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Ertragswertverfahren und „niedrigerer Wert“ gemäß § 253 Abs. 3 Satz 5 HGB
Eine Betrachtung des Einzelbewertungsgrundsatzes im Lichte der Informationsfunktion des Jahresabschlusses
In Zeiten der Corona-Pandemie gibt es Krisengewinner und Krisenverlierer. Verschiedene Unternehmen erzielen Rekordeinnahmen und -überschüsse, während viele andere um ihre Existenz fürchten. Eines ist allen Unternehmen gemeinsam: Für sie gelten die handelsrechtlichen Rechnungslegungsvorschriften unverändert und ohne Einschränkung fort. Unternehmen müssen weiterhin Rechnung legen und den vom Handelsgesetzgeber gemachten Vorgaben nachkommen.
Weckerle, Die Bewertung kleiner und mittelgroßer Unternehmen (KMU), WP Praxis 1/2021 S. 8, NWB UAAAH-66931
Zeichnet sich ab, dass Vermögensgegenstände des Anlagevermögens dauerhaft im Wert gemindert sind, ist gem. § 253 Abs. 3 Satz 5 HGB eine Abschreibung auf den niedrigeren beizulegenden Wert vorzunehmen. Dieser ist dabei zunächst unter Berücksichtigung einer individuellen Wertermittlung der zu bewertenden Vermögensgegenstände aus Käufer- oder Verkäufersicht innerhalb eines aktiven Marktes zu ermitteln. Ist das nicht möglich, ist die handelsrechtliche Bewertung von Gegenständen des Anlagevermögens unter Heranziehung eines Ertragswertverfahrens zulässig.
Sofern eine individuelle Bewertung von Vermögensgegenständen des Anlagevermögens nicht möglich ist und zugleich feststeht, dass in ihrer Gesamtbetrachtung weder der Ausweis fortgeführter Buchwerte noch von Schrottwerten im Jahresabschluss angemessen ist, so ist eine Bewertung auf Basis einer Gesamtheit der Vermögensgegenstände vorzunehmen.
Maßgeblich bei der Bewertung ist die Vermittlung eines den tatsächlichen Verhältnissen entsprechenden Bildes der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage i. S. von § 264 Abs. 1 Satz 1 HGB. Unter Berücksichtigung dieser Regelung ist der Informationsfunktion des Jahresabschlusses Rechnung zu tragen.
Je nachdem, welchen Charakter man § 264 Abs. 1 Satz 1 HGB beimisst, verdrängt die Regelung entweder als speziellere Norm diejenige des § 252 Abs. 1 Nr. 3 HGB (Primärfunktion), oder es bedarf klarstellender Angaben im Anhang gem. § 264 Abs. 2 Satz 2 HGB (Subsidiärfunktion).
I. Einleitung
In der eingangs genannten aktuellen Situation mag sich namentlich für diejenigen Unternehmen, die nicht zu den Krisengewinnern gehören, die Frage stellen, ob und – wenn ja – wie sich eine rückläufige Geschäftsentwicklung bilanziell niederschlägt. Dies sei an einem Beispiel aufgezeigt und soll für Zwecke der nachfolgenden Ausführungen auf das Anlagevermögen beschränkt werden: Ein produzierendes Unternehmen, eine große GmbH, deren Bilanz wesentlich von Anlagevermögen geprägt ist, verzeichnet einen Rückgang der Nachfrage nach seinen Produkten. Das Unternehmen verfügt weder über außergewöhnliches Know-how noch über Geschäftsideen, die zukünftiges Wachstum versprechen. Stille Reserven existieren ebenfalls nicht. Vielmehr stellt man fest, dass auf absehbare Zeit mit keinem erneuten Anstieg der Nachfrage, geschweige denn einer Rückkehr zu einem „Vor-Krisen-Niveau“ zu rechnen ist. Eine Gefährdung des Fortbestands des Unternehmens liegt zwar ebenso wenig vor wie die Überlegung einer – auch nur teilweisen – Betriebsstilllegung, jedoch wird man zukünftig weniger Ertrag aus dem Verkauf der selbst hergestellten Produkte erzielen. Die zukünftigen Zahlungsströme aus der Unternehmenstätigkeit werden geringer ausfallen. Das bilanzierende Unternehmen verfügt über eine Planung, der zufolge zukünftige Cashflows aus der Verwendung des zu bilanzierenden Anlagevermögens, mit anderen Worten aus dem Verkauf der hergestellten Produkte, prognostiziert werden können. Verschiedenen Kaufangeboten von außenstehenden Dritten, die an einem Erwerb des Unternehmens interessiert sind, entnimmt die S. 232Geschäftsführung außerdem die Information, dass diese Erwerber nur einen gegenüber Vor-Krisen-Niveau geringeren Kaufpreis für das Unternehmen zahlen würden. Der Ertragswert des Unternehmens, der im Wesentlichen durch die Produktion, mithin also das Anlagevermögen, generiert wird, ist unstreitig gesunken. Des Weiteren sei im Beispiel davon auszugehen, dass es für die Gegenstände des Anlagevermögens des Unternehmens keinen aktiven Markt gibt, weder aus Käufer- noch aus Verkäuferperspektive. Eine individuelle Bewertung einzelner Vermögensgegenstände des Anlagevermögens auf Basis von Veräußerungs- oder Wiederbeschaffungswerten ist nicht möglich. Fest steht bloß, dass das Unternehmen im Rahmen eines Verkaufs „als Ganzes“ geringer als in der Vergangenheit bewertet würde.
Im Vorausblick auf den Bilanzstichtag tritt bei der Geschäftsleitung nunmehr die Frage auf, ob sich diese Erkenntnisse auf die Bewertung des Anlagevermögens auswirken können. Das nach HGB bilanzierende Unternehmen fragt sich insbesondere, ob das in der Bilanz ausgewiesene Anlagevermögen noch angemessen bewertet ist. Es befindet sich im Konflikt zwischen den Feststellungen, dass