Prüfungsangst – Keine Sorge! Es gibt Hilfe!
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Es gibt kaum jemanden, der dieses Phänomen nicht kennt. Eine wichtige Prüfung naht, die Aufregung wächst. Der Schlaf wird schlechter, die Ungewissheit größer. Und je näher der Prüfungstag rückt, desto mehr steigt die Aufregung. Während die einen ganz gut mit dieser Aufregung umgehen können, ist es für andere eine regelrechte Qual. Sie leiden unter enormer Prüfungsangst.
Prüfungsangst hat viele Ausprägungen oder Symptome. Diese sind von Betroffenem zu Betroffenem höchst unterschiedlich. Häufig jedoch äußert sich Prüfungsangst durch
Innere Anspannung und Druck, meist in der Brustgegend
Herzrasen
Verdauungsproblemen
Schlechter Schlaf durch permanentes Gedankenkreisen
Herzklopfen
Schweißausbrüche
Zittern, Schüttelfrost
Kreislaufbeschwerden
Gedächtnisstörung bis hin zu Blackout-Situationen
Unser Körper hat seinen Urinstinkt Angst noch immer, denn dieses Gespür sichert uns seit Jahrmillionen das Überleben. In Zeiten, als wir Menschen noch als Jäger und Sammler unterwegs waren, hat uns unsere Angst durch Flucht oder Kampf vor Gefahren geschützt. Angst löst eine Alarmreaktion im Körper aus, die uns auf Höchstleistungen vorbereitet. Dabei wird eine Kettenreaktion in Gang gesetzt.
Abb. 1: Kettenreaktion bei Angst
All diese Symptome sind bei einem mittleren Angstlevel in einer Prüfung kein Problem. Im Gegenteil sie führen bestenfalls zu einer Leistungssteigerung. In schweren Fällen führen sie dagegen zu einer totalen Blockade.
Warum haben wir eigentlich Angst vor Prüfungen
Nun sind Prüfungen ja im Grunde keine wirklich bedrohliche Situation. Wir müssen nicht um unser Leben oder um unsere Gesundheit bangen, sondern lediglich unser Können unter Beweis stellen. Aber genau das ist eine Situation, die vielen Angst bereitet. „Gegner“ ist die anstehende Bewertung, die für entsprechende UnsiS. 17cherheit sorgt. Eine negative Note könnte unter Umständen negative Konsequenzen nach sich ziehen. Viel schwerer wiegt jedoch, dass das Ergebnis der Prüfung unter Umständen das eigene Selbstwertgefühl empfindlich treffen kann. Nämlich dann, wenn es vom Anspruchsniveau abweicht.
Ein weiterer Grund für Prüfungsangst ist das mangelnde Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Lernende mit wenig Selbstvertrauen gehen per se davon aus, dass eine Arbeit oder ein Test schlecht ausfällt. Dass eine gute Note Resultat ihres Lernens sein könnte, ziehen sie meist gar nicht in Betracht.
Zusammengefasst lässt sich sagen, dass folgende Punkte Ursachen für Prüfungsangst sein können:
Mangelndes Selbstwertgefühl
Misserfolgserwartung
Überforderung
Angst vor der Reaktion von anderen (Eltern, Lehrern, Mitschülern)
Angst vor den Folgen einer schlechten Note
Ungeeignete Lernstrategien
Maßnahmen gegen Prüfungsangst
Positives Denken und mentales Training
Beobachtet man Spitzensportler vor einem Wettkampf hat man immer wieder das Gefühl, dass sie tief in Gedanken versunken sind. Damit liegt man gar nicht falsch, denn tatsächlich bereiten sich Sportler mental darauf vor, ihr Ziel zu erreichen. Dazu ist es zunächst wichtig, dass man sein Ziel kennt. Definieren Sie also Ihr Ziel so plastisch wie möglich. Was genau wollen Sie erreichen? Welche Schritte sind möglich? Wer kann Ihnen bei der Zielerreichung behilflich sein? Was passiert, wenn Sie Ihr Ziel erreicht haben?
Für eine Prüfung sollten Sie sich daher folgende Fragen stellen:
Aus welcher Motivation heraus möchte ich diese Prüfung schreiben?
Was genau ist mein Ziel (z. B. Bestehen der Prüfung; gute Note)?
Wer verlangt dieses Ziel von mir (Bin ich das selbst? Ist es mein Arbeitgeber?)?
Was ist nötig, um dieses Ziel zu erreichen?
Welche Schritte möchte ich gehen, um dieses Ziel zu erreichen?
Wie wichtig ist es mir, dieses Ziel zu erreichen?
Welche Konsequenzen hat es für mich, wenn ich dieses Ziel nicht erreiche?
Was tue ich, wenn ich das Ziel erreicht/nicht erreicht habe?
In welchen ähnlichen Situationen habe ich ein solches Ziel bereits erreicht?
Was habe ich dafür getan?
Überforderung vermeiden
Permanent schlechte Noten könnten ein Indiz für eine Überforderung von Lernenden sein. Wenn das so ist, ist es wichtig, sich rechtzeitig Hilfe zu holen. Wer übt Druck auf Sie aus? Sind es Ihre Eltern, Ihr Ausbildungsbetrieb, die Lehrkräfte in der Berufsschule oder Sie selbst? Hilfsangebote gibt es genug. Wenn Sie merken, dass Sie überfordert sind, fragen Sie Ihre Berufsschullehrer nach Nachhilfemöglichkeiten, wie zum Beispiel Ausbildungsbegleitende Hilfen (abH) von der Agentur für Arbeit. Hierbei handelt es sich um ein Förderprogramm, welches Auszubildende mit gezielter Nachhilfe unterstützt, Unterrichtsstoff wiederholt oder sogar Prüfungen vorbereitet. Ein erfolgreiches Programm, welches schon vielen Auszubildenden geholfen hat.
Sinnvolle Lernstrategien nutzen
Unsicherheit produziert Prüfungsangst. Wenn Sie selbst also gar nicht sicher sind, ob sie „genug“ gelernt haben, oder ob Sie „richtig“ gelernt haben, dann wird diese Unsicherheit in der Prüfung dafür sorgen, dass Sie Angst haben. Dazu ist es ratsam, sich sinnvolle Lernstrategien anzueignen.
Unbedingt wissenswert ist, wenn man sich mit dem Thema „Wie lerne ich richtig“ beschäftigt, dass man weiß, dass es keinen Universaltipp fürs richtige Lernen gibt. Denn jeder lernt anders und der erste wichtige Schritt ist, dass Sie sich bewusst machen, wie Sie richtig lernen. Was grundlegend aber nicht hilft, ist das sog. Bulimie-Lernen: Also kurz vor der Prüfung (und damit meine ich wirklich kurz) den kompletten Lernstoff eintrichtern und nach der Prüfung einfach alles wieder vergessen. Auch den Lernstoff unters Kopfkissen legen, in der Hoffnung, das Wissen findet seinen Weg, ist erwiesenermaßen keine sinnvolle Lernstrategie.
Genauso wenig hilft es, sich den Lernstoff auf „Lernzettel“ zu schreiben (und noch viel schlimmer: Lernzettel von Anderen einfach benutzen) und diesen dann auswendig zu lernen. Expertinnen und Experten haben beS. 18wiesen, dass man rund 80 % von dem, was man weiß, nicht durch auswendig lernen erlernt, sondern indem man sich selbstständig „schlau“ macht. Erst, wenn man sich intensiv mit dem Lernstoff auseinandersetzt, ihn hinterfragt und Verknüpfungen zu anderen Themengebieten herstellt, kann das Lernen richtig funktionieren. Das ist anstrengend und bedeutet, dass man sich längerfristig mit Lernstoff auseinandersetzen muss. Es bedeutet jedoch nicht, dass Sie viele Wochen lang jeden Tag mehrere Stunden lernen müssen. Kleine Lerneinheiten sind für den dauerhaften Lernerfolg äußerst effektiv.
Eine Technik aus dem Zeitmanagement kann dafür als Orientierungsgrundlage genutzt werden. Die sog. Pomodoro-Technik beschreibt das Vorgehen für eine 30-minütige Lerneinheit:
Abb. 2: Vorgehen bei der Pomodoro-Technik
Nach einem Lernintervall können Sie für sich entscheiden, ob Ihnen die Lernzeit gereicht hat, oder ob Sie ein weiteres Intervall anschließen möchten.
Fehlt Ihnen immer noch die Lust, mit dem Lernen anzufangen? Dann könnten die folgenden Tipps hilfreich sein:
Setzen Sie sich klare Lernziele! Je genauer Sie wissen, was Sie mit Ihrer Prüfung erreichen wollen und je detaillierter Sie sich Ihr Ziel ausmalen, desto leichter wird Ihnen der Weg dorthin fallen.
Schaffen Sie ein ideales Lernklima! Gestalten Sie Ihr persönliches Arbeitsumfeld so, dass Sie gut lernen können. Lernen Sie an einem Ort, der für das Lernen „gemacht“ ist. Das ist nicht Ihr Bett (hier schlafen Sie normalerweise) und auch nicht der Esstisch (hier essen Sie normalerweise). Am besten nutzen Sie einen Schreibtisch. Sorgen Sie dafür, dass dieser aufgeräumt ist und Sie sich wohl fühlen.
Planen Sie Ihr Lernpensum! Wie viele Pomodoro-Einheiten sollen es heute sein? Verschaffen Sie sich einen Überblick über die Lernmenge und teilen Sie sie so ein, dass Sie nicht überfordert sind. Denken Sie daran, Wiederholungen einzuplanen. Auch Pufferzeiten für Unvorhergesehenes sollten berücksichtigt werden.
Machen Sie Pause! Auch Ihr Gedächtnis braucht Pausen, damit es wieder volle Leistung bringen kann. Sie sollten daher alle 90 Minuten mindestens 15 Minuten Pause einplanen. Nach einer längeren Lernzeit sollten Sie mindestens zwei Stunden Pause machen.
Ernähren Sie sich bewusst! Das Sprichwort „Ein voller Bauch studiert nicht gern“ hat durchaus seine Berechtigung. Aber auch mit leerem Magen lässt es sich nicht aufs Lernen konzentrieren. Achten Sie daher darauf, dass Sie ausreichend satt sind und genug zu Trinken bereitsteht.
Bewegen Sie sich regelmäßig und entspannen Sie sich! Einer Schülerin mit Prüfungsangst und daraus resultierenden Schlafstörungen habe ich vor Ihrer Abschlussprüfung Teil 1 die Empfehlung gegeben, abends nicht mehr zu lernen und stattdessen einen ausgiebigen Spaziergang an der frischen Luft zu unternehmen. Als ich sie nach der Prüfung nach der erfolgreichsten Strategie gegen ihre Prüfungsangst fragte, nannte sie mir diese Spaziergänge. Bewegung lockert die Muskeln und sorgt für Abwechslung. Bewusstes Atmen sorgt zusätzlich für mehr Entspannung.
Prüfungssituationen simulieren
Wenn Sie sich inhaltlich gut auf die Prüfung vorbereitet haben, ist es nun ratsam, die Prüfung zu simulieren – damit Sie wissen, mit welchem „Gegner“ Sie es zu tun haben. Vielleicht gibt es Prüfungsvorlagen, an denen Sie sich orientieren können? Finden Sie heraus, wie die Fragestellungen aufgebaut sind und wie Sie Ihre Antwort strukturieren müssen, um möglichst viele Punkte zu erreichen. Durchlaufen Sie ruhig eine Probeprüfung unter Zeitdruck, um zu sehen, wie Sie mit der vorgegebenen Zeit zurechtkommen. Dabei ist es sinnvoll, wenn Sie ehrlich zu sich selbst sind und während der Prüfung keine Hilfsmittel verwenden. Vielleicht finden Sie jemanden, der Ihre Prüfung auswertet und Ihnen ein erstes Ergebnis nennen kann. Dann haben Sie eine OrienS. 19tierung, wo Sie stehen und was Sie noch tun können, um besser zu werden.
Es ist wichtig, dass Sie sich bewusst machen, dass Fehler in einer Probeprüfung als Information dienen, was Sie noch üben müssen. Aber auch richtig gelöste Aufgaben können Ihnen Aufschluss darüber geben, was Sie können oder welche Schritte zur richtigen Lösung notwendig sind. Daher sollten Sie Ihre Probeprüfung ausführlich analysieren: sowohl die richtigen als auch die falsch gelösten Aufgaben.
Entspannungstechniken anwenden
Zu guter Letzt ist es bei aufsteigender Panik immer ratsam, sich bewusst zu entspannen. Eine Möglichkeit, die Sie auch gut während einer Prüfung durchführen können, ist es „mental zu verreisen“. Wenn Sie also merken, dass Sie panisch werden, dann schließen Sie Ihre Augen und reisen Sie gedanklich an einen Ort, an dem Sie sich gut und sicher fühlen. Ist es der Strand? Oder sind Sie auf einem Berg? Stellen Sie sich diesen Rückzugsort so exakt wie möglich vor. Wie riecht es an diesem Ort? Welche Geräusche hören Sie? Wie sieht die Umgebung aus? Ist es windig oder nicht? Wie warm oder kalt ist es an diesem Ort? Meist helfen bei einer mentalen Reise bereits zwei Minuten, um sich wieder zu beruhigen und fokussiert weiterzuarbeiten. Üben Sie Ihre mentale Reise bereits zu Hause, damit Sie sich schneller an Ihren mentalen Rückzugsort begeben können.
Auch Atemtechniken können eine gute Alternative zur mentalen Reise sein. Hier sei das sog. Intervallatmen empfohlen. Diese Atemtechnik erhöht Ihre Ausdauer, Ihre Konzentration und Ihre Toleranz gegenüber Stress.
Anschließend beginnen Sie wieder von vorne. Nach einiger Zeit können Sie die Intervalle schrittweise von vier auf fünf auf sechs usw. erhöhen.
Wenn gar nichts mehr hilft: Holen Sie sich professionelle Hilfe
Wenn Ihnen die vorgestellten Tipps und Tricks nicht helfen und Sie wirklich panische Prüfungsangst haben, dann ist professionelle Hilfe ratsam. Eine Beratung in Anspruch zu nehmen ist nichts Schlimmes, ganz im Gegenteil: es zeugt von professioneller Haltung, sich selbst einzugestehen, wenn man alleine nicht mehr weiterkommt. Ausgebildete Prüfungscoaches (z. B. PAC(r) Prüfungscoaches von www.mein-pruefungscoach.de) kennen hilfreiche Tipps und Tricks rund um das Thema Blackout, Motivationsmangel und Prüfungsangst.
Wie gesagt, ein gewisses Maß an Prüfungsangst ist vollkommen normal und tatsächlich sogar nützlich. Wenn aber so viel Angst im Spiel ist, dass die Konzentration schwindet, schlaflose Nächte bevorstehen und Sie nicht mehr gut vorbereitet sind, dann testen Sie die Tipps und Tricks dieses Artikels.
Viel Erfolg bei Ihrer nächsten Prüfung und eine entspannte Vorbereitungszeit wünscht Verena Bettermann.
Abb. 3: Vorgehen beim Intervallatmen
Fundstelle(n):
BÜRO 6/2022 Seite 16
WAAAI-62555