BGH Beschluss v. - 1 StR 525/20

Revision im Strafverfahren wegen Umsatzsteuerhinterziehung: Aufhebung des Ersturteils wegen unzureichender Feststellungen zur Vorsteuerabzugsberechtigung eines Baubetreuers und zum Einlassungsverhalten des Angeklagten

Gesetze: § 370 AO, § 15 Abs 1 S 1 Nr 1 UStG, § 2 Abs 1 UStG, § 16 Abs 1 S 1 StGB, § 267 StPO, § 354 StPO

Instanzenzug: LG Frankfurt Az: 5/02 KLs 8/19

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in zwei Fällen und wegen versuchter Steuerhinterziehung in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 250 Tagessätzen zu je 50 € verurteilt. Zudem hat es die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 35.112 € angeordnet. Die hiergegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).

21. Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte u.a. in den Jahren 2010 bis 2013 als Einzelkaufmann im Baubereich (u.a. Projektentwicklung, Baubetreuung) tätig. Der Zeuge K.    wollte auf einem Anwesen in F.              ein Wohngebäude mit drei Wohnungen errichten. Nach Beginn drohte das Bauprojekt indes wegen zusätzlichen Kapitalbedarfs zu scheitern. K.    entschloss sich daher, den Rohbau an drei - vom Angeklagten vermittelte - Ehepaare zu veräußern. Nach Abschluss des Grundstückkaufvertrages am zu einem Kaufpreis von 800.000 € schlossen am selben Tag die Erwerber mit dem Angeklagten einen notariellen ʺDienstleistungsvertragʺ, mit dem sich dieser gegenüber den Erwerbern zur bezugsfertigen Fertigstellung des Bauvorhabens verpflichtete: Der Angeklagte sollte anhand der vorliegenden Baubeschreibung die Aufträge für die Fertigstellung vergeben, die restlichen Bauarbeiten überwachen und koordinieren, die Handwerkerrechnungen prüfen sowie mit den ihm von den Erwerbern überlassenen Teilbeträgen in Höhe von 290.000 € und 275.000 € begleichen. Dabei gingen der Angeklagte, der die Hilfe von Fachleuten in Anspruch nehmen durfte, die Erwerber und K.   davon aus, dass K.     die noch ausstehenden Arbeiten fortsetzen sollte.

3Der Angeklagte, der auch die Rechnungen für das Bauvorhaben vor dem Grundstücksverkauf erhielt, überwies den Betrag von 290.000 € an K.   , um diesen für die vorangegangenen Bauarbeiten und Auslagen zu bezahlen. Zur Fortsetzung der Bauarbeiten beauftragte K.   , der sich selbst dazu verpflichtet sah und wie ein Bauleiter fungierte, die Bauhandwerker bzw. kaufte die Materialien bei den Baustoffhändlern ein. Da K.    im eigenen Namen auftrat, stellten die Handwerker und Händler ihre Rechnungen unter gesondertem Umsatzsteuerausweis an ihn als Leistungsempfänger aus. Auf die von K.   an den Angeklagten weitergereichten Eingangsrechnungen erstattete dieser aus den für die Erwerber treuhänderisch verwalteten Geldern dem Zeugen die verauslagten Beträge.

4Nachdem die Steuerberaterin des Angeklagten die Umsatzsteuerjahreserklärung für das Jahr 2010 bereits eingereicht hatte, legte er ihr im April 2013 im Zusammenhang mit der Erstellung der Umsatzsteuerjahreserklärung 2011 die auf K.     als Leistungsempfänger ausgestellten Rechnungen aus den Jahren 2010 und 2011 vor. Die Steuerberaterin wies den Angeklagten darauf hin, er dürfe nur aus solchen Eingangsrechnungen einen Vorsteuerabzug geltend machen, die ihn als Leistungsempfänger auswiesen. Der Angeklagte entgegnete, die Rechnungen trügen nur versehentlich K.   s Namen, der tatsächlich in seinem Namen gehandelt habe; als Projektentwickler habe er die Leistungen bezogen, die Baugelder verauslagt und den Erwerbern weiterbelastet. Der Angeklagte erklärte daraufhin K.    , ʺes würde besser zur Steuer passenʺ, wenn die Auftragnehmer die Rechnungen auf ihn umschreiben würden. Tatsächlich kamen zumindest vier Baufirmen dieser von K.   vermittelten Bitte des Angeklagten nach, nachdem sie die Originalrechnungen zurückerhalten hatten; die Auftragnehmer änderten den Rechnungsadressaten zumeist mittels Aufklebern (UA S. 16 f.).

5Am reichte der Angeklagte eine berichtigte Umsatzsteuerjahreserklärung 2010 beim Finanzamt ein, mit der er nunmehr Vorsteuer aus den auf ihn umgeschriebenen Eingangsrechnungen der Baufirmen in Höhe von rund 40.900 € geltend machte; der Auszahlung des sich aus der Umsatzsteuerjahreserklärung ergebenden Guthabens stimmte das Finanzamt nicht zu.

6Auch in den am , und eingegangenen Umsatzsteuerjahreserklärungen 2011, 2012 und 2013 machte der Angeklagte Vorsteuerbeträge aus den auf ihn umgeschriebenen Rechnungen für das Bauvorhaben in Höhe von rund 27.414 €, 24.950 € sowie 7.698 € geltend. Dadurch verminderte er im Fall 2 seine Umsatzsteuerzahllast. Im Fall 3 stimmte das Finanzamt wiederum der Auszahlung des sich aus der Umsatzsteuerjahreserklärung 2012 ergebenden Guthabens nicht zu. Hingegen stimmte das Finanzamt am im Fall 4 einer Erstattung in Höhe von von 5.319 € zu.

72. Das Urteil hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand.

8a) Im Fall 4 der Urteilsgründe (Umsatzsteuer 2013) tragen die Feststellungen bereits den objektiven Tatbestand der Steuerhinterziehung durch Geltendmachung unberechtigter Vorsteuerabzüge nicht (§ 370 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 150 Abs. 1 Satz 3, § 168 Satz 1, 2 AO; § 18 Abs. 3, § 16 Abs. 2 Satz 1 UStG). Denn es ist nicht auszuschließen, dass der Angeklagte aufgrund Übernahme der Kauf- und Bauverträge noch rechtzeitig innerhalb des Besteuerungszeitraums 2013 neuer Auftraggeber wurde und damit aus den umgeschriebenen Rechnungen vorsteuerabzugsberechtigt war.

9aa) Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG kann der Unternehmer Umsatzsteuer als Vorsteuer abziehen, die ihm ein anderer Unternehmer für Lieferungen oder sonstige Leistungen, die ʺfür sein Unternehmenʺ ausgeführt sind, gesondert in Rechnung gestellt hat. Leistungsempfänger im Sinne des Umsatzsteuerrechts ist grundsätzlich derjenige, der aus dem der Leistung zugrundeliegenden Rechtsverhältnis als Auftraggeber berechtigt und verpflichtet ist. Nicht maßgeblich ist demgegenüber u.a., wem die empfangene Leistung wirtschaftlich zuzuordnen ist oder wer sie bezahlt hat. Die bloße Übernahme der Kosten einer Leistung an einen Dritten führt nicht zum Recht auf Vorsteuerabzug des Zahlenden. Im Rahmen der Ermittlung, wer Leistungsempfänger ist, ist das Abrechnungspapier nur ein Beweisanzeichen ( Rn. 20-22 mit weiteren umfangreichen Nachweisen).

10In der Regel ist die zivilrechtliche Rechtslage maßgebend dafür, wem gegenüber der Leistende eine Rechnung über von ihm ausgeführte steuerpflichtige Lieferungen oder sonstige Leistungen erteilen darf bzw. muss; entscheidend ist, ob der Handelnde gegenüber dem Lieferanten bzw. Auftragnehmer im eigenen Namen oder berechtigterweise im Namen eines anderen (§ 164 Abs. 1 Satz 1 BGB) beim Sachleistungsbezug aufgetreten ist ( Rn. 29 f., BFHE 233, 304 und vom - XI R 14/08 Rn. 24 f., BFHE 227, 218). Eine bloß anderslautende Abrechnung kann mithin nicht zum Austausch des Leistungsempfängers führen (vgl. Rn. 14 f.; Beschluss vom - V B 10/84 Rn. 7-9, BFHE 142, 162: ʺgeänderte Zweitrechnungʺ; Bunjes/Heidner, UStG, 19. Aufl., § 15 Rn. 33 f., 169 mwN). Das Innenverhältnis zwischen Auftraggeber und demjenigen, gegenüber dem er zur Geschäftsbesorgung und Rechnungslegung verpflichtet ist, ist nicht maßgeblich (vgl. Rn. 31).

11Davon abzugrenzen sind die Fälle, in denen die Beteiligten innerhalb der Vertragsfreiheit den ursprünglichen Vertrag ändern und ein Unternehmer aufgrund dieser dreiseitigen Vereinbarung den bisherigen Auftraggeber ersetzt (vgl. Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, 191. Lieferung, Stand: Januar 2020, § 15 Rn. 379, 389).

12bb) An diesen Grundsätzen gemessen ist nicht auszuschließen, dass der Angeklagte rechtzeitig innerhalb des Besteuerungszeitraums 2013 und vor vollständiger Vertragserfüllung durch die Lieferanten bzw. Bauunternehmer neuer Auftraggeber wurde. Die Feststellungen des Landgerichts dazu sind lückenhaft:

13K.    schloss die Kauf- und Werkverträge im eigenen Namen ab, nicht im Namen des Angeklagten nach § 164 Abs. 1 BGB (vgl. auch § 164 Abs. 2 BGB). Dies wäre für die bis zum geschlossenen Verträge auch gar nicht möglich gewesen, da der Angeklagte sich erst danach als Projektleiter einschaltete. Offensichtlich seit April 2013 bemühte sich der Angeklagte um das Umschreiben der Rechnungen. Damit ist es möglich, dass er ab diesem Zeitpunkt vor Abschluss noch ausstehender Bauleistungen oder Lieferungen anstelle K.    s durch stillschweigende dreiseitige Vereinbarung in die Auftraggeberstellung einrückte. Wann die Auftragnehmer ihre Rechnungen umschrieben, ist nicht festgestellt.

14Solche Vertragsübernahmen wären für den Angeklagten sinnvoll und unverfänglich gewesen, wenn er seinerseits als Baubetreuer gegenüber den Erwerbern als Endverbrauchern mit Umsatzsteuerausweis abgerechnet haben sollte. Dazu verhält sich das Urteil indes nicht. Das Landgericht hat sich nicht einmal festgelegt, ob der Angeklagte als Baubetreuer überhaupt zum Vorsteuerabzug berechtigt war (vgl. dazu Rn. 21), und zwar in seiner Leistungsbeziehung zu den Erwerbern auf der Ausgangsumsatzseite und zu K.    auf der Eingangsumsatzseite. Ebenso fehlt es an der Feststellung, ob K.    Unternehmer im Sinne des § 2 Abs. 1 UStG war oder - etwa wegen Nichtüberschreitens der (vornehmlich für die ertragsteuerrechtlich relevante Abgrenzung zwischen nichtsteuerbarer privater Vermögensverwaltung und nachhaltiger Gewinnerzielungsabsicht im gewerblichen Grundstückshandel entwickelte) Drei-Objekt-Grenze (vgl. Rn. 14) - nicht. Letzteres wird in der Beweiswürdigung nur angedeutet (UA S. 19).

15b) Im Übrigen leidet die Beweiswürdigung insgesamt an einem durchgreifenden Darstellungsmangel.

16aa) Das Landgericht hat nicht mitgeteilt, ob und gegebenenfalls wie sich der Angeklagte zum Vorwurf der Steuerhinterziehung durch unberechtigtes Geltendmachen von Vorsteuern eingelassen hat. Es fehlt an einer verständlichen geschlossenen Darstellung seines Einlassungsverhaltens in der Hauptverhandlung (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 518/19 Rn. 3 f.; vom - 1 StR 520/18 Rn. 10 und vom - 2 StR 403/14, BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 2 Einlassung 2 Rn. 2 f.; je mwN). Die rudimentäre beweiswürdigende Erwägung, der Angeklagte habe eingeräumt, die berichtigte Umsatzsteuerjahreserklärung 2010 unterschrieben zu haben (UA S. 21), genügt ebenso wenig wie die erneute Erwähnung dieses Umstands in der Strafzumessung (UA S. 25).

17bb) Jedenfalls in der hier zu beurteilenden Fallkonstellation ist eine geschlossene Darstellung unverzichtbar: Weder ist die Sach- und Rechtslage gänzlich einfach (vgl. dazu Rn. 22 f.) noch war die Beweislage bezüglich der subjektiven Tatseite eindeutig (vgl. dazu Rn. 3).

18(a) Zum Vorsatz der Steuerhinterziehung gehört, dass der Täter den Steueranspruch dem Grunde und der Höhe nach kennt oder zumindest für möglich hält und ihn auch verkürzen will bzw. dessen Verkürzung billigend in Kauf nimmt; bedingter Vorsatz genügt. Nimmt der Steuerpflichtige irrtümlich an, dass ein Steueranspruch nicht entstanden ist, liegt ein Tatumstandsirrtum vor, der den Vorsatz ausschließt (§ 16 Abs. 1 Satz 1 StGB; BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 296/19 Rn. 12 und vom -1 StR 520/18 Rn. 18; Urteil vom - 1 StR 265/18 Rn. 30; jeweils mwN).

19(b) Ob der Angeklagte erkannte oder zumindest billigend in Kauf nahm, aus den umgeschriebenen Rechnungen jedenfalls für die abgeschlossenen Besteuerungszeiträume keine Vorsteuer ziehen zu dürfen, bleibt offen. Denn zu seinem Vorstellungsbild nach dem Umschreiben der Rechnungen ab April 2013 und damit zum Zeitpunkt der Abgabe der vier verfahrensgegenständlichen Umsatzsteuerjahreserklärungen verhält sich die Beweiswürdigung nicht. Es ist daher nicht zu beurteilen, von welcher Rechtslage der Angeklagte ausging, nachdem alle Beteiligten mit dem Ausstellen neuer Rechnungen einverstanden waren. Er könnte aufgrund des Einverständnisses der Lieferanten und Handwerker, nunmehr ihn als Rechnungsadressaten zu führen, ʺgutgläubigʺ gewesen sein. Für einen Tatvorsatz hätte das Landgericht zwar die Lüge des Angeklagten gegenüber seiner Steuerberaterin, K.    habe tatsächlich in seinem Namen die Aufträge erteilt, und damit das Erschwindeln von - hier unzulässigen - Rechnungsberichtigungen (UA S. 8, 18) heranziehen können. Es hätte jedoch auch sein können, dass der Angeklagte sich hier schon deshalb für vorsteuerabzugsberechtigt gehalten hat, weil er wirtschaftlich die Handwerkerrechnungen - wenngleich aus den ihm zur Verfügung gestellten Geldern - beglichen hat. Aber auch insoweit wäre die Darstellung, ob und wie sich der Angeklagte dazu eingelassen hat, erforderlich gewesen.

20Zudem wirkt sich auch bei der subjektiven Tatseite die fehlende Feststellung zu K.    s Unternehmereigenschaft aus: Wenn der Angeklagte erkannt haben sollte, dass sein Vorsteuerabzug jedenfalls deswegen scheiterte, weil K.   kein Unternehmer war, könnte das Umschreiben sein strafrechtlich relevantes Bemühen gewesen sein, in seiner Person entgegen der Rechtslage einen Vorsteuerabzug zu konstruieren. Auch insoweit wird die umsatzsteuerliche Behandlung des Vorgangs insgesamt in den Blick zu nehmen sein, insbesondere wie der Angeklagte die Aufwendungen gegenüber seinen usbekischen Auftraggebern weiterberechnet hat.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:100221B1STR525.20.0

Fundstelle(n):
AO-StB 2022 S. 18 Nr. 1
BB 2022 S. 2903 Nr. 50
PStR 2022 S. 220 Nr. 10
wistra 2021 S. 285 Nr. 7
DAAAH-87314