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WP Praxis Nr. 6 vom Seite 214

Fall Wirecard: Schadenersatz für die Aktionäre

EuGH-Vorabentscheidung versus KapMuG

RA Dr. Philipp Fölsing

Den Wirecard-Aktionären droht ein Totalverlust. Denn in der Insolvenz gehen sie leer aus. Ihre Schadenersatzansprüche werden gem. § 39 Abs. 3 InsO genau wie ihre Einlagen nicht bei der Schlussverteilung im Insolvenzverfahren berücksichtigt. Nach § 199 InsO treten sie hinter alle Insolvenzgläubiger und nachrangigen Gläubiger zurück. Deshalb nehmen zahlreiche Aktionäre die langjährige Abschlussprüferin der Wirecard AG auf Schadenersatz in Anspruch. Wegen der Vielzahl der gleichartigen Forderungen leitete gem. § 32b Abs. 1 ZPO das LG München I am Sitz der Emittentin ein Musterverfahren nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) ein. Gemäß § 6 Abs. 1 KapMuG legte es dem übergeordneten BayObLG verschiedene Feststellungsziele zur Herbeiführung eines für die Einzelverfahren verbindlichen Musterentscheids vor. Dabei erscheint zweifelhaft, ob das KapMuG auf Bestätigungsvermerke des Abschlussprüfers überhaupt anwendbar ist.

Fölsing, Gewagter Vergleich: Wirecard-Jahresabschluss gegenüber Dieselgate, WP Praxis 3/2022 S. 82, NWB LAAAI-04320

Kernaussagen
  • § 1 Abs. 2 Satz 1 KapMuG definiert öffentliche Kapitalmarktinformationen als Informationen über Tatsachen, Umstände, Kennzahlen und sonstige Unternehmensdaten. Sie sind für eine Vielzahl von Kapitalanlegern bestimmt und betreffen einen Emittenten von Wertpapieren oder einen Anbieter sonstiger Vermögensanlagen.

  • Aus den in § 1 Abs. 2 Satz 2 KapMuG genannten Regelbeispielen ergibt sich jedoch, dass die Kapitalmarktinformation von dem Emittenten selbst herrühren muss. Informationen eines unternehmensfremden Dritten wie des Abschlussprüfers fallen nicht unter § 1 Abs. 2 KapMuG.

  • Selbst bei leichtfertigen und damit vorsätzlich-sittenwidrigen Prüfungsfehlern ist die Dritthaftung des Abschlussprüfers nicht unbegrenzt. Dritte haben gem. § 826 BGB nur dann einen Schadenersatzanspruch gegen den Prüfer, wenn sich die Pflichtverletzung und der Vorsatz des Prüfers gegen sie richten.

I. Vorlagebeschluss des LG München I vom

1. Feststellungsziele

Mit Beschluss vom legte das LG München I gem. § 6 Abs. 1 KapMuG dem in Bayern gem. Abs. 6 Satz 1 für Kapitalanleger-Musterverfahren zuständigen BayObLG in Bezug auf die Abschlussprüferin der Wirecard AG zusammengefasst folgende Feststellungsziele vor: Die Prüfungsgesellschaft soll durch ihre uneingeschränkten Bestätigungsvermerke für die Geschäftsjahre 2014 bis 2018 gem. § 830 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Var. 2 BGB Beihilfe zu der Verletzung von Publizitätspflichten der Wirecard AG aus §§ 37b, c und v WpHG a. F. (§§ 97, 98, 114 WpHG n. F.) geleistet haben. Die Unrichtigkeit ihrer Bestätigungsvermerke habe sie billigend in Kauf genommen. Denn sie habe sich weder Originalkontoauszüge und Banksaldenbestätigungen zu den angeblich auf ausländischen Treuhandkonten vorhandenen Guthaben vorlegen lassen, noch die behaupteten Zahlungseingänge auf diesen Treuhandkonten überprüft. Der Kursdifferenzschaden sei ohne konkreten Kausalitätsnachweis ersatzfähig. Für die Schadenersatzklagen gegen die Prüfungsgesellschaft sei das LG gem. § 71 Abs. 2 Nr. 3 GVG unabhängig vom Wert des Streitgegenstands sachlich zuständig, da es sich bei den streitigen Bestätigungsvermerken um öffentliche Kapitalmarktinformationen gehandelt habe.