsbegriff sei aber allein vom Gericht auszulegen. Der Sachverständige Dr. S. habe aufgrund seiner ergänzenden Stellungnahme vom , mit der dieser seine Auffassung nicht nur präzisiert, sondern aufgrund der fehlerhaften Fragestellung inhaltlich geändert habe, zum Termin zur mündlichen Verhandlung geladen werden müssen. In diesem Termin hätte sie, die Klägerin, Dr. S. dazu befragt, ob mit einer Wahrscheinlichkeit von 60 %, 70 %, 80 % oder 90 % mit einer Besserung ihres Gesundheitszustands nach Durchführung der Operation zu rechnen sei.

Die Klägerin beantragt (sinngemäß),

das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das vorinstanzliche Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einverstanden erklärt.

II

Aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs 2 SGG hat der Senat ohne mündliche Verhandlung entschieden.

Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet. Das LSG hat im angefochtenen Urteil die erstinstanzliche Entscheidung, mit der der Klägerin unbefristete Rente zugesprochen worden ist, im Ergebnis zu Recht aufgehoben, weil die Beklagte im angefochtenen Bescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom zutreffend festgestellt hat, dass nur die Voraussetzungen einer befristeten Rente wegen voller Erwerbsminderung erfüllt sind. Dass das LSG zusätzlich ("auch") die Klage gegen den Bescheid vom abgewiesen hat, ist unschädlich; dieser Bescheid ist gemäß § 86 SGG Gegenstand des Widerspruchsverfahrens geworden und wird daher vom zurückweisenden Widerspruchsbescheid der Beklagten vom mit umfasst.

Streitgegenstand ist allein die Frage, ob die Klägerin ab April 2002 (nicht, wovon das LSG ausgeht, ab ) nach dem Eintritt des Leistungsfalls im März 2002 Anspruch auf unbefristete Rente wegen voller Erwerbsminderung hat oder ob die Beklagte die Rentenleistung - mit der Folge des Rentenbeginns erst am (§ 101 Abs 1 SGB VI) - befristen durfte. Die Leistungsminderung als solche als Voraussetzung für die Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung (§ 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI) ist zwischen den Beteiligten unstreitig.

Gemäß § 102 Abs 2 Satz 1 SGB VI in der hier anwendbaren Fassung (der Bekanntmachung vom , BGBl I 754, Text insoweit unverändert seit dem Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit <RRErwerbG> vom , BGBl I 1827, in Kraft getreten am ), werden Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit auf Zeit geleistet. Nach Satz 4 dieser Vorschrift werden solche Renten, auf die ein Anspruch unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage besteht, nur dann unbefristet geleistet, wenn unwahrscheinlich ist, dass die Erwerbsminderung behoben werden kann; hiervon ist nach einer Gesamtdauer der Befristung von neun Jahren auszugehen.

Eine solche Ausnahme vom Regelfall der Gewährung der Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nur auf Zeit liegt bei der Klägerin nicht vor. Denn es ist nicht "unwahrscheinlich", dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit bei ihr behoben werden kann. Zutreffend hat das LSG im angefochtenen Urteil ausgeführt, dass die Frage der Wahrscheinlichkeit der Beseitigung einer Leistungsminderung vom Versicherungsträger bei Bescheiderteilung prognostisch zu beurteilen ist und dass es bei ihrer Beantwortung nicht auf die Duldungspflicht einer möglicherweise durchzuführenden Operation ankommt, sondern auf die Besserungsaussichten unter Berücksichtigung aller vorhandenen therapeutischen Möglichkeiten.

Nach den Feststellungen des LSG sind die Gesundheitsstörungen der Klägerin, die zur Aufhebung ihrer Leistungsfähigkeit führen, einer weiteren Behandlung zugänglich, so dass von einer auf Dauer aufgehobenen Leistungsfähigkeit im Zeitpunkt der Bescheiderteilung durch die Beklagte (zum Zeitpunkt der Beurteilung bei Überprüfung einer Rechtmäßigkeit einer Prognoseentscheidung bei befristeten Renten wegen Berufs- bzw Erwerbsunfähigkeit eingehend: BSGE 53, 100, 102 = SozR 2200 § 1276 Nr 6 mwN; vgl auch - SozR 3-2200 § 1276 Nr 3 und 8 RKn 6/91 - veröffentlicht bei Juris) nicht ausgegangen werden kann.

Das bis zum geltende Recht (§ 102 Abs 2 Nr 1 SGB VI alter Fassung <aF>; entsprechend bereits § 1276 der Reichsversicherungsordnung <RVO>) kannte den Begriff "unwahrscheinlich" nicht. Bis zu diesem Zeitpunkt wurde die Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit in der Regel als unbefristete Rente gewährt. Zeitlich begrenzt wurde sie lediglich dann geleistet, wenn "begründete Aussicht" bestand, dass die Erwerbsminderung in absehbarer Zeit behoben sein würde. Dies verstand die Rechtsprechung des BSG als Wahrscheinlichkeit der Behebung der Berufs- bzw Erwerbsunfähigkeit (BSGE 53, 100 = SozR 2200 § 1276 Nr 6).

Seit dem (Inkrafttreten des RRErwerbG) hingegen hat der Gesetzgeber - wie bereits im Rentenreformgesetz 1999 vom (RRG 1999; BGBl I 2998) vorgesehen - das bisherige Regel-Ausnahme-Verhältnis von unbefristeten und befristeten Renten umgedreht. In bewusster und gewollter Abkehr vom alten Recht werden Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach § 102 Abs 2 Satz 1 SGB VI nF regelmäßig nur noch auf Zeit geleistet. Daher war auch die Ausnahme von diesem Grundsatz umgekehrt zu formulieren; sie setzt nunmehr voraus, dass "unwahrscheinlich" ist, dass die Erwerbsminderung behoben werden kann (so bereits § 102 Abs 2 Satz 4 SGB VI idF des RRG 1999; siehe BT-Drucks 13/8671 S 26, 118).

Die Neuregelung der Gewährung befristeter Renten ordnet sich in die weiteren Änderungen durch das RRErwerbG mit dem Ziel einer finanziellen Entlastung der gesetzlichen Rentenversicherung ein. Werden mehr Zeit- statt Dauerrenten gewährt, entfällt für die Rentenversicherung nicht nur die Pflicht zur Rentenzahlung während der ersten sechs Monate nach dem Eintritt der Erwerbsminderung (§ 101 Abs 1 SGB VI); es sind auch der Gesundheitszustand und die weitere Rentenberechtigung in deutlich mehr Fällen als zuvor zu überprüfen (vgl Schleicher, BArbBl 2/1998, 25, 33 zum RRG 1999). Überdies werden für diese Neuordnung psychologische Gründe angeführt, weil bei befristeten Renten die Gefahr geringer sei, dass sich ein Leistungsberechtigter dauerhaft auf die Situation als "Rentner" einrichte und die Motivation zur Rückkehr in das Erwerbsleben verliere (so: Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, Handbuch der Rentenversicherung, RdNr 18 zu § 102 SGB VI, Stand Mai 2001; zum Ziel der "baldigen Wiedereingliederung" und dem Entgegenwirken eines "Rentendenken" durch Zeitrente auch nach altem Recht vgl jedoch BSGE 53, 100, 105 = SozR 2200 § 1276 Nr 6 S 14).

Vor diesem Hintergrund handelt es sich bei der Neuordnung auch des § 102 SGB VI durch das RRErwerbG nicht um marginale inhaltliche Änderungen, sondern um eine komplette Umgestaltung, deren Auswirkungen allenfalls - rechtstatsächlich - dadurch begrenzt werden, dass der Eintritt vollständiger Erwerbsminderung regelmäßig auf progredienten gesundheitlichen Beeinträchtigungen beruhen wird, die eine Besserung des Leistungsvermögens in der Zukunft zumeist nicht mehr erwarten lassen (Lange, rv 2004, 25, 32; Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, aaO).

Entgegen der Auffassung der Klägerin kann schon nach der gesetzlichen Ausgangslage der Begriff "unwahrscheinlich" in § 102 Abs 2 Satz 4 SGB VI nicht iS des § 102 Abs 1 Nr 1 SGB VI aF gelesen werden, dass eine "begründete Aussicht" auf Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit auch nach neuem Recht Voraussetzung für die Gewährung der zeitlich befristeten Rente wäre. Vielmehr handelt es sich bei dem Tatbestandsmerkmal "unwahrscheinlich" um ein völliges Novum (vgl Majerski-Pahlen, NZS 2002, 475 ff, 478). Die Behebung der Leistungsminderung muss zudem - im Gegensatz zur bisherigen Rechtslage - nicht "in absehbarer Zeit" wahrscheinlich sein. Mithin kann auch die bisherige Rechtsprechung des BSG (vgl - BSGE 53, 100 = SozR 2200 § 1276 Nr 6), wonach die Behebung der Erwerbsminderung innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren wahrscheinlich sein muss, zur Auslegung des Merkmals "unwahrscheinlich" nicht - auch nicht im Umkehrschluss - herangezogen werden (so auch: Bayerlein, Bönisch ua, MittLVA Oberfr 2001, 10, 69). Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit der Behebung der Leistungsminderung ist gerade nicht erforderlich; Unsicherheiten der Prognose gehen zu Lasten des Versicherten, wobei allerdings sowohl Rentenversicherungsträger als auch Sozialgerichte nach dem Amtsermittlungsgrundsatz (§ 20 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch; § 103 SGG) weiterhin gehalten sind, den Sachverhalt erschöpfend aufzuklären.

"Unwahrscheinlich" iS des § 102 Abs 2 Satz 4 SGB VI ist vielmehr dahingehend zu verstehen, dass schwerwiegende medizinische Gründe gegen eine - rentenrechtlich relevante - Besserungsaussicht sprechen müssen, so dass ein Dauerzustand vorliegt (vgl Majerski-Pahlen, aaO; ebenso Jörg in Kreikebohm, SGB VI, 2. Aufl 2003, RdNr 5 zu § 102). Von solchen Gründen kann jedoch erst dann ausgegangen werden, wenn alle Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind und auch hiernach ein aufgehobenes Leistungsvermögen besteht. Daher liegt es nahe, Unwahrscheinlichkeit iS des § 102 Abs 2 Satz 4 SGB VI nF dann anzunehmen, wenn aus ärztlicher Sicht bei Betrachtung des bisherigen Verlaufs nach medizinischen Erkenntnissen - auch unter Berücksichtigung noch vorhandener therapeutischer Möglichkeiten - eine Besserung nicht anzunehmen ist, durch welche sich eine rentenrechtlich relevante Steigerung der Leistungsfähigkeit des Versicherten ergeben würde. Rein vom Wortsinn kann es allerdings nicht darauf ankommen, ob - wie das LSG (ähnlich auch VerbKomm, Anm 5 zu § 102 SGB VI, Stand April 2003; Bayerlein, Bönisch ua, aaO) meint - eine solche Besserung "auszuschließen" ist (wie hier bereits das SG; vgl ferner Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, Handbuch der Rentenversicherung, RdNr 18 zu § 102 SGB VI; Stand Mai 2001). Erheblich ist allein, dass alle therapeutischen Möglichkeiten in Betracht gezogen werden müssen, um ein qualitatives oder quantitatives Leistungshindernis zu beheben.

Diese schließen alle Therapiemöglichkeiten nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse (vgl § 2 Abs 1 Satz 3 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch <SGB V>) ein, also auch Operationen. Dies gilt unabhängig davon, ob diese duldungspflichtig sind. Denn die Frage der Duldungspflicht stellt sich allein im Bereich der Mitwirkungsobliegenheiten des Versicherten (§§ 60 ff des Ersten Buches Sozialgesetzbuch <SGB I>). Ist ein Eingriff nicht duldungspflichtig, stellt dies zumindest einen "wichtigen Grund" iS des § 65 Abs 1 Nr 2 SGB I dar, die Mitwirkung zu verweigern. Als besondere Ausprägung eines solchen Grundes regelt § 65 Abs 2 SGB I, unter welchen Umständen Behandlungen und Untersuchungen abgelehnt werden können. Dieser Gedanke kann nicht aus § 65 Abs 2 SGB I in das Rentenrecht übertragen werden (vgl NZS 2005, 31; , veröffentlicht bei Juris). Denn die in §§ 60 ff SGB I normierten Mitwirkungsobliegenheiten führen bei Nichtbefolgung allein zu verfahrensrechtlichen Konsequenzen (Versagung der Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkungshandlung) und setzen einen materiell-rechtlichen Anspruch voraus; § 102 SGB VI hingegen regelt gerade einen materiell-rechtlichen Anspruch (auf Gewährung befristeter oder unbefristeter Rente). Angesichts des gegenüber der vorherigen Gesetzesfassung umgekehrten Regel-Ausnahme-Verhältnisses ist die Rechtsprechung des BSG zu § 1276 Abs 1 RVO (BSG SozR 2200 § 1276 Nr 4; 5b RJ 38/81 - veröffentlicht bei Juris) überholt, wonach (nur) eine "zumutbare" ärztliche Behandlung der Gewährung befristeter (statt unbefristeter) Rente nicht entgegensteht.

Daher kommt es - entgegen der Meinung des SG - auch nicht auf einen "Entschluss" des Versicherten zu einer oder gegen eine Operation an. Denn § 102 Abs 2 Satz 4 SGB VI stellt ausdrücklich darauf ab, ob unwahrscheinlich ist, dass die Erwerbsminderung behoben "werden kann", nicht aber darauf, ob sie behoben "werden wird". Zwar hatte das BSG zu § 1276 Abs 1 RVO idF des 20. Rentenanpassungsgesetzes mit der Formulierung (... dass die Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit in absehbarer Zeit behoben) "sein kann" (statt zuvor "sein wird") entschieden, dass bei der insoweit anzustellenden Prognoseentscheidung ua auch die "Bereitschaft (des Versicherten) zur Mitwirkung" zu berücksichtigen sei (BSGE 53, 100, 105 = SozR 2200 § 1276 Nr 6 S 15). Auch diese Rechtsprechung ist jedoch nach Umkehr des Regel-Ausnahme-Verhältnisses nicht mehr anwendbar.

Die vorstehend erläuterte Auslegung des § 102 Abs 2 SGB VI idF des RRErwerbG belastet den Versicherten auch nicht unverhältnismäßig. Zwar muss der Bezieher einer befristeten Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit den Nachteil hinnehmen, dass sie frühestens sechs Monate nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit beginnt (§ 101 Abs 1 SGB VI); dies aber ist eine Zeitspanne, die in der Regel noch durch den Bezug von (meist höherem) Krankengeld (§ 48 Abs 1 SGB V) abgedeckt sein wird. Er muss ferner bei drohendem Ablauf der Befristung rechtzeitig einen neuen Rentenantrag stellen, der jedoch bei gleich gebliebenem Gesundheitszustand (und rechtmäßiger Rentengewährung) nur zur Verlängerung der Rente führen kann. In diesem Fall kommt es auch zu keiner neuen sechsmonatigen Wartefrist.

Solange die Möglichkeit besteht, das Leistungsvermögen eines Versicherten auf der Grundlage von in vorstehendem Sinne anerkannten Behandlungsmethoden wiederherzustellen, und solange - im Einzelfall - keine gesundheitsspezifischen Kontraindikationen entgegenstehen, ist von der Unwahrscheinlichkeit der Behebung der Leistungsminderung daher nicht auszugehen. Solche Besonderheiten sind bei der Klägerin indes nicht ersichtlich.

Bei dieser Sachlage vermögen die zur Begründung ihrer Revision vorgebrachten Behauptungen, allgemein sprächen schwerwiegende medizinische Gründe beim Einbringen einer Kniegelenksendoprothese gegen eine Besserungsaussicht, dem Rechtsmittel nicht zum Erfolg zu verhelfen. Das LSG hat solche schwerwiegenden Gründe nicht festgestellt. Es reicht vielmehr aus, dass sich die durch die Operation angestrebte Besserung nicht von vornherein im nicht rentenrelevanten Bereich bewegen wird, sondern die quantitative Leistungsfähigkeit der Klägerin über die für die volle Erwerbsminderung erhebliche Schwelle von mindestens drei Stunden täglich (§ 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI) anheben kann. Dies folgt hier aus den Feststellungen des LSG, dass für die Herabsetzung des Leistungsvermögens der Klägerin - auch im bisher ausgeübten Beruf einer Arbeiterin in der Lederindustrie - (nur) die Verschleißerscheinungen im linken Kniegelenk und die damit einhergehenden Schmerzen maßgeblich sind. Dann aber kann (anders als möglicherweise in Fällen einer ausgeprägten Multimorbidität) davon ausgegangen werden, dass das berufliche Leistungsvermögen der Klägerin nach erfolgreicher Operation (sogar für die bisherige Tätigkeit) wiederhergestellt wäre. Diese Feststellungen des Berufungsgerichts sind von der Klägerin nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen (vgl § 163 SGG) angegriffen worden und binden daher den Senat.

Nach der vom Senat vertretenen Auslegung des § 102 Abs 2 SGB VI kann dahingestellt bleiben, ob die (in der Revisionsbegründung als Rügen der "Verletzung weiteren materiellen Rechts" bezeichneten) Verfahrensrügen der Klägerin, bezogen auf die insoweit in der Regel maßgebende Rechtsauffassung des LSG, begründet sind. Denn selbst dann, wenn die Gründe der angefochtenen Entscheidung die behauptete Gesetzesverletzung ergäben, wäre die Revision dennoch zurückzuweisen, weil sich dann die Entscheidung aus anderen Gründen als richtig darstellte (§ 170 Abs 1 Satz 2 SGG). Die Rügen beziehen sich sämtlich auf die vom LSG veranlasste zusätzliche Anfrage bei dem Chirurgen Dr. S. nach den Besserungsaussichten nach einer Kniegelenksimplantation. Auf diese Aussichten kommt es jedoch nach zutreffender Auslegung des § 102 Abs 2 SGB VI nicht an, wie oben bereits näher dargelegt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.

Fundstelle(n):
FAAAC-15058