BFH Beschluss v. - V B 127/01

Gründe

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist ein öffentlich-rechtlicher Abwasserverband. Verbandsmitglieder des Klägers sind die Stadt D und andere Gemeinden. Zu seinen satzungsmäßigen Aufgaben gehört u.a. die Abwasserentsorgung. Seine Tätigkeit war nicht auf Gewinnerzielung gerichtet. Die Abwassergebühren wurden im Streitjahr 1992 aufgrund einer Gebührensatzung erhoben.

Der Kläger behandelte die Abwasserentsorgung ursprünglich als nicht umsatzsteuerpflichtig und erklärte für das Jahr 1992 einen (Vorsteuer-)Überschuss zu seinen Gunsten von 272 785 DM. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) stimmte der Erklärung zu.

Im Februar 1997 gab der Kläger eine ”berichtigte Umsatzsteuererklärung” ab, in der er die Abwasserentsorgung als steuerpflichtig behandelte und einen Überschuss zu seinen Gunsten von 421 591,50 DM erklärte.

Das FA sah hierin einen Antrag auf Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung und lehnte ihn ab (Ablehnungsbescheid vom ).

Die dagegen gerichtete Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte unter Bezugnahme auf das (BFHE 185, 283, BStBl II 1998, 410) aus, dass der Kläger mit der Abwasserbeseitigung hoheitlich tätig geworden sei und insoweit nach § 2 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes 1991 (UStG), Art. 4 Abs. 5 der Sechsten Richtlinie des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) nicht der Umsatzbesteuerung unterlegen habe. Es ließ die Revision gegen sein Urteil nicht zu.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit der vorliegenden Beschwerde. Er beantragt, die Revision wegen Erforderlichkeit einer Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts wegen folgender Rechtsfragen zuzulassen:

1. Rechtsfrage

Erfaßt die Wendung Tätigkeiten…oder Leistungen ..., die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, in Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 1 der 6. EG-Richtlinie die Abwasserbeseitigung durch Zweckverbände und damit die Tätigkeiten oder Leistungen des Hoheitsbetriebes Abwasserbeseitigung des Klägers und Beschwerdeführers?”

2. Rechtsfrage:

War im Streitjahr 1992

a) während der Gültigkeit des Wassergesetzes der DDR, das weder eine Aufgabenübertragung auf Dritte noch eine Aufgabenerfüllung durch Dritte vorsah, ein Wettbewerbsverhältnis auf dem Abwasserbeseitigungsmarkt in Mecklenburg-Vorpommern überhaupt möglich, so dass ”größere Wettbewerbsverzerrungen” entstehen konnten,

oder

b) entstand ein Wettbewerbsverhältnis von den marktwirtschaftlichen Bedingungen erst mit Inkrafttreten des LWaG M-V am , das den Gemeinden als Beseitigungsverpflichtete die ihnen kraft Gesetzes zugewiesene Pflichtaufgabe zwar nicht an Dritte, z.B. an Personen des Privatrechts übertragen konnte, sondern sie sich nur gemäß § 40 Abs. 4 Satz 2 LWaG als kodifizierte Verankerung des staatstragenden Prinzips der Subsidiarität, das auch gemäß der Verträge von Maastricht für die Europäische Union gilt, zur Erfüllung ihrer Aufgaben Dritter bedienen konnten, so dass diese Regelung die Möglichkeit eröffnet, dass die Tätigkeit der Abwasserbeseitigung auch von Personen des Privatrechts durchgeführt werden konnte und somit Wettbewerbsverhältnisse existent wurden bzw. zumindest potentielle Wettbewerbsverhältnisse mit dem gegeben waren, so dass ”größere Wettbewerbsverzerrungen” überhaupt entstehen bzw. potentiell entstehen konnten,

oder

c) konnten diese Wettbewerbsverhältnisse bzw. potentiellen Wettbewerbsverhältnisse erst gar nicht entstehen, weil die Abwasserbeseitigung den juristischen Personen des öffentlichen Rechts gesetzlich vorbehalten bleibt und der Kläger weder tatsächlich noch potentiell mit Personen des Privatrechts in Wettbewerb treten kann, weil diese zwar als Erfüllungsgehilfen der beseitigungspflichtigen öffentlich-rechtlichen Körperschaft tätig werden können; aber damit nicht deren verpflichtende Aufgabe übernehmen, so dass ”Wettbewerbsverzerrungen” gar nicht erst existent werden konnten, da kein Wettbewerb existierte,

obgleich

1. diese Zuordnung das Handeln des Erfüllungsgehilfen ausschließlich eine ”haftungsrechtliche Zuordnung” und keine ”wirtschaftliche Zuordnung” der Entsorgungstätigkeit darstellt, so daß der Beauftragte und die Entsorgungstätigkeit in rechtlicher und in wirtschaftlicher Selbständigkeit durchführende Dritte gegenüber der Gemeinde als Auftraggeber auf der Grundlage eines freiwillig abgeschlossenen öffentlich-rechtlichen Vertrages im Wettbewerb steht,

und obgleich

2. das Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern in Erwägung zieht, dass eine Wettbewerbssituation zwischen Gebietskörperschaft und privatwirtschaftlichem Abwasserbeseitigungsunternehmen hinsichtlich des Zugangs zum Entsorgungsmarkt angenommen werden kann,

oder

d) hatte in Mecklenburg-Vorpommern im Streitjahr 1992 weder das Wassergesetz der DDR noch das ab geltende LWaG Mecklenburg-Vorpommern eine rechtlich begründende Relevanz für die Existenz bzw. potentielle Existenz von Wettbewerbsverhältnissen und es somit nur auf die faktische Existenz von in der Abwasserbeseitigung tätigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts mit ihren nicht-umsatzsteuerbaren Abwasserhoheitsbetrieben sowie tätigen umsatzsteuerpflichtigen privatwirtschaftlichen Abwasserunternehmen ankommt, so dass die Wettbewerbsverhältnisse implizit nur durch die ”normative Kraft der faktischen Existenz” der tätigen Betriebe begründet werden und somit die Behandlung der Hoheitsbetriebe als Nicht-Steuerpflichtige bzw. als Nicht-Steuerbare gegenüber den privatwirtschaftlichen Abwasserunternehmen zu ”größeren Wettbewerbsverzerrungen” führen kann?”

3. Rechtsfrage

Wenn die Behandlung der Abwasser-Hoheitsbetriebe der juristischen Personen des öffentlichen Rechts als Nicht-Steuerpflichtige bzw. als Nicht-Steuerbare gegenüber den steuerpflichtigen privatwirtschaftlichen Abwasserunternehmen zu ”größeren Wettbewerbsverzerrungen” führen kann, so dass der Hoheitsbetrieb mit seinen Tätigkeiten oder Leistungen der Umsatzsteuer unterliegt, steht dann der § 2 Abs. 2 Satz 1 UStG im Widerspruch zum Art. 4 der 6. EG-Richtlinie und liegt damit eine Unvereinbarkeit zwischen nationalem und europäischem Recht sowie eine Gemeinschaftswidrigkeit des § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG vor, die aber den Rechtsstreit nicht behindert, da die 6. EG-Richtlinie als europäisches Recht Vorrang hat?”

4. Rechtsfrage:

Wie sind die ”unbestimmten Rechtsbegriffe” größere Wettbewerbsverzerrung” i.S.v. Art. 4 Abs.5 Unterabs. 2 der 6. EG-Richtlinie und ”in nicht unbedeutendem Umfang ausgeführten Tätigkeiten” i.S.v. Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 3 der 6. EG-Richtlinie zu definieren und ist es zur Klärung dieser Rechtsfrage erforderlich, dass das Bundesministerium der Finanzen dem Verfahren beitritt?”

5. Rechtsfrage:

Deutet die weite Formulierung ”Behandlung als Nicht-Steuerpflichtige” in Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 der 6. EG-Richtlinie darauf hin, dass in die vergleichende Betrachtung neben der unterschiedlichen Belastung der konkreten Tätigkeit oder Leistung mit Umsatzsteuer auch die Berechtigung zum Vorsteuerabzug mit einzubeziehen ist,

zumal bei Bestehen ”größerer” Wettbewerbsverzerrungen die juristischen Personen des öffentlichen Rechts mit ihren Tätigkeiten oder Leistungen als Steuerpflichtige gelten und dieser Steuerpflichtige gemäß Art. 17 Abs. 2 der 6. EG-Richtlinie die Vorsteuer aus den Gegenständen und Dienstleistungen ziehen kann, die der Steuerpflichtige für seine besteuerten Umsätze verwendet hat,

oder

geht es im Rahmen einer engen Betrachtung des Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 der 6. EG-Richtlinie - nur - um die Steuerbarkeit bestimmter Tätigkeiten oder Leistungen der juristischen Personen des öffentlichen Rechts und somit nur diese Ausgangsumsätze zu beurteilen sind und nicht auch die umsatzsteuerliche Behandlung der Eingangsumsätze der öffentlichen Hand, so dass damit die Frage der Berechtigung zum Vorsteuerabzug nicht Gegenstand der Regelung und auch weiterhin eine Berechtigung zum Vorsteuerabzug nicht gegeben ist?”

6. Rechtsfrage:

Wenn im Rahmen einer engen Beurteilung des Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 der EG-Richtlinie ”nur” die Steuerbarkeit bestimmter Tätigkeiten oder Leistungen der juristischen Personen des öffentlichen Rechts und damit ”nur” die Ausgangsumsätze verstanden werden und somit die Berechtigung zum Vorsteuerabzug beim ”Hoheitsbetrieb” der juristischen Personen des öffentlichen Rechts nicht mit einzubeziehen ist,

stellen sich die Fragen,

ob die Behandlung der umsatzsteuerpflichtigen privatwirtschaftlichen Abwasserunternehmen als Vorsteuerabzugs-Berechtigte wiederum zu ”größeren” Wettbewerbsverzerrungen gegenüber den ”Hoheitsbetrieben” der juristischen Personen des öffentlichen Rechts mit ihrer Umsatzsteuerbarkeit bestimmter Tätigkeiten oder Leistungen als Nicht-Vorsteuerabzugsberechtigte führen kann,

und ob deshalb in Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 der 6. EG-Richtlinie unter ”Behandlung als Nicht-Steuerpflichtiger” zu verstehen ist, dass in die vergleichende Betrachtung neben der unterschiedlichen Belastung der konkreten Tätigkeit oder Leistung mit Umsatzsteuer auch die Berechtigung zum Vorsteuerabzug mit einzubeziehen ist, um gleiche steuerliche Bedingungen zu schaffen, weil der Grundsatz der Wettbewerbsneutralität gebietet, dass wirtschaftlich gleichartige Vorgänge, die die Wettbewerbslage von Unternehmen berühren, gleichen Besteuerungsgrundsätzen unterliegen?”

Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten.

II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

1. Nach § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Revision zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH erfordert (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO). Die Nichtzulassung kann durch Beschwerde angefochten werden (§ 116 Abs. 1 FGO). In der Beschwerdebegründung müssen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO dargelegt werden (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).

2. Die Revision war weder wegen grundsätzlicher Bedeutung noch zur Fortbildung des Rechts zuzulassen.

Voraussetzung einer Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung oder zur Fortbildung des Rechts ist, dass die für die Entscheidung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage nicht bereits durch die Rechtsprechung geklärt ist oder trotz vorhandener Rechtsprechung einer weiteren Klärung bedarf (vgl. Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 115 FGO Rz. 107, 145, 147). Dies ist in der Beschwerdebegründung darzulegen. Soweit es um die Auslegung von Gemeinschaftsrecht geht, ist weiter darzulegen, dass die angesprochenen Rechtsfragen in dem angestrebten Revisionsverfahren —notfalls nach einer Vorabentscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) gemäß Art. 234 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG)— auch klärbar und klärungsbedürftig sind.

Die vom Kläger aufgeworfenen Rechtsfragen betreffen die Auslegung von Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 77/388/EWG; überwiegend geht es um die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs ”größere Wettbewerbsverzerrungen” in Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 77/388/EWG.

Nach dieser Bestimmung gelten Staaten, Länder, Gemeinden und sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts nicht als Steuerpflichtige, soweit sie die Tätigkeiten ausüben oder Leistungen erbringen, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, auch wenn sie im Zusammenhang mit diesen Tätigkeiten oder Leistungen Zölle, Gebühren, Beiträge oder sonstige Abgaben erheben (Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG). Etwas anderes gilt dann, wenn eine Behandlung als Nicht-Steuerpflichtige zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde (Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG).

Zur 1. Rechtsfrage

Die Abwasserbeseitigung kann —wie der Senat bereits im Urteil in BFHE 185, 283, BStBl II 1998, 410 erkannt hat— gemäß Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 77/388/EWG im Rahmen der öffentlichen Gewalt erfolgen. Die Rechtslage ist insoweit geklärt. Die Beschwerdeschrift lässt insoweit auch keinen weiteren Klärungsbedarf erkennen.

Zu den Rechtsfragen 2 und 4 bis 6

Diese Rechtsfragen drehen sich darum, unter welchen Voraussetzungen die Behandlung einer Einrichtung des öffentlichen Rechts als Nichtsteuerpflichtige Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde.

Hierzu hat der EuGH bereits entschieden, dass diese Bestimmung die Mitgliedstaaten zwar verpflichtet, die Einrichtungen des öffentlichen Rechts der Steuerpflicht zu unterwerfen, wenn ihre Behandlung als Nichtsteuerpflichtige zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen kann, sie jedoch nicht verpflichtet, dieses Kriterium wörtlich in ihr nationales Recht zu übernehmen oder quantitative Grenzen für die Behandlung als Nichtsteuerpflichtige festzulegen. Ebenso steht es den Mitgliedstaaten frei, für die Erreichung der in Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 und 3 der Richtlinie 77/388/EWG festgelegten Ziele die Entscheidung darüber, bei welchen Sachverhalten eine Tätigkeit zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde und nicht unbedeutend ist, und die Anwendung dieser Kriterien auf konkrete Fälle einer Verwaltungsbehörde zu überlassen, sofern deren Entscheidung von den nationalen Gerichten überprüft werden kann (, Fazenda Pública gegen Câmara Municipal do Porto, Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht —UVR— 2001, 71, Umsatzsteuer-Rundschau —UR— 2001, 108 Rdnr. 31 und 32, m.w.N.).

Zur Abwasserentsorgung hat der BFH in dem Urteil in BFHE 185, 283, BStBl II 1998, 410 entschieden, dass die Behandlung des damals klagenden Abwasserzweckverbands als Nichtsteuerpflichtiger —trotz der damals bestehenden Möglichkeit der Einschaltung eines umsatzsteuerpflichtigen Erfüllungsgehilfen— zu keinen größeren Wettbewerbsverzerrungen führte.

Aus der Beschwerdebegründung ergibt sich nicht, warum die Rechtsgrundsätze dieser Entscheidungen nicht ausreichen, auch im Streitfall größere Wettbewerbsverzerrungen durch die (partielle) Behandlung des Klägers als Nichtsteuerpflichtigen zu verneinen. Aus ihr ergibt sich insbesondere nicht, dass die angesprochenen Rechtsfragen in dem angestrebten Revisionsverfahren zur Entscheidung des Streitfalls klärungsbedürftig und klärbar sind. Die bloße Behauptung der Klärungsbedürftigkeit reicht nicht aus.

Zur 3. Rechtsfrage

Dies gilt auch für die Frage, ob § 2 Abs. 2 Satz 1 UStG (gemeint wohl: § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG) im Widerspruch zu Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 77/388/EWG steht. Da der Kläger selbst geltend macht, die Richtlinie 77/388/EWG habe als europäisches Recht Vorrang, ist unklar, warum es entscheidungserheblich sein soll, ob § 2 UStG gemeinschaftsrechtskonform ist.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2002 S. 683 Nr. 5
UR 2002 S. 372 Nr. 8
AAAAA-88039