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Neue Herausforderungen durch das geplante Lieferkettengesetz
Künftige Anforderungen an Unternehmen und Wirtschaftsprüfer bezüglich der Einhaltung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten
Die Bundesregierung hat kürzlich den Entwurf eines Lieferkettengesetzes vorgestellt, das deutschen Unternehmen Sorgfaltspflichten bezüglich der Einhaltung der Menschenrechte, Sozial- und Umweltstandards bei der Beschaffung ihrer Rohstoffe, Vorprodukte und bezogenen Waren auferlegen soll. Dies ist ein weiterer Baustein in dem Ziel einer nachhaltig agierenden Wirtschaft. Auch wenn die konkrete Ausgestaltung des Gesetzes noch nicht feststeht, gilt es als sicher, dass es künftig in der Europäischen Union und in Deutschland verbindliche Vorgaben zur Überwachung der Lieferketten geben wird. Der vorliegende Aufsatz zeigt die Bedeutung von Lieferketten, den aktuellen Stand bzw. vorliegende Missstände auf, um anschließend das Gesetzesvorhaben vorzustellen und mögliche Konsequenzen für die Abschlussprüfung bzw. den Berufsstand der Wirtschaftsprüfer aufzuzeigen. Die Ausführungen enden mit einer Würdigung des Gesetzentwurfs, die den Stand der heftigen Diskussionen zum Thema widerspiegelt.
Kirsch, Nichtfinanzielle Berichterstattungspflicht (HGB), infoCenter, NWB CAAAG-79145
Die Einführung eines Lieferkettengesetzes ist beschlossene Sache, die Details sind derzeit noch offen.
Viele in Europa angebotene Produkte werden unter Missachtung elementarer Menschenrechte, Sozial- oder Umweltstandards produziert.
Unternehmen werden künftig erweiterte Pflichten bezüglich ihrer Lieferanten auferlegt werden. Dies führt auch zu zusätzlichen Herausforderungen für ihre Wirtschaftsprüfer.
I. Relevanz von Lieferketten
Seit 2017 sind große, kapitalmarktorientierte Unternehmen mit mehr als 500 Arbeitnehmern sowie Unternehmen aus der Finanzbranche zur Erstellung einer nichtfinanziellen Erklärung verpflichtet, in der über Umwelt-, Arbeitnehmer- und Sozialbelange, Achtung der Menschenrechte sowie der Bekämpfung von Korruption und Bestechung zu berichten ist. Diese Berichterstattungspflicht bezieht sich nicht nur auf die in- und ausländischen Betriebsstätten des Unternehmens, sondern auch auf die Lieferkette. Viele Produkte von Nahrungsmitteln über Bekleidung zu Handys und Elektrofahrzeugen verfügen über eine umfassende internationale Lieferkette. Entsprechend der Gesetzesbegründung ist anzugeben, bis zu welcher Ebene der Lieferkette die Lieferanten bezüglich der Einhaltung der Unternehmenskonzepte geprüft wurden.
Alternativ zur nichtfinanziellen Erklärung kann die Berichterstattung in einem Nachhaltigkeitsbericht erfolgen. Nachhaltigkeitsberichte werden i. d. R. nach den GRI-Standards aufgestellt, die bspw. bezüglich ökologischer und sozialer Faktoren Angaben zur Lieferkette vorgeben.
Immer mehr Unternehmen stellen Produkte klimaneutral her. Dies bedeutet, dass die durch die Herstellung und den Vertrieb des Produkts verursachten CO 2-Emissionen ermittelt und durch Investitionen in zusätzliche anerkannte Klimaschutzprojekte ausgeglichen werden. Die Ermittlung des CO 2-Fußabdrucks der Produkte, auch Product Carbon Footprint genannt, schließt zwangsläufig alle Produktionsvorstufen von der Rohstoffgewinnung über verschiedene Fertigungsstufen bis zur Verpackung sowie – abhängig von den festgelegten Systemgrenzen – den Vertrieb, Gebrauch und die Entsorgung ein. Im Regelfall sind vorgelagerte Lieferketten vorhanden, deren Emissionen zu erfassen sind. Die Emissionen der vorgelagerten Wertschöpfungsketten können theoretisch anhand generischer Daten, die in verschiedenen Öko-Datenbanken abrufbar sind, geschätzt werden, diese Werte können aber stark von den tatsächlichen Emissionen abweichen, bspw. wenn die Produktion in anderen Ländern mit einer anderen technischen Ausstattung oder auf Basis anderer Energieträger geschieht. Daher empfiehlt es sich – solange Aufwand und Nutzen einer höheren Berechnungsgenauigkeit im angemessenen Verhältnis zueinanderstehen – genauere Information von Lieferanten und deren (Sub-)Lieferanten einzuholen, um einen realitätsnahen CO 2-Fußabdruck zu erlangen. Es erfolgen Befragungen entlang der Lieferkette. S. 157
Eine nachhaltig agierende Lieferkette kann durchaus über Erhalt oder Nichterhalt von Aufträgen entscheiden. Einzelhändler, die klimaneutrale oder klimafreundliche Produkte mit einem niedrigen CO 2-Fußabdruck anbieten möchten, stellen entsprechende Anforderungen an ihre Lieferanten. Nachhaltigkeitskriterien sind Anforderung von zunehmend mehr Ausschreibungen, sie entscheiden immer häufiger über die Auftragsvergabe. Es ist davon auszugehen, dass Nachhaltigkeitskriterien einen zunehmenden Einfluss auf Lieferantenratingplattformen erhalten werden.
Nicht zu vernachlässigen ist die Gefahr von Reputationsschäden aufgrund von Missständen in der Lieferkette. Ein Unternehmen, das in den eigenen Betriebsstätten im In- und Ausland alle Kriterien vorbildlich einhält und darüber vielleicht auch in Nachhaltigkeitsberichten stolz berichtet, ist bei einem mangelhaften Audit der Lieferkette nicht davor gefeit, dass dort Missstände herrschen und ans Tageslicht geraten.
Stellen wir uns einen Textilproduzenten vor, der neben den eigenen Produktionsstätten auch die Hauptlieferanten geprüft hat. Die neue Modekollektion enthält ein Sakko mit Lederflicken, diese Lederflicken machen im Verhältnis zu übrigen eingesetzten Rohstoffen der Kollektion nur einen verschwindend geringen Anteil aus. Leider stammt das Leder aus Bangladesch, Pakistan oder Indien, wo Kinderarbeit in der Lederindustrie verbreitet ist. Der Einsatz von Chemikalien in den Gerbereien ohne Ventilationssysteme verursacht Haut- und Lungenkrankheiten, die Lebenserwartung liegt unter 50 Jahren, den arbeitenden Kindern ist jede Bildung verwehrt. Wenn nun das Hochglanzmagazin, das über die neue Kollektion berichten soll, auch über die Herkunft der Lederflicken schreibt, kann dies für Modeunternehmen zu einem gewaltigen Imageschaden führen. Besonders ärgerlich wäre in diesem Beispiel, dass der ganze Skandal vollkommen überflüssig war: Der Lederflicken hat keinerlei Funktion, er ist nur ein optischer Aspekt, man hätte ihn durch einen Flicken aus Cordstoff substituieren können.