BGH Beschluss v. - XII ZB 183/11

Kostenfestsetzung: Erstattungsfähigkeit von Mehrkosten eines Anwaltswechsels nach Zulassungsrückgabe durch den erstbevollmächtigten Rechtsanwalt

Leitsatz

Zur Erstattungsfähigkeit von Mehrkosten gemäß § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO, die durch einen Anwaltswechsel entstanden sind.

Gesetze: § 85 Abs 2 ZPO, § 91 Abs 2 S 2 ZPO

Instanzenzug: OLG Frankfurt Az: 18 W 20/11vorgehend LG Limburg Az: 1 O 242/04

Gründe

1Die Parteien streiten im Kostenfestsetzungsverfahren um die Berechtigung von Mehrkosten, die durch einen Anwaltswechsel der Beklagten entstanden sind.

2In dem zugrunde liegenden, im Juni 2004 begonnenen Rechtsstreit hatte die Rechtsanwältin, die den Beklagten im Rahmen der bewilligten Prozesskostenhilfe beigeordnet worden war, ihre Zulassung im Juni 2006 zurückgegeben, weil sie in finanzielle Schwierigkeiten geraten war. Das Landgericht hatte den Beklagten daraufhin Rechtsanwalt T. beigeordnet.

3Mit Urteil vom hat das Landgericht dem Kläger 71 % und den Beklagten 29 % der Kosten des Rechtsstreits auferlegt. In ihrer Kostenberechnung haben die Beklagten die Gebühren für beide Rechtsanwälte angemeldet. Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom hat die Rechtspflegerin des Landgerichts die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Beklagten mit 3.425,72 € berechnet und in Höhe von 71 % in Ansatz gebracht. Dabei hat sie die von den Beklagten verlangten Mehrkosten für den später beigeordneten Rechtsanwalt T. nicht berücksichtigt.

4Die Beklagten haben mit der gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom gerichteten sofortigen Beschwerde beantragt, auch die angemeldeten Gebühren für ihren zweiten Rechtsanwalt festzusetzen. Das Oberlandesgericht hat diesen Antrag dahingehend ausgelegt, dass unter Berücksichtigung der Erstattungsquote von 71 % nur ein Betrag von weiteren 1.840,45 € geltend gemacht werden solle. Es hat die sofortige Beschwerde mit Beschluss vom wegen fehlender Beschwer in Höhe von 446,16 € als unzulässig verworfen und sie im Übrigen zurückgewiesen. Gegen die Zurückweisung der sofortigen Beschwerde richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde der Beklagten, mit der sie ihr Beschwerdeziel in Höhe von 1.394,29 € weiter verfolgen.

II.

5Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

61. Das Oberlandesgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die sofortige Beschwerde der Beklagten sei im Umfang ihrer Zulässigkeit nicht begründet. Die Beklagten hätten neben dem Anspruch auf Erstattung der Kosten für die erste Rechtsanwältin keinen Anspruch auf Erstattung der durch die Beauftragung des zweiten Rechtsanwalts entstandenen Kosten. Sie hätten nicht hinreichend dargelegt, dass ein Wechsel in der Person des Rechtsanwalts habe eintreten müssen und damit gemäß § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO notwendig gewesen sei.

7Von einem notwendigen Anwaltswechsel könne nur dann ausgegangen werden, wenn die Partei daran kein Verschulden treffe. Dabei müsse sich die Partei das Verschulden ihres ausscheidenden Rechtsanwalts gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen. Die Frage, ob den Rechtsanwalt ein Verschulden treffe, sei deshalb im Kostenfestsetzungsverfahren zu berücksichtigen und sei nicht als materiell-rechtlicher Einwand unbeachtlich.

8Da es sich bei der Erstattungsfähigkeit der durch einen weiteren Rechtsanwalt verursachten Kosten um eine Ausnahme handele, obliege es dem Kostengläubiger darzulegen und glaubhaft zu machen, dass weder ihn noch den zuerst beauftragten Rechtsanwalt ein Verschulden an dem Anwaltswechsel treffe. Die Beklagten hätten hier schon nicht hinreichend dargelegt, dass es an einem Verschulden der von ihnen zunächst beauftragten Rechtsanwältin fehle. Zwar könne davon ausgegangen werden, dass diese die Aufgabe ihrer Anwaltstätigkeit bei Übernahme des Mandats im Mai 2004 noch nicht habe absehen können. Auch sei anzunehmen, dass sie ihre Berufshaftpflichtversicherung zuletzt nicht weiter habe unterhalten können. Die konkreten wirtschaftlichen Hintergründe, die schließlich zur Kanzleiaufgabe geführt hätten, seien indes auch bei Berücksichtigung "diverser Zahlungsausfälle" offen geblieben, so dass nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden könne, dass die zuerst beauftragte Rechtsanwältin die finanziellen Schwierigkeiten unter zumutbaren Anstrengungen hätte vermeiden können und damit eine Fortsetzung der Anwaltstätigkeit möglich gewesen sei.

92. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.

10a) Nach § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO sind die Kosten mehrerer Rechtsanwälte, sofern sie die Kosten eines Rechtsanwalts übersteigen, nur insoweit zu erstatten, als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste.

11aa) Zu Recht geht das Beschwerdegericht davon aus, dass ein Anwaltswechsel nur dann notwendig im Sinne von § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO ist, wenn er nicht auf ein Verschulden der Partei oder ein ihr nach dem Grundgedanken von § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden ihres Rechtsanwalts zurückzuführen ist (OLG Celle NJW-RR 2011, 485; - juris Rn. 3; OLG Koblenz Rechtspfleger 2004, 184; OLG Frankfurt JurBüro 1986, 453; KG JW 1934, 3145 f. und JW 1934, 914 f.; Stein/Jonas/Bork ZPO 22. Aufl. § 91 Rn. 144; Musielak/Wolst ZPO 8. Aufl. § 91 Rn. 22; Zöller/Herget ZPO 29. Aufl. § 91 Rn. 13 "Anwaltswechsel"; MünchKommZPO/Giebel 3. Aufl. § 91 Rn. 70 mwN). Denn nach dem Sinn und Zweck von § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO, der auf eine Einschränkung der Erstattungsfähigkeit gerichtet ist, reicht für die Erstattungsfähigkeit von Mehrkosten, die durch einen Anwaltswechsel entstanden sind, nicht schon die objektive Notwendigkeit des Anwaltswechsels aus. Vielmehr ist § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO dahin auszulegen, dass ein Wechsel nur dann eintreten musste, wenn er darüber hinaus unvermeidbar war, somit nicht schuldhaft verursacht worden ist.

12Der Rechtspfleger hat deshalb bei der Prüfung, ob der Erstattungsgläubiger einen zweiten Rechtsanwalt beauftragten musste, nicht nur zu prüfen, ob die Beauftragung des zweiten Rechtsanwalts objektiv notwendig war, sondern darüber hinaus auch, ob der Wechsel auf Umständen beruht, welche die Partei oder - dem Grundgedanken des § 85 Abs. 2 ZPO entsprechend - der Anwalt hätte voraussehen oder in irgendeiner, nur in der Zumutbarkeit eine Grenze findenden Weise hätte verhindern können. Dabei hat er allerdings nicht zu prüfen, ob die erstattungsberechtigte Partei ihrem Prozessbevollmächtigten überhaupt eine Vergütung schuldet, weil es sich insoweit um eine materiell-rechtliche Frage handelt, die im Kostenfestsetzungsverfahren nicht zu berücksichtigen ist (vgl. - NJW-RR 2007, 422).

13bb) Den Rechtsanwalt trifft bei einer Rückgabe der Zulassung kein Verschulden an dem dadurch notwendig gewordenen Anwaltswechsel, wenn er seine Zulassung aus achtenswerten Gründen aufgegeben hat und er bei Mandatsübernahme nicht vorhersehen konnte, dass er die Zulassung in absehbarer Zeit aufgeben und deshalb den Auftrag voraussichtlich nicht zu Ende führen könne (RGZ 33, 369, 371; - NJW 1957, 1152, 1153; OLG Frankfurt JurBüro 1986, 453; OLG Koblenz MDR 1991, 1098; OLG Düsseldorf JurBüro 1993, 731; OLG Hamm NJW-RR 1996, 1343; OLG Koblenz FamRZ 2006, 1559; MünchKommZPO/Giebel 3. Aufl. § 91 Rn. 73; Musielak/Wolst ZPO 8. Aufl. § 91 Rn. 22 f.; Stein/Jonas/Bork ZPO 22. Aufl. § 91 Rn. 146; aA OLG Naumburg OLGR 2005, 438 f.; OLG München NJW-RR 2002, 353 aufgegeben in MDR 2007, 1346).

14Ob die Aufgabe der Anwaltszulassung auf achtenswerten Gründen beruht, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen. Diese Umstände müssen die Beklagten, die sich als Kostengläubiger auf die Ausnahmebestimmung des § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO berufen, darlegen und glaubhaft machen.

15b) Das Oberlandesgericht ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass die Beklagten solche Umstände nicht hinreichend dargetan und glaubhaft gemacht haben.

16aa) Die Beklagten haben hierzu vorgetragen, für ihre zuerst bevollmächtigte Rechtsanwältin sei bei Mandatsübernahme im Mai 2004 nicht absehbar gewesen, dass sie die Kanzlei im Sommer 2006 aus wirtschaftlichen Gründen werde aufgeben müssen. Im Jahr 2005 sei sie durch verschiedene Zahlungsausfälle wie Nichtzahlung der Anwaltsvergütung und verspätete Honorarzahlungen von Versicherungsgesellschaften oder in Prozesskostenhilfesachen in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten. Nach der fristlosen Kündigung der Kanzleiräume im Februar 2006 wegen Zahlungsverzugs und wegen des schlechten Gesundheitszustands ihres Vaters sei sie nach Nordrhein-Westfalen umgezogen. Dort habe sie zunächst die ihr übertragenen Mandate weiter geführt. Allerdings hätten die Einnahmen nicht ausgereicht, um allen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen. Nachdem sie weder den Beitrag zu ihrer Vermögensschadenshaftpflichtversicherung noch den Kammerbeitrag mehr habe zahlen können, habe sie sich im Juni 2006 entschlossen, die Kanzlei aufzugeben und die Zulassung zurückzugeben.

17bb) Wirtschaftliche Schwierigkeiten eines Rechtsanwalts stellen regelmäßig keinen achtenswerten Grund im Sinne von § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO für die Aufgabe der Zulassung dar. Der Rechtsanwalt hat vielmehr seine für die Aufrechterhaltung des Kanzleibetriebs erforderliche Leistungsfähigkeit sicherzustellen. Ob in Fällen, in denen die wirtschaftlichen Schwierigkeiten auch auf unvorhersehbaren persönlichen Gründen beruhen, eine abweichende Beurteilung geboten ist, muss hier nicht entschieden werden, weil das Oberlandesgericht solche entscheidungserheblichen Gründe nicht festgestellt hat und solche auch nicht ersichtlich sind.

Dose                                                        Vézina                                      Klinkhammer

                        Nedden-Boeger                                            Botur

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
CAAAI-33801