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FG Berlin-Brandenburg Urteil v. - 4 K 4241/16 EFG 2020 S. 1029 Nr. 15

Gesetze: AO § 34, AO § 69, AO § 70, AO § 71, AO § 170 Abs. 2, AO § 171 Abs. 5, AO § 171 Abs. 10, AO § 191 Abs. 1, AO § 191 Abs. 3 S. 1, AO § 191 Abs. 3 S. 2, AO § 191 Abs. 3 S. 4, AO § 370 Abs. 1, AO § 378, FGO § 81, FGO § 82, FGO § 102 S. 1, ZPO § 415

Haftungsinanspruchnahme des Geschäftsführers einer GmbH infolge der Abgabe unrichtiger Körperschaftsteuererklärungen: Festsetzungsfrist für den Erlass des Haftungsbescheids

keine Steuerhinterziehung bzw. -verkürzung durch bloße Abgabe einer unrichtigen Steuererklärung

Regelungsbereich von § 191 Abs. 3 Satz 4 AO

Leitsatz

1. Gemäß § 191 Abs. 3 Satz 2 AO wird die Festsetzungsfrist für Haftungsbescheide – abweichend von den allgemeinen Regelungen – unter der Voraussetzung einer Steuerhinterziehung ausdrücklich nur bei Haftungstatbeständen nach § 70 AO und § 71 AO auf zehn Jahre verlängert, in anderen Haftungsfällen – also z. B. bei der Haftung gemäß § 69 AO – jedoch auch dann nicht, wenn Steuern hinterzogen wurden.

2. Bei der Körperschaftsteuer als Veranlagungssteuer tritt der Erfolg einer Steuerhinterziehung (erst) mit der Bekanntgabe des unrichtigen Steuerbescheids ein und nicht schon mit der Abgabe der Steuererklärung (hier: durch den Geschäftsführer einer GmbH). Für die Anwendung des § 71 AO reicht eine durch Abgabe einer unrichtigen Steuererklärung versuchte Steuerhinterziehung jedoch nicht aus, sodass insoweit auch eine Verlängerung der Festsetzungsfrist für den gegen den Geschäftsführer ergangenen Haftungsbescheid auf zehn Jahre gemäß § 191 Abs. 3 Satz 2 AO nicht in Betracht kommt. Durch die Abgabe einer unrichtigen Steuererklärung wird auch keine Steuerverkürzung im Sinne des § 378 AO verwirklicht.

3. § 191 Abs. 3 Satz 4 2. Halbsatz AO bestimmt keinen absoluten Endzeitpunkt, sondern den frühestmöglichen Zeitpunkt des Verjährungseintritts. Aus § 191 Abs. 3 Satz 4 2. Halbsatz AO in Verbindung mit § 171 Abs. 10 AO ergibt sich nicht, dass nach dem Erlass des Festsetzungsbescheids innerhalb eines Zweijahreszeitraums der Haftungsbescheid ergehen muss. Der Bescheid über die Festsetzung der Steuer entfaltet auf den Haftungsbescheid dieselbe Wirkung wie ein Grundlagenbescheid. Daher kann ein Haftungsbescheid noch innerhalb von zwei Jahren nach Bekanntgabe des Bescheides über die Festsetzung der Erstschuld erlassen werden, wobei es unbeachtlich ist, ob die Festsetzung der dem Haftungsanspruch zugrundeliegenden Steuer vor oder nach Ablauf der normalen Festsetzungsfrist des § 191 Abs. 3 Satz 2 AO erfolgt ist.

4. Die Anordnung der sinngemäßen Anwendung von § 171 Abs. 10 AO durch § 191 Abs. 3 Satz 4 Alt. 2 AO bezieht sich lediglich auf den dort angegebenen Zeitraum von zwei Jahren, ohne den gesamten Regelungsinhalt von § 171 Abs. 10 AO auf Haftungsbescheide zu übertragen. Von der in § 191 Abs. 3 Satz 4 AO getroffenen Regelung werden nicht nur Fälle der Anlaufhemmung (§ 170 Abs. 2 AO), sondern auch die Fälle einer Ablaufhemmung (§ 171 Abs. 5 AO), z. B. im Fall einer Steuerfahndungsprüfung erfasst.

5. Ist der Geschäftsführer einer GmbH wegen einer vollendeten Körperschaftsteuerhinterziehung verurteilt worden, so dürfen die wesentlichen Feststellungen des Landgerichts als Beweisergebnisse eines anderen Gerichtsverfahrens im Wege des Urkundsbeweises in den finanzgerichtlichen Prozess wegen der Haftungsinanspruchnahme des Geschäftsführers nach § 81 FGO und § 82 FGO in Verbindung mit § 415 ff ZPO eingeführt und verwertet werden.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
EFG 2020 S. 1029 Nr. 15
GmbH-StB 2022 S. 28 Nr. 1
LAAAH-93719

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