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Grundlagen - Stand: 08.04.2020

Verwertungsverbote im Besteuerungsverfahren

Alexander v. Wedelstädt

I. Definition

Das Verwertungsverbot ist das (formelle) Verbot, auf rechtswidrige Weise erlangte Tatsachenkenntnisse oder Ergebnisse von Beweiserhebungen zu verwerten. Die Abgabenordnung kennt ein allgemeines Verwertungsverbot für das Besteuerungsverfahren nicht.

Grundsätzlich ist es für die Verwertung von Erkenntnissen durch die Finanzbehörde ohne Bedeutung, auf welche Weise und in welcher Verfahrensart sie erlangt wurden (von Wedelstädt, AO-StB 2001, 19). Die Rechtsordnung verlangt aber, dass bei der Sachaufklärung nicht nur Form- und Ordnungsvorschriften, sondern auch die Regeln der rechtlichen und sittlichen Wertordnung des Grundgesetzes beachtet werden und dass Verstöße dagegen bei der Verwertung der rechtswidrig erlangten Erkenntnisse nicht grundsätzlich unbeachtlich sind.

Wann Verstöße zum Verwertungsverbot führen, beantwortet die Frage nach seiner materiell-rechtlichen Voraussetzung, wie es durchzusetzen ist, die nach seiner formellen Voraussetzung. Die Rechtsprechung hat Grundsätze sowohl der materiellen wie der formellen Voraussetzungen für ein Verwertungsverbot entwickelt. Dabei geht sie von einem formellen Verwertungsverbot aus.

II. Materiell-rechtliche Voraussetzungen

1. Unterscheidungen

Nach herrschender Ansicht führt nicht jede Rechtswidrigkeit einer Prüfungshandlung zu einem Verwertungsverbot:

  • Fehler, die sich auf das sachliche Ergebnis und die Mitwirkung des Steuerpflichtigen nicht auswirken, im Allgemeinen also Verstöße gegen Form- und Ordnungsvorschriften, führen regelmäßig nicht zu einem Verwertungsverbot.

  • Fehler, die einen wesentlichen Einfluss auf das Ermittlungsergebnis haben und daher schwerwiegende Rechtsverletzungen der Behörde bei der Sachverhaltsermittlung darstellen, lösen ein Verwertungsverbot aus.

2. Verletzung von Ordnungsvorschriften

Ordnungsvorschriften wie Verfahrens- und Formregelungen dienen regelmäßig nicht dem Schutz der Interessen des Steuerpflichtigen, sondern der Organisation des Prüfungsbereichs der Finanzbehörde. Die Finanzbehörde hätte hier die unter Verletzung von Form- und Ordnungsvorschriften erlangten Kenntnisse auch legal gewinnen können. Der formelle Rechtsfehler hat letztlich keinen Einfluss auf das Ergebnis, so dass das Interesse an einer gesetzmäßigen und gleichmäßigen Steuerfestsetzung dasjenige der Steuerpflichtigen an einem formal rechtmäßigen Verfahren überwiegt.

Die Verletzung von Ordnungsvorschriften löst kein Verwertungsverbot aus, selbst wenn aus formellen Gründen die Prüfungsanordnung aufgehoben oder ihre Rechtswidrigkeit festgestellt worden ist (s.u. III. 1.; von Wedelstädt, AO-StB 2001, 19, 20 m.w.N.).

Die Verletzung von Ordnungsvorschriften liegt z.B. vor bei

  • Unterzeichnung der Prüfungsanordnung durch den unzuständigen Amtsträger,

  • fehlender, nichtiger oder für rechtswidrig erklärter Prüfungsanordnung, wenn die Prüfung nach § 193 Abs. 1 AO grundsätzlich zulässig ist oder bei Erweiterung des Prüfungszeitraums die Voraussetzungen des § 4 Abs. 3 BpO vorliegen (v. Wedelstädt in Kühn/von Wedelstädt, § 196 AO Rz. 17; Gosch in Beermann/Gosch, § 196 AO Rz. 143),

  • fehlender Regelung über den Prüfungsort in der Prüfungsanordnung,

  • rechtswidriger, weil ohne erkennbare Ermessenserwägungen erfolgter Ablehnung des Antrags des Stpfl. auf Durchführung der Prüfung im Büro des Steuerberaters,

  • Prüfung durch einen anderen Betriebsprüfer als den in der Prüfungsanordnung angegebenen oder bei Teilnahme eines Beamten, der weder namentlich angemeldet gewesen war noch sich hat ausweisen können,

  • Beginn der Prüfung an einem anderen als in der Prüfungsanordnung angegebenen Tag,

  • Eingruppierung in eine falsche Größenklasse,

  • Nichtausweisen des Prüfers bei seinem Erscheinen (§ 198 AO),

  • Nichteinhaltung der Befragungsreihenfolge des § 200 Abs. 1 S. 3 AO durch den Prüfer.

  • die versehentliche Unterlassung der Zuziehung von Zeugen zur Durchsuchung nach § 105 Abs. 2 StPO .

3. Besonders schwerwiegende Rechtsverletzungen

Besonders schwerwiegende Rechtsverletzungen sind Verletzungen von Vorschriften, die den Steuerpflichtigen in seinen Grundrechten, in seiner Willensentscheidung und seiner Willensbetätigung schützen sollen (vgl. § 136a StPO ), wenn z.B. die Ermittlung von Tatsachen einen verfassungsrechtlich geschützten Bereich des Steuerpflichtigen verletzt. Sie führen zu einem qualifizierten materiell-rechtlichen Verwertungsverbot. Sie beeinflussen das Ermittlungsergebnis in der Weise, dass es ohne eine solche Verletzung anders ausgefallen sein könnte. Hier handelt es sich regelmäßig um Prüfungshandlungen der Finanzbehörde, die sie auch bei ordnungsgemäßer Einhaltung der Verfahrensordnung nicht hätte treffen können oder bei denen sie ihre eigene Kompetenz überschreitet.

Schwerwiegende Verletzungen von Schutzvorschriften lösen regelmäßig ein Verwertungsverbot aus, und zwar auch bei erstmaligen Steuerfestsetzungen oder der Änderung von Vorbehaltsfestsetzungen (s.u. II. 4; vgl. von Wedelstädt in Kühn/von Wedelstädt, § 196 AO Rz. 15 f. m.w.N, AEAO zu § 196 Nr. 2 Satz 4).

Schwerwiegende Schutzrechtsverletzungen liegen vor, wenn

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