BÜRO Nr. 7 vom Seite 29
Ausbildung und Beruf
Lernfeld 1

Mindfulness

Aufmerksamkeitsräubern trotzen mit Fokus und Konzentration

Dinah Vetter *

© Alexander Pokusay – stock.adobe.com

Mindfulness – ein Begriff, der in einer (Arbeits-)Welt, die zunehmend digitaler, schneller und agiler wird, weiter an Bedeutung gewinnt. Doch was ist Mindfulness überhaupt? Was passiert, wenn wir zunehmend gestresst sind? Und welche Techniken können uns dabei helfen, damit umzugehen? Diesen und vielen weiteren Fragen wird im folgenden Beitrag auf den Grund gegangen.

Die Aufmerksamkeitsspanne

1…2…3…4…5…6…7…8 Sekunden ist laut einer Studie von Microsoft aus dem Jahr 2015 unsere durchschnittliche Aufmerksamkeitsspanne mittlerweile. Seit dem Jahr 2000 ist die Aufmerksamkeitsspanne von 13 auf 8 Sekunden gesunken. Im Vergleich dazu: Ein Goldfisch hat eine Aufmerksamkeitsspanne von 9 Sekunden (vgl. Microsoft Canada 2015, S. 6) – auch wenn sich der Vergleich zwischen Goldfisch und Mensch nur bedingt ziehen lässt, wird jedoch das kontinuierliche Schwinden der Aufmerksamkeitsspanne durch die Studie sichtbar.

Besonders die selektive Aufmerksamkeit, die uns vor Ablenkung schützt, wird dabei durch digitale Endgeräte wie PC, Tablet oder Smartphone negativ beeinträchtigt. Ein „Pling“ und das Meeting, in dem man sich gerade befindet, wird zur Nebensache, denn die Neugier geht vor: Wer hat da was geschrieben? Sind die Informationen vielleicht wichtig? Vielleicht sollte ich doch sofort reagieren? Wer sie installiert hat oder mit ihnen arbeitet kennt es: Ganz besonders effektive Aufmerksamkeitsräuber sind Messanger Dienste und Chatprogramme (z. B. WhatsApp oder MS Teams) (vgl. Webcampus 2022).

Nimm dir einen Moment und reflektiere: Was sind deine persönlich erfolgreichsten Aufmerksamkeitsräuber?

Nun fragst du sich bestimmt: Was können wir also tun, um trotz allem fokussiert und konzentriert arbeiten zu können? Welche Techniken und welches Wissen benötigen wir in einer Welt voller Reize und Aufmerksamkeitsräuber, um konzentriert zu arbeiten und zu lernen? Diesen Fragen werden wir nun auf den Grund gehen.

Monkey Mind

Du hetzt von (virtuellem) Termin zu Termin, die Deadlines rücken näher, außerdem braucht die Projektleitung das Dokument noch bis in 2 Stunden – ach und die neue Auszubildende Johanna muss nebenher auch noch betreut und in ihre neuen Aufgaben eingeführt werden. Die Erwartungen, Aufgaben und die unbearbeitete To-Do Liste werden zu einem unbezwingbaren Berg. Arbeit bedeutet für viele Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Auszubildende heutzutage eines: Druck und Stress. Laut Statista haben sich die Fälle von Burnout (pro 1000 AOK Mitglieder) seit 2004 von 0,6 % auf 5,9 % fast verzehnfacht (Statista 2022).

Was passiert im Gehirn? Auf einen Reiz (z. B. Geräusch/Geruch/eine Mail/…), folgt eine direkte Reaktion (z. B. der Sache auf den Grund gehen/flüchten/die Mail lesenS. 30 etc.) meist verknüpft mit einer Emotion (z. B. Wut: „Warum muss ich die Aufgabe schon wieder machen?! Ich habe doch schon einen riesen Berg Arbeit vor mir!“ oder Angst „Ohje, wie soll ich das jemals schaffen?!“). Unser Körper ist ein sensibler Organismus, der unsere Umwelt ständig nach wichtigen, potenziell gefährlichen Reizen abscannt. Das ist zunächst eine wichtige Eigenschaft, die unsere Vorfahren nicht selten vor dem Tod bewahrte. Wer auf der Hut bleibt, ist lebensbedrohlichen Situationen immer einen Schritt voraus – wer in der Steinzeit auf das raschelnde Geräusch hört und der Sache auf den Grund geht oder flüchtet, entgeht eventuell dem Angriff des Raubtiers. Wer hingegen ganz fokussiert auf das Entfachen des Feuers konzentriert ist und das Rascheln nicht wahrnimmt – ist vielleicht schon bald Raubtierfutter.

Was uns früher das Leben rettete kann jedoch in einem digitalen Zeitalter voller Reize und Eindrücke schnell zur Last werden. Wenn die Arbeit, die Mails, die kurze Antwort und die Verpflichtungen auch in der Freizeit nur einen Klick entfernt sind – fällt es schwer, tatsächlich abzuschalten und dem Hirn und Körper Ruhe zu schenken und aus dem Zustand des Stresses auszusteigen.

Hier kommt der Begriff „Monkey Mind“ ins Spiel. Er stammt von Buddha Siddhartha Gautama und beschreibt sehr anschaulich, wie so viele Menschen in dieser Welt voller Reize ruhelos, überspannt und scheinbar unkontrollierbar jedem Reiz und jedem Gedanken folgen. Wie ein wild gewordenes Äffchen im Urwald springen die Gedanken umher – ein Gedankenkarussell entsteht. Dieser Teil des Gehirns ist nicht an den Aufgaben interessiert, die wir eigentlich erledigen sollten, sondern stürzt sich viel lieber in Worst-Case Szenarien, Ängste, Zweifel oder andere Ablenkungen (Ley 2020). Dieser Teil des Gehirns versteht die aufkommenden Reize als potenzielle Gefahr, lässt uns in Hab-Acht-Stellung verharren und hält uns davon ab, klare Gedanken zu fassen und unsere Arbeit fokussiert und konzentriert Schritt für Schritt zu bewältigen. So entsteht eine Art Abwärtsspirale, d. h. Gedankenmuster, die uns einnehmen und herunterziehen (vgl. Williams&Penman 2015, S. 16ff).

Das hat Mindfulness damit zu tun

Was können wir also tun? Wir können unser kleines Äffchen bewusst steuern und lenken. Das passiert durch Mindfulness, deutsch auch Achtsamkeit genannt. Dabei geht es darum, bewusst im Hier und Jetzt anzukommen, anstatt dem kleinen Äffchen auf den Leim zu gehen. Ganz nach der Weisheit des Mönches:

„Wenn ich stehe, dann stehe ich; wenn ich gehe, dann gehe ich; wenn ich sitze, dann sitze ich; […] wenn ich arbeite, dann arbeite ich; …“ (vgl. Kravovic 2022).

Ein wichtiger Anker ist hierbei die Bewusstheit unserer Tätigkeiten, das Ganz-bei-der-Sache-sein. Das macht unsere Arbeit nicht nur produktiver, sondern hat auch allerlei positive Effekte auf unseren Körper und Geist (hier nur einige Beispiele):

Menschen, die regelmäßig Mindfulness praktizieren und meditieren, …

  • sind überdurchschnittlich zufrieden und glücklich,

  • Reduzierten Angst, Depression und Reizbarkeit,

  • haben eine verbesserte Gedächtnisleistung und verkürzte Reaktionszeiten,

  • verbesserten ihre körperliche und geistige Ausdauer,

  • reduzierten die Schlüsselindikatoren chronischen Stresses (einschließlich Bluthochdruck),

  • reduzierten die Auswirkungen von schweren Krankheiten (z. B. chronische Schmerzen),

  • stärkten ihr Immunsystem und beugten anderen Krankheiten vor.

Das bedeutet, anstatt die direkte Reaktion auf das „PING“ der Nachricht nachzugeben bemerke ich: „Aha, mein Äffchen möchte, dass ich die Mail jetzt lese. Was fühle ich dabei? Neugier? Angst? Wie gehe ich nun damit um?“ So können wir bewusste Entscheidungen treffen. Wichtig dabei ist die Wertfreiheit. Oft bewerten wir Gefühle als negativ oder positiv, dabei geht es lediglich darum, sie zu erkennen, zu benennen und da sein zu lassen. Alle Gefühle sind wichtig und ok. Denn sobald wir in ein „Oh nein, jetzt bin ich schon wieder ängstlich, reiße dich mal zusammen!“ verfallen, verursachen wir wieder Stress für unser Hirn, unseren Geist und unseren Körper.S. 31

Merke

Mindfulness ist eine Praxis, die erlernt werden kann und sogar täglich geübt werden sollte. Wie ein Muskel können wir unsere Achtsamkeit und Bewusstheit im (Berufsalltag) trainieren. Letztendlich können wir unser Reiz-Reaktionsmuster erweitern:

Ob wir die Mail dann sofort lesen oder vielleicht unsere Benachrichtigungen für die nächste halbe Stunde ausstellen, ist dabei Nebensache. Es geht lediglich darum, die Zügel wieder selbst in die Hand zu nehmen und somit unserem Körper zu signalisieren – es ist alles in Ordnung, wir sind in keiner Gefahrensituation. So können wir strukturiert und fokussiert arbeiten. Und auch wenn diese Bewusstheit zunächst etwas ungewohnt erscheint – es wird mit der Zeit leichter!

Übungen für die Praxis

Was kannst du nun tun, um Mindfulness in deinen (beruflichen) Alltag zu integrieren? Hier gibt unzählige Möglichkeiten. Zwei davon werden folgend kurz aufgezeigt:

Achtsame Routine

Starten kannst du mit einer ganz einfachen Aufgabe, die du täglich durchführst. Wähle dazu eine Routinetätigkeit, die du jeden Tag ausführst, z. B. Kaffeekochen oder Zähneputzen am Morgen.

Meist schweift unser Hirn besonders schnell ab, wenn wir Routinetätigkeiten ausführen, denn hier wird nicht mehr viel Hirnschmalz benötigt, wir haben die Handgriffe ja schon x-mal gemacht. Eine bewusste Ausführung von Routinetätigkeiten kann uns helfen, uns auf das Hier und Jetzt zu fokussieren.

Achtsame Routine

  1. Wähle also eine Routinetätigkeit der täglichen Arbeit oder deines täglichen Alltags aus (z. B. Kaffee kochen, Zähne putzen, Rechner hochfahren, …)

  2. Führe Routinetätigkeit nun täglich ganz bewusst aus, ohne Ablenkung, als würdest du sie zum ersten Mal ausführen.

  3. Reflektiere dabei: Wie fühlt es sich an? Wie riecht es? Wie hört es sich an? Sei dabei ganz neugierig und bleibe vor allem wertfrei.

  4. Bist du zwischendrin abgelenkt und wirst doch wieder vom anstehenden Meeting eingeholt? Kein Problem, sobald du bemerkst, dass deine Gedanken abschweifen und dein kleines Äffchen sich in den Vordergrund drückt, hast du den wichtigsten Schritt getan. Wichtig: Verurteile dich nicht dafür, sondern hole dich einfach wertfrei wieder zu einer Routinetätigkeit zurück

Atemmeditation

Die nächste Atem-Übung sind besonders gut dafür geeignet, Ruhe in das vegetative Nervensystem zu bringen. Hier wird dem Körper das Signal vermittelt: Es ist alles in Ordnung, es besteht keine Gefahr. Gerade in Stresssituationen, in denen dich starke Emotionen überkommen, kannst du so Klarheit und Ruhe in deinen Körper und Geist bringen, um danach bewusster handeln zu können, anstatt einer Schnellschussreaktion nachzugeben.

Atemmeditation (5 min)

Begebe dich an einen ruhigen Ort, an dem du nicht gestört wirst und allein bist.

Setze dich auf die vordere Kante eines Stuhls, deine Hände liegen auf deinen Oberschenkeln. Deine Wirbelsäule sollte möglichst aufrecht sein, das Kinn ganz leicht zur Brust ziehen. Dein Kopf ist mittig und Nabel und Nasenspitze bilden eine senkrechte Linie. Schultern und Gesicht sind entspannt. Schließe deine Augen oder senke den Blick.

Nun versuche, deine Atmung bewusst wahrzunehmen. Das Ein- und das Ausatmen. Spürst du, wie die Luft deine Nase kitzelt? Beobachte deinen Atem, ohne etwas verändern zu wollen.

Es passiert schnell, dass Gedanken auftauchen und du abschweifst. Wenn du es bemerkst, lenke deine Aufmerksamkeit sanft wieder auf deinen Atem, ohne dichS. 32 darüber zu ärgern. Dass Gedanken auftauchen, ist normal. Versuche, deine Gedanken nicht zu bewerten, sondern lasse sie vorbeiziehen wie Wolken am Himmel und kehre kann bewusst wieder zu deinem Atem zurück.

Es kann sein, dass sich irgendwann eine Ruhe im Geist entwickelt; vielleicht aber auch nicht. Vielleicht ist die Ruhe nur flüchtig für den Bruchteil eines Momentes spürbar oder es rücken ganz andere Empfindungen wie Langeweile, Ärger, Druck in den Fokus. Egal was passiert, nehme alles an so wie es ist und beobachte dich selbst neugierig, wertfrei und aufmerksam.

Versuche dabei stets deinen Fokus immer wieder auf die Atmung zurückzuführen. Helfen kann dabei zum Beispiel, das Ein- und Ausatmen zu zählen oder deine Atemzüge gedanklich mit „ein“ und „aus“ zu begleiten.

Nach 5 Minuten öffne deine Augen und kehre wieder in den Raum zurück.

Fazit

Diese oder viele weitere Übungen sind in die Alltagsroutine – egal ob im Beruf oder Privat – integrierbar. Und am Ende ist es wie bei so vielen Dingen: Die Übung macht den Meister!

Wichtig sind allerdings das Dranbleiben, Durchhalten und Weitermachen. Auch wenn der (Arbeits-)Alltag manchmal herausfordernd ist und es (so wie es scheint) unmöglich ist, sich zwischen den vielen Aufgaben auch noch Zeit für die achtsame Praxis zu nehmen – ist es dennoch eine Entscheidung, die wir treffen können. Sei es 1 Minute durchatmen auf der Toilette, die nächste Mail ganz achtsam zu schreiben, einen Moment Mindfulness gemeinsam mit den Auszubildenden in den Alltag zu integrieren oder dem Gegenüber im Meeting vollkommen konzentriert zuzuhören – auch so lassen sich kleine Aspekte von Mindfulness in den Arbeitsalltag aufnehmen.

Denn nur durch eine anhaltende und tägliche Praxis (sei sie auch noch so klein) werden die positiven und wissenschaftlich nachgewiesenen Effekte von Mindfulness erst spürbar. Mindfulness ist wie ein Muskel, der trainiert werden kann oder eben verkümmert, wenn er nicht in Anspruch genommen wird.

Lasst uns also heute mit dem Mindfulness-Fitnessstudio starten. Ein letzter Tipp: Es gibt neben vielen Apps, die bei der Mindfulness Praxis helfen können, auch Online-Kurse zum Thema Mindfulness. Neugierig? Es gibt natürlich viele Online Angebote zum Thema Mindfulness, wir empfehlen: https://clc-lernprogramme.myshopify.com/products/mindfulness-future-skills. Viel Spaß beim Ausprobieren und Üben!

Fundstelle(n):
BÜRO 7/2022 Seite 29
KIEHL VAAAJ-17032