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Vertreterhaftung nach § 69 AO
Praxisrelevante Fragen unter Beachtung aktueller Rechtsprechung
[i]Geißler, Haftung des Vertreters, infoCenter, NWB OAAAB-83024 Der BFH hat aktuell mit Urteil v. - VII R 32/20 (NWB ZAAAI-60584) entschieden, unter welchen Voraussetzungen eine GmbH-Geschäftsführerin für nicht von ihr angemeldete und abgeführte Lohnsteuer gem. §§ 69, 34 AO haftet und inwieweit sie sich nicht allein damit entlasten kann, einen Steuerberater eingeschaltet zu haben. Der Fall zeigt, dass gerade GmbH-Geschäftsführer Gefahr laufen, für die steuerlichen Verbindlichkeiten ihrer GmbH unbeschränkt mit ihrem gesamten Vermögen einstehen zu müssen. Vor dem Hintergrund dieses Gefährdungspotenzials sollen praxisrelevante Fragen beantwortet werden.
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I. Grundstruktur der Haftung nach § 69 AO
1. Bedeutung der Vorschrift
[i]Einstehenmüssen für fremde SteuerschuldenIm Unterschied zum Zivilrecht bedeutet Haftung im Steuerrecht, dass für die Steuerschulden eines anderen eingestanden werden muss, im Fall eines GmbH-Geschäftsführers also, dass dieser für die Steuerschulden der GmbH einzustehen hat (, BStBl 2015 II S. 755). Zwischen beiden besteht Gesamtschuldnerschaft nach § 44 Abs. 2 Satz 1 AO (Zugmaier/Nöcker/Kohler, § 69 AO Rz. 2). Gleichzeitig ergibt sich daraus auch, dass sich Steuerschuldnerschaft und Haftung gegenseitig ausschließen (, NWB OAAAG-88855). S. 1494
2. Wirkung der Norm
[i]Verschuldensabhängig und unbeschränkte HaftungBei der Haftungsnorm des § 69 AO handelt es sich um eine verschuldensabhängige (Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit) und im Gegensatz etwa zur Haftung nach § 74 AO nicht gegenständlich beschränkte Haftung, so dass der Haftungsschuldner – Personenkreis nach §§ 34, 35 AO − ggf. mit seinem gesamten Vermögen einzustehen hat.
Wegen des öffentlich-rechtlichen Charakters der Haftung nach § 69 AO kann sie gegenüber dem Fiskus auch nicht abgedungen werden (Zugmaier/Nöcker/Kohler, § 69 AO Rz. 2).
[i]SchadensersatzcharakterDie Haftung nach § 69 AO hat zwar Schadensersatzcharakter, weil sich die Haftung auf den Betrag beschränkt, der infolge der vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Pflichtverletzung nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder entrichtet wurde, ist aber keine Schadensersatznorm (, BStBl 2015 II S. 119; , NWB EAAAH-72433).
3. Geltendmachung der Haftung
[i]Gerlach, Ermessen, infoCenter, NWB HAAAB-04808 Die Finanzverwaltung hat bei der Inhaftungnahme ein Ermessen in Form eines Entschließungs- und eines Auswahlermessens. Insofern entscheidet die Finanzbehörde, wenn der Haftungstatbestand des § 69 AO erfüllt ist, ob sie überhaupt jemanden in Haftung nimmt und wenn ja, wen von mehreren Haftungsschuldnern bzw. in welcher Höhe sie diesen oder diese heranzieht (Zugmaier/Nöcker/Kohler, § 69 AO Rz. 58; , NWB BAAAH-97172; (L), NWB NAAAH-76487). Sie hat die Ermessensausübung entsprechend zu begründen (, NWB JAAAI-59899).
[i]Zweistufige HaftungsprüfungDaraus ergibt sich, dass die Haftungsprüfung in zwei Stufen erfolgt. Zum einen ist zu prüfen, ob die Voraussetzungen des Tatbestands der Haftungsnorm des § 69 AO in der Person des Haftungsschuldners erfüllt sind (1. Stufe) und sodann ist die Ermessensausübung nach § 191 Abs. 1 Satz 1 AO zu tätigen (2. Stufe). Die erste Stufe ist voll durch die Finanzgerichtsbarkeit überprüfbar, die zweite nur im Rahmen des § 102 FGO (, NWB MAAAH-29869; mit Anm. Gehm, USt direkt digital 19/2019 S. 10; , NWB DAAAH-59959).
[i]Keine SubsidiaritätDas Subsidiaritätsprinzip des § 219 Satz 1 AO kommt bei der Haftung nach § 219 Satz 2 AO nicht in Betracht, weil die Personen i. S. von § 34, 35 AO Steuern zulasten eines anderen zu entrichten haben. Somit ist nicht primär der Steuerschuldner heranzuziehen.
[i]Realisierung durch HaftungsbescheidRealisiert i. S. von § 218 Abs. 1 Satz 1 AO wird der Haftungsanspruch durch einen Haftungsbescheid gem. § 191 AO. Im Haftungsverfahren bestehen für den Haftungsschuldner Mitwirkungspflichten nach §§ 90 bzw. 93 AO. Auch wenn die Finanzverwaltung grundsätzlich die Beweislast für die Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen der Haftung trägt, kann sich bei Verstoß gegen die Mitwirkungspflichten eine Verschiebung der Beweislast nach den Grundsätzen des Beweisverderbers ergeben (Zugmaier/Nöcker/Kohler, § 69 AO Rz. 63).
II. Haftungsschuldner
Nach § 69 AO haften die gesetzlichen Vertreter und Vermögensverwalter i. S. von § 34 AO sowie die Verfügungsberechtigten gem. § 35 AO.
1. Formale Stellung gem. §§ 34, 35 AO
[i]Vorwiegend Haftung von GmbH-GeschäftsführernIn erster Linie werden gesetzliche Vertreter nach § 34 Abs. 1 Halbsatz 1 AO wie bspw. Geschäftsführer einer GmbH (§ 35 Abs. 1 GmbHG) – weshalb § 69 AO auch gemeinhin als Geschäftsführer-Haftung tituliert wird − oder Vereinsvorstände (§ 26 BGB) erfasst. S. 1495Konzentriert wird sich im Folgendem auf den in der Praxis den Schwerpunkt bildenden Fall der Haftung eines GmbH-Geschäftsführers nach § 69 AO.
Für die Haftung ist nicht erforderlich, dass der GmbH-Geschäftsführer ins Handelsregister eingetragen ist, wenn er ansonsten formell ordnungsgemäß durch die Gesellschafterversammlung bestellt wurde (, NWB IAAAA-70957).