Vollstreckbare Ausfertigung einer Grundschuldbestellungsurkunde: Pflicht des Vollstreckungsgerichts zur Prüfung der materiellen Richtigkeit einer vom Notar erteilten Vollstreckungsklausel
Gesetze: § 724 ZPO, § 726 ZPO, § 134 BGB, § 307 BGB, §§ 307ff BGB, § 1193 Abs 1 S 1 BGB
Instanzenzug: LG Stade Az: 7 T 161/19vorgehend AG Buxtehude Az: 10 K 22/19nachgehend Az: V ZB 12/20 Beschluss
Gründe
I.
1Die Schuldnerin ist Eigentümerin der im Eingang dieses Beschlusses bezeichneten Grundstücke. Aufgrund der von der Schuldnerin am notariell beurkundeten Bewilligung ist für die Gläubigerin im Grundbuch eine brieflose Grundschuld über 1 Mio. € nebst 14 % Zinsen p.a. eingetragen. Der Notar erteilte der Gläubigerin am eine vollstreckbare Ausfertigung der Bestellungsurkunde, die der Schuldnerin am zugestellt wurde.
2Auf Antrag der Gläubigerin hat das Amtsgericht die Zwangsversteigerung der Grundstücke der Schuldnerin wegen des dinglichen Anspruchs aus der Grundschuld angeordnet. Das Landgericht hat die dagegen gerichtete Beschwerde der Schuldnerin zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde, deren Zurückweisung die Gläubigerin beantragt hat, hat die Schuldnerin zunächst die Aufhebung des Zwangsversteigerungsverfahrens erreichen wollen. Nachdem die Gläubigerin den Versteigerungsantrag zurückgenommen und das Amtsgericht das Zwangsversteigerungsverfahren aufgehoben hat, haben Schuldnerin und Gläubigerin das Rechtsbeschwerdeverfahren übereinstimmend für erledigt erklärt.
II.
3Das Landgericht meint, die Zwangsversteigerung sei zu Recht angeordnet worden. Die formellen Voraussetzungen für die Anordnung lägen vor, da der Antrag auf einen der Schuldnerin zugestellten Titel mit Vollstreckungsklausel gestützt sei. Dass die vollstreckbare Ausfertigung der Bestellungsurkunde der Gläubigerin sofort, mithin ohne Nachweis der Kündigung und ohne Einhaltung der sechsmonatigen Frist des § 1193 Abs. 1 BGB erteilt worden sei, führe nicht zu einer von dem Vollstreckungsgericht zu berücksichtigenden Unwirksamkeit der Klausel. Auf die Frage, ob die Vollstreckungsklausel materiell zu Recht erteilt worden sei, namentlich ob der Verzicht auf den Nachweis des Entstehens und der Fälligkeit der Zahlungsverpflichtung zulässig sei, komme es nicht an. Das Vollstreckungsgericht habe nur zu prüfen, ob die Klausel vorhanden und ob sie ordnungsgemäß erteilt worden sei, nicht hingegen, ob sie materiell habe erteilt werden dürfen. Die Entscheidung des Notars, ob die Klausel in einfacher oder qualifizierter Form zu erteilen sei, unterliege nicht der Nachprüfung durch das Vollstreckungsgericht.
III.
41. Aufgrund der übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Schuldnerin und der Gläubigerin ist über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens gemäß § 91a ZPO zu entscheiden, da sich die Beteiligten über die Fortsetzung des Zwangsversteigerungsverfahrens gestritten haben, mithin in einem kontradiktorischen Verhältnis zueinander stehen (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 125/05, BGHZ 170, 378 Rn. 8). Die vorausgegangene Rücknahme des Zwangsversteigerungsantrags durch die Gläubigerin steht der Entscheidung nach § 91a ZPO nicht entgegen, denn sie führt nicht dazu, dass der Gläubigerin entsprechend § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO alle Kosten des Verfahrens aufzuerlegen wären (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 125/05, aaO Rn. 5).
52. Die nach § 91a ZPO zutreffende Entscheidung führt zur Auferlegung der Kosten auf die Schuldnerin, da ihre Rechtsbeschwerde keinen Erfolg gehabt hätte und es damit bei der Zurückweisung ihrer sofortigen Beschwerde durch das Beschwerdegericht geblieben wäre. Das Beschwerdegericht hat die Anordnung der Zwangsversteigerung durch das Amtsgericht zu Recht nicht beanstandet. Entgegen der Auffassung der Schuldnerin hat das Vollstreckungsgericht bei der Anordnung der Zwangsversteigerung nicht zu prüfen, ob der Gläubigerin eine einfache Vollstreckungsklausel nicht hätte erteilt werden dürfen, weil zum Zeitpunkt der Erteilung die Kündigungsfrist nach § 1193 Abs. 1 BGB offensichtlich nicht eingehalten war.
6a) Die Frage, ob der Notar der Gläubigerin unmittelbar nach der Beurkundung der Grundschuldbestellung eine einfache Vollstreckungsklausel gemäß § 724 ZPO erteilen durfte, oder ob es der Erteilung einer qualifizierten Vollstreckungsklausel, etwa gemäß § 726 ZPO, bedurft hätte, betrifft die materielle Richtigkeit der erteilten Vollstreckungsklausel, die grundsätzlich nicht zur Überprüfung des Vollstreckungsorgans gestellt ist. Seiner Nachprüfung unterliegt es, ob eine Klausel vorhanden ist und ob sie ordnungsgemäß erteilt wurde, nicht hingegen, ob sie erteilt werden durfte (, MDR 2012, 367 Rn. 15; Beschluss vom - VII ZB 57/11, JR 2013, 223 Rn. 9; Beschluss vom - VII ZB 22/16, WM 2017, 590 Leitsatz). Deshalb ist es insbesondere nicht Sache des mit der Vollstreckung des Titels befassten Vollstreckungsorgans, die Wirksamkeit der Klausel am Inhalt des Titels zu messen und die erforderliche Abgrenzung zwischen unbedingt und bedingt vollstreckbaren Titeln vorzunehmen (, aaO; Beschluss vom - VII ZB 57/11, aaO). Nur ausnahmsweise, nämlich bei grundlegenden, schweren Mängeln, kann die Erteilung der Vollstreckungsklausel nichtig und deshalb von vorneherein unwirksam sein (vgl. , aaO Rn. 16).
7b) Das Amtsgericht als Vollstreckungsgericht hatte daher vorliegend lediglich zu prüfen, ob die von der Gläubigerin eingereichte Ausfertigung der Grundschuldbestellungsurkunde eine ordnungsgemäß erteilte Vollstreckungsklausel enthielt. Da dies der Fall war, hatte es die Zwangsversteigerung auf den Antrag der Gläubigerin anzuordnen. Es war nicht verpflichtet zu prüfen, ob der Notar die auf dem Titel angebrachte (einfache) Vollstreckungsklausel materiell erteilen durfte, namentlich ob die Kündigungsfrist des § 1193 Abs. 1 BGB eingehalten und dies dem Notar hinreichend nachgewiesen war. Dass die Kündigungsfrist zum Zeitpunkt der Erteilung der vollstreckbaren Ausfertigung am Folgetag der Beurkundung denklogisch noch nicht abgelaufen sein konnte, ändert an dieser rechtlichen Beurteilung entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nichts. Dieser Umstand führt insbesondere nicht dazu, dass von einem grundlegenden, schweren Mangel der Erteilung der Vollstreckungsklausel auszugehen wäre, der ausnahmsweise zu ihrer Nichtigkeit führte.
8aa) Zwar handelt es sich bei dem Kündigungserfordernis des § 1193 Abs. 1 Satz 1 BGB um eine Vollstreckungsbedingung im Sinne des § 726 Abs. 1 ZPO, wenn sich der Schuldner in der notariellen Grundschuldbestellungsurkunde der sofortigen Zwangsvollstreckung unterworfen hat, so dass der Notar grundsätzlich gehalten ist, eine qualifizierte Vollstreckungsklausel frühestens nach entsprechendem Nachweis der Kündigung der Grundschuld zu erteilen (, BGHZ 227, 154 Rn. 14). Der Schuldner kann aber grundsätzlich auf den Schutz des Nachweiserfordernisses verzichten und erklären, dass der Notar dem Gläubiger eine vollstreckbare Ausfertigung der Urkunde ohne Nachweis der das Bestehen und die Fälligkeit der Zahlungsverpflichtung begründenden Tatsachen erteilen darf; die materielle Bedingung bleibt durch einen solchen Verzicht unberührt, verliert aber ihren Charakter als Vollstreckungsbedingung (vgl. , aaO Rn. 17). Das gilt auch für das Kündigungserfordernis des § 1193 Abs. 1 Satz 1 BGB. Somit lässt sich allein aus dem Umstand, dass die Vollstreckungsklausel vorliegend unmittelbar nach der Beurkundung der Grundschuldbestellung erteilt wurde, noch nicht darauf schließen, dass die Erteilung der Klausel an einem grundlegenden, schwerwiegenden Mangel leidet.
9bb) Das Vollstreckungsgericht war auch nicht verpflichtet zu prüfen, ob die Schuldnerin in der Grundschuldbestellungsurkunde einen solchen Nachweisverzicht erklärt hatte, denn diese Frage betrifft allein die materielle Richtigkeit der Vollstreckungsklausel. Es kommt daher nicht darauf an, ob der Senat die von der Gläubigerin im Rechtsbeschwerdeverfahren eingereichte Kopie der Grundschuldbestellungsurkunde, in der die Schuldnerin den Notar ausdrücklich beauftragt hat, der Gläubigerin „sofort eine beglaubigte Fotokopie und eine vollstreckbare Ausfertigung dieser Urkunde zu erteilen“, nach § 559 Abs. 1 ZPO berücksichtigen kann und wie dieser Auftrag auszulegen ist. Erst recht war das Vollstreckungsgericht nicht gehalten zu prüfen, ob ein etwaiger von der Schuldnerin erklärter Nachweisverzicht aus materiell-rechtlichen Erwägungen, etwa gemäß oder entsprechend § 134 oder §§ 307 ff. BGB unwirksam sein könnte, da diese Prüfung eine umfassende materiell-rechtliche Würdigung erforderte, zu der der Notar bei der Klauselerteilung nicht berufen ist (vgl. , BGHZ 227, 154 Rn. 20) und erst recht nicht das Vollstreckungsgericht bei der Anordnung der Zwangsversteigerung auf der Grundlage der von dem Notar erteilten Klausel. Der Schuldner ist hierdurch nicht rechtlos gestellt, ihm bleibt unbenommen, materiell-rechtliche Einwände gegen die Klauselerteilung oder die Zwangsvollstreckung mit den hierfür zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfen (vgl. zu diesen , aaO Rn. 23 f.) geltend zu machen.
IV.
10Einer Wertfestsetzung für die Gerichtsgebühren bedarf es nicht, da solche im Rechtsbeschwerdeverfahren betreffend die Anordnung der Zwangsversteigerung nicht anfallen, wenn das Rechtsmittel übereinstimmend für erledigt erklärt wird (vgl. KV Nr. 2242).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:280422BVZB12.20.0
Fundstelle(n):
EAAAJ-19226