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Forderungsmanagement und Vertrieb
Wie Ihre Mandanten beides aufeinander abstimmen können
Sie haben es bei Ihren Mandanten sicher schon oft erlebt: Zwischen Mitarbeitern im Vertrieb und Mitarbeitern im Debitoren- bzw. Forderungsmanagement bestehen Meinungsverschiedenheiten darüber, ob Kunden (weiter) beliefert oder gemahnt werden sollen. Nicht selten müssen Sie feststellen, dass sich solche situativen Meinungsverschiedenheiten über die Zeit zu regelrechten Konflikten zwischen den handelnden Personen oder gar zwischen den Funktionsbereichen Vertrieb und Forderungsmanagement verfestigt haben. Das aber bindet sehr viel Zeit und Energie. Ganz nebenbei bleiben dadurch aber auch die Ergebnisse unter ihren Möglichkeiten. Und: Das Klima und die Stimmung im Unternehmen verschlechtern sich. Gerade jetzt, da die Situation aufgrund der Corona-Pandemie in vielen Unternehmen unsicher ist, müssen Sie stattdessen versuchen, die im Unternehmen Ihrer Mandanten vorhandenen Ressourcen optimal und friktionsfrei zu nutzen. Vertrieb und Forderungsmanagement müssen gemeinsam ihr Wissen und ihre Erfahrungen maximal nutzen, um Umsatzchancen und Forderungsausfallrisken gerade in den sehr schwierigen Rahmenbedingungen möglichst zuverlässig einzuschätzen. Übrigens: Für die Analyse des Forderungsmanagements steht Ihnen in der NWB Datenbank das Tool „Forderungsmanagement mit Kennzahlen“, NWB JAAAC-85999, zur Verfügung.
Forderungsmanagement mit Kennzahlen, NWB JAAAC-85999
I. Forderungsmanagement und Vertrieb – von der Zielkonkurrenz zum Zielkonflikt?
Forderungsmanagement und Vertrieb haben unterschiedliche Funktionen im Unternehmen und damit auch verschiedene Zielsetzungen, über die die Abteilungen/Bereiche gesteuert werden.
Dem Vertrieb kommt die Aufgabe zu, die vom Unternehmen erzeugten Dienstleistungen oder Produkte „an den Mann/die Frau zu bringen“. Er soll Zielgruppen finden, die bereit sind, Geld für die Produkte und Dienstleistungen auszugeben. Er soll den potenziellen Interessenten den Nutzen vermitteln können und sie zum Kauf bewegen. Sehr häufig wird der Vertriebserfolg (die Zielerreichung) mit Hilfe der Kennzahlen Umsatz, Ertrag, Deckungsbeitrag, Stückzahlen oder Volumen gemessen.
Das Forderungsmanagement soll grundsätzlich die Existenz und die Liquidität des Unternehmens sichern. Das bedeutet, dass das Forderungsmanagement Forderungsausfälle verhindern und die pünktliche und vollständige Bezahlung der Rechnungen sicherstellen muss. Dabei wird leider häufig „übersehen“, dass das Forderungsmanagement außerdem die Erreichung der Umsatz- und Marktanteilsziele aktiv unterstützen bzw. fördern soll.
Diese kurze Darstellung verdeutlicht bereits, dass die Zielverfolgung von Vertrieb und Forderungsmanagement in der betrieblichen Praxis nicht immer konkurrenzfrei erfolgen kann. Dabei kommt es auch immer wieder zu Konstellationen, in denen sich die Interessen der Vertriebler und der Forderungsmanager diametral gegenüberstehen. Werden diese Situationen durch Ihre Mandanten nicht aufgelöst, manifestieren sich recht häufig Konflikte, die eine sachgerechte Problemlösung dauerhaft verhindern oder zumindest erschweren.
Wehret den Anfängen! Wenn Sie im Unternehmen Ihres Mandanten feststellen, dass es zu konfliktträchtigen Situationen zwischen Vertrieb und Forderungsmanagement kommt, dann müssen Sie handeln. Je schneller, desto besser. Denn diese Konflikte lösen sich nicht „von selbst“. Verhindern Sie durch rasches und konsequentes Handeln, dass sich Konflikte manifestieren.S. 40
II. Konfliktursachen anhand von Fragen analysieren
Um die alltäglichen Spannungen zwischen den Abteilungen oder Funktionen nachhaltig abbauen und beseitigen zu können, ist es erforderlich, die Ursachen für die Konflikte zu kennen. Versuchen Sie daher, die nachfolgenden Fragen für Ihre Mandanten zu beantworten.
Frage 1: Sind die Konflikte im Zielsystem immanent angelegt oder hausgemacht?
Nein, aber das Verhältnis der Ziele von Vertrieb und Forderungsmanagement ist – wie in vielen anderen Fällen im Unternehmen auch – konkurrierend. Umsatzsteigerung und Vermeidung von Forderungsausfällen sind keine sich gegenseitig ausschließende Ziele. Es muss nicht zwingend nach der Devise „entweder-oder“ gehandelt werden. In der bei weitem überwiegenden Zahl der Fälle können Lösungen gefunden werden, die in die Kategorie „sowohl-als-auch“ passen. Häufig lassen sich Lösungen finden, in denen man das eine tun kann, ohne das andere zu lassen.
Beispielhaft heißt das: Den Umsatz steigern, ohne das Ausfallrisiko zu erhöhen. Wie das geht? Man kann das Forderungsausfallrisiko versichern, Factoring betreiben, Zahlungsbedingungen anpassen oder sich auf Kunden bzw. Märkte konzentrieren, die eine gute/bessere Bonität besitzen.
Wenn die Ziele von Forderungsmanagement und Vertrieb nun nicht zwingend konfliktär sind, warum entstehen dann so häufig Konflikte?
Die (verfestigten) Reibungen zwischen den beiden Funktionsbereichen resultieren auch aus organisatorischen Zuständigkeiten und Kompetenzregelungen. Unternehmen, die ihr Forderungsmanagement analog zu den „Mindestanforderungen an das Credit Management (MaCM)“ organisieren, trennen die Zuständigkeit für den Vertrieb und das Forderungsmanagement. Denn dort wird gefordert: „Das Credit Management ist eine vom Vertrieb unabhängige Funktion“ (vgl. Bundesverband Credit Management e. V., Mindestanforderungen an das Credit Management (MaCM), Version 4.0, 2020, S. 10).
Diese Regelung sorgt einerseits dafür, dass das Forderungsmanagement einen angemessenen Stellenwert in den Entscheidungen im Unternehmen erhält. Andererseits entstehen daraus aber auch Konkurrenzsituationen zwischen Bereichen und auch zwischen den verantwortlich handelnden Personen. Manchmal geht es bei den anstehenden Entscheidungen dann nicht mehr um Sachfragen, sondern einfach nur noch um Zuständigkeiten, um Macht und den eigenen Stellenwert im Unternehmen.
Die Eingangsfrage ist konkret zu beantworten: Die Konflikte resultieren weniger aus dem Zielsystem als vielmehr aus den strukturellen, organisatorischen Regelungen in Verbindung mit persönlichen Befindlichkeiten und Machtfragen.
Frage 2: Führen die Mentalitätsunterschiede zwangsläufig zu den Spannungen?
Wenn Mitarbeiter im Vertrieb und Mitarbeiter im Forderungsmanagement charakterisiert werden, dann sieht das Ergebnis so aus, als „prallten Welten aufeinander“.
Vertriebsmitarbeiter werden meist charakterisiert als risikofreudig, selbstbewusst, geistig flexibel, motiviert, leistungsorientiert, extrovertiert, überzeugend, empathisch, wortgewandt, abschlussorientiert, praktisch oder zupackend.
In der innerbetrieblichen Wahrnehmung sind die Vertriebler häufig die Macher oder diejenigen, die das Unternehmen nach vorne bringen. Aber sie werden auch als oberflächlich, chaotisch oder draufgängerisch wahrgenommen. Vertriebsmitarbeitern wird zuweilen nachgesagt, dass sie sich in der Selbstwahrnehmung für die wichtigsten Personen im Unternehmen halten.
Im Vergleich dazu werden Forderungsmanager häufig so beschrieben: risikoscheu, akribisch, verantwortungsbewusst, detailverliebt, pedantisch, verlässlich, termintreu, vertrauenswürdig, kompetent, formalistisch, wortkarg oder introvertiert.
In der innerbetrieblichen Wahrnehmung sind die Forderungsmanager die Zahlenmenschen oder Regelwächter. Aber sie werden auch als diejenigen Personen wahrgenommen, die zuverlässig sind, präzise und korrekt. Forderungsmanager sehen sich oft selbst als die „grauen Mäuse“, als unterbewertet aber fachlich überlegen.
Die oben kurz skizzierten Unterschiede in der Selbst- und in der Fremdwahrnehmung der beiden Personengruppen ließen sich noch sehr weit ausführen. Sie würden aber lediglich das belegen, was offensichtlich ist: Vertriebsmitarbeiter und Forderungsmanager sind häufig unterschiedliche „Typen“, die im Unternehmen zeitweise „gezwungenermaßen“ zusammenarbeiten müssen. Man kann wohl kaum behaupten, dass diese beiden „Typen“ per se Seelenverwandte sind.
Dass es zwischen diesen Typen häufig zu Wahrnehmungsunterschieden, differierenden Situationsbewertungen und zu Kommunikationsstörungen kommen kann, liegt m. E. auf der Hand. Das ist aber für das Entstehen und das Verfestigen von Konflikten nicht ausschlaggebend. Nach meinen Erfahrungen resultieren die Konflikte viel stärker aus der sehr unterschiedlichen Realitätswahrnehmung und dem sehr unterschiedlichen Erleben der Kundenbeziehung.
Diese Unterschiede werden z. B. dann offensichtlich, wenn Sie beide Personengruppen bitten, die zehn besten Kunden des Unternehmens zu nennen: Während im Vertrieb wahrscheinlich die Key Account Kunden genannt werden, sind im Forderungsmanagement die Kunden mit erstklassiger Bonität und hervorragendem Zahlungsverhalten im Fokus. Zwischen beiden Listen wird es Überschneidungen geben, aber die Listen sind nicht deckungsgleich. S. 41
Übersicht 1 verdeutlicht, dass Vertrieb und Forderungsmanagement bei der Hälfte der möglichen Konstellationen eine unterschiedliche Realitätswahrnehmung aufweisen. Dass dort dann die Situation völlig unterschiedlich bewertet wird, ist selbstverständlich. Aber die gute Nachricht dabei ist, dass sich die Bewertung in 50 % der Fälle auch deckt.
Bei Lichte betrachtet, wird die Situation noch ein wenig besser. In der Praxis sorgen nämlich fast nur die Kunden im Quadranten „A“ für Meinungsverschiedenheiten. Kunden, die dem Quadranten „D“ zugeordnet sind, werden durch den Vertrieb nur selten aktiv akquiriert. Spannungen zwischen Vertrieb und Forderungsmanagement finden sich daher meist bei den Kunden mit hohem Deckungsbeitrag (oder Umsatz) bei gleichzeitig eher mäßiger Kreditwürdigkeit.
Wenn es Ihnen gelingt, bei den Kunden im Quadranten „A“ eine geteilte Wirklichkeit zwischen Vertrieb und Forderungsmanagement herzustellen, dann werden die Mentalitätsunterschiede nur noch wenig Konfliktpotenzial tragen.
Frage 3: Entstehen die Streitigkeiten immer nur situativ?
Sie werden bei Ihren Mandanten die Spannungen zwischen Forderungsmanagement und Vertrieb i. d. R. in konkreten, operativen Fällen/Fragestellungen erleben. Hier geht es meist um Fragen wie:
Kann diesem Kunden der vom Vertrieb heute gewünschte Kreditrahmen eingeräumt werden?
Muss der Kunde Sicherheiten für die Gewährung des Lieferantenkredits in dieser Höhe stellen?
Kann das vom Vertrieb für diesen Auftrag vorgesehene Zahlungsziel unter Bonitätsgesichtspunkten gewährt werden?
Kann diese Bestellung des Kunden noch ausgeführt werden, obwohl er aktuell fällige Rechnungen aufweist oder der Kreditrahmen momentan ausgeschöpft ist?
Darf der Kunde heute gemahnt werden? Wenn ja, durch wen und in welcher Form?
Es ist leicht nachvollziehbar, dass Vertrieb und Forderungsmanagement diese Fragen wahrscheinlich am liebsten unterschiedlich beantworten würden. Die konkurrierenden Ziele und die verschiedenen Mentalitäten sind dafür ursächlich.
Unterschiedliche Wunschvorstellungen und Erwartungen führen aber noch nicht zwingend zu Konflikten. Diese entstehen dann, wenn
das Problem nicht mehr auf Sachebene behandelt wird und/oder,
es an transparenten und verbindlichen Entscheidungsregeln mangelt.
Nach meiner Projekterfahrung ist das eine für das andere teilweise ursächlich. Je unvollständiger, unklarer und intransparenter Entscheidungsregeln definiert sind, umso häufiger/schneller werden Meinungsverschiedenheiten auf einer emotionalen Ebene oder der Beziehungsebene ausgetragen. Denn in der Kommunikation zwischen den Akteuren aus dem Vertrieb und dem Forderungsmanagement geht es stets um mehr als nur die reinen Sachfragen (vgl. dazu die Informationen zum Kommunikationsquadrat von Friedemann Schulz von Thun unter: https://go.nwb.de/2jn5u; zugegriffen am ).
Der Vertriebsmitarbeiter hat über einen längeren Zeitraum engagiert an der Akquisition des neuen Auftrags gearbeitet und sich dabei erfolgreich gegen den starken Wettbewerb durchgesetzt. In Gedanken wähnt er bereits eine schöne Vertriebsprovision als Lohn für seine Mühen auf seinem Konto. Doch der Forderungsmanager verweigert die Belieferung. Es kommt zu einer emotionalen Diskussion zwischen den Beteiligten, die auf die Beziehungsebene „gehoben“ wird.
Die Antwort auf die eingangs gestellte Frage lautet also: Situative Fragestellungen sind oft die Anlässe für Meinungsverschiedenheiten. Die Ursache für daraus entstehende Konflikte ist aber häufig ein fehlendes entscheidungsleitendes Regelwerk.
Frage 4: Wie wirken sich die verfügbaren Ressourcen auf die Spannungssituation aus?
In nahezu allen Bereichen der Unternehmen wird auf einen knappen Personaleinsatz geachtet. Teilweise sind aufgrund des Fachkräftemangels Abteilungen auch nicht voll besetzt. Bereits das führt dazu, dass sowohl Mitarbeiter im Forderungsmanagement als auch im Vertrieb nahezu dauerhaft unter Termindruck arbeiten.
Im Forderungsmanagement kommt häufig zusätzlicher Termindruck hinzu. Beispiele:
Bonitätsauskünfte lassen auf sich warten.
Die Kreditentscheidung drängt, weil wegen der vereinbarten Lieferzeiten unbedingt mit der Produktion begonnen werden muss.
Der Kunde hat eine Eilbestellung platziert, sein Kreditrahmen ist aber ausgereizt.
Eine Lieferung steht versandfertig bereit, der Kunde hat aber trotz Mahnung seine fälligen Rechnungen bislang nicht beglichen.
Vielfältige weitere Beispiele könnten hier aufgelistet werden. Allen diesen Beispielen ist der Termin- und Entscheidungsdruck gemeinsam, der bei den teilweise gegensätzlichen S. 42Interessenlagen von Vertrieb und Forderungsmanagement die Situation zusätzlich „befeuert“.
Aber auch hier stellt sich die Frage nach den vorhandenen Regelwerken: Sind die Entscheidungsregeln klar und eindeutig, kann sehr schnell und nachvollziehbar entschieden werden. Fehlen klare Regeln, dann entstehen viele emotionale beeinflusste Entscheidungen, die bei gegenläufigen Interessen unter hohem Zeitdruck getroffen werden müssen.
Kann man die Konflikte durch Regelwerke überhaupt dauerhaft lösen? Ja, die Konflikte können nicht nur dauerhaft gelöst werden, sie müssen sogar nachhaltig verhindert werden. Gerade für die aktuellen Rahmenbedingungen benötigen alle Akteure, Vertrieb und Forderungsmanagement in gleicher Weise, klare und eindeutige Richtlinien und Entscheidungsregeln.
In naher Zukunft werden eine Vielzahl schwieriger Kredit- und Lieferentscheidungen zu treffen sein, was nur dann effizient und effektiv möglich ist, wenn ein Regelwerk vereinbart wurde, dass das Gros der Entscheidungen zweifelsfrei definiert. Einzelfallentscheidungen müssen auf ein Minimum reduziert werden.
Wenn es bei Ihren Mandanten bereits eine Kreditrichtlinie gibt, dann ist jetzt der Zeitpunkt, um die Kreditrichtlinie an die erheblich veränderten Rahmenbedingungen aufgrund der Corona-Krise anzupassen. Falls es bei Ihren Mandanten noch keine Kreditrichtlinie gibt, dann sollte zum jetzigen Zeitpunkt eine zügige Erarbeitung begonnen werden.