Besitzen Sie diesen Inhalt bereits, melden Sie sich an.
oder schalten Sie Ihr Produkt zur digitalen Nutzung frei.

Dokumentvorschau
StuB Nr. 11 vom Seite 450

Regulierung der Corporate Governance nach dem Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetz (FISG)

Eine kritische Würdigung

Prof. Dr. Patrick Velte

Am hat der Bundestag den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Stärkung der Finanzmarktintegrität (Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetz – FISG) in der vom Finanzausschuss geänderten Fassung beschlossen. Der Bundesrat stimmte am zu. Das FISG führt zu einer wesentlichen Veränderung der bestehenden Corporate Governance-Regulierungen und enthält gegenüber dem Regierungsentwurf auch einige wesentliche Anpassungen. Der vorliegende Beitrag knüpft an den Beitrag von Velte zum Referentenentwurf in dieser Zeitschrift an und konzentriert sich auf die internen Corporate Governance-Maßnahmen am Beispiel einer börsennotierten Aktiengesellschaft. Hierbei werden die handels- und aktienrechtlichen Regulierungen nach dem FISG für die Tätigkeit des Vorstands, Aufsichtsrats und Abschlussprüfers erörtert und einer kritischen Würdigung unterzogen.

Velte, Der Referentenentwurf für ein Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetz (FISG), StuB 21/2020 S. 817, NWB KAAAH-62494

Kernfragen
  • Welche Reformmaßnahmen zur internen Corporate Governance umfasst das FISG?

  • Inwiefern wird das Tätigkeits- und Anforderungsprofil von Vorständen, Aufsichtsräten und Abschlussprüfern bei Unternehmen des öffentlichen Interesses verändert?

  • Wie sind die Reformmaßnahmen insgesamt zur Stärkung der Qualität der Corporate Governance zu beurteilen?

I. Einleitung

[i]Velte/Graewe, Reform der Corporate Governance nach dem Wirecard-Skandal, Herne 2021, NWB CAAAH-79168 Der Skandal um den ehemaligen DAX-Konzern Wirecard hatte seit dem Sommer des letzten Jahres zu zahlreichen Diskussionen zu möglichen Reformmaßnahmen im Rahmen der Corporate Governance geführt. Um das Vertrauen der Unternehmensadressaten in die Funktionsfähigkeit des deutschen Kapitalmarkts zu stärken, wurde vom Bundestag am und vom Bundesrat am das Gesetz zur Stärkung der Finanzmarktintegrität (Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetz – FISG) i. d. F. der gegenüber dem Gesetzentwurf vorgeschlagenen Anpassungen des Finanzausschusses verabschiedet. Im Mittelpunkt des FISG stehen Regulierungen zur Corporate Governance bei Unternehmen des öffentlichen Interesses (Public Interest Entities – PIEs) , wobei neben dem Enforcement und der Abschlussprüfung auch die Tätigkeiten des Vorstands und Aufsichtsrats betroffen sind. Das FISG wird am in Kraft treten.

Anknüpfend an den Beitrag von Velte zum Referentenentwurf für ein FISG in dieser Zeitschrift zielt der vorliegende Beitrag darauf ab, die wesentlichen handels- und aktienrechtlichen Reformmaßnahmen zur internen Corporate Governance nach dem FISG darzustellen und kritisch zu würdigen. Im Speziellen werden im Folgenden nach einer überblicksartigen Darstellung der zentralen Reformmaßnahmen die Auswirkungen des FISG auf die Tätigkeit des Vorstands, Aufsichtsrats und Abschlussprüfers bei Unternehmen des öffentlichen Interesses einbezogen. Die Maßnahmen zur externen Corporate Governance, primär zur Neugestaltung des nationalen Enforcements , werden hierbei ausgeklammert. In einer Gesamtschau ist zu bezweifeln, ob das FISG seiner Zielsetzung gerecht wird, künftige Bilanzskandale zu verhindern. S. 451

II. Zentrale Reformmaßnahmen zur internen Corporate Governance im Überblick

Übersicht 1 gibt einen zusammenfassenden Überblick über die Reformmaßnahmen des FISG in Bezug auf den Vorstand, Aufsichtsrat und Abschlussprüfer.


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Übersicht 1: Zentrale Reformmaßnahmen zur internen Corporate Governance nach dem FISG
De lege lata
FISG
Vorstand
Internes Kontroll- und Risikomanagementsystem:
§ 91 Abs. 2 AktG: Einrichtung eines Risikofrüherkennungs- und Überwachungssystems für bestandsgefährdende Risiken
Zusätzlich § 91 Abs. 3 AktG n. F. für börsennotierte Aktiengesellschaften:
Einrichtung eines im Hinblick auf den Umfang der Geschäftstätigkeit und die Risikolage des Unternehmens angemessenen und wirksamen Internen Kontrollsystems und Risikomanagementsystems
Straf- und Bußgeldvorschriften für einen fehlerhaften Bilanzeid:
§ 331 Nr. 3a HGB: Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bei fehlerhaftem Bilanzeid
§ 331a Abs. 1, 2 HGB n. F.:
Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bei fehlerhaftem Bilanzeid (Ausweitung auf freiwillig erstellten IFRS-Einzelabschluss); zwei Jahre Freiheitsstrafe oder Geldstrafe bei leichtfertigem Handeln
Aufsichtsrat
Finanzexpertise im Aufsichtsrat:
§ 100 Abs. 5 AktG: mindestens ein Mitglied des Aufsichtsrats bei PIEs mit Sachverstand auf den Gebieten Rechnungslegung oder Abschlussprüfung (sog. Finanzexperte)
§ 100 Abs. 5 AktG n. F.:
ein Mitglied mit Sachverstand auf dem Gebiet Rechnungslegung und mindestens ein weiteres Mitglied mit Sachverstand auf dem Gebiet Abschlussprüfung (d. h. mindestens zwei Finanzexperten)
Aufgaben des Prüfungsausschusses bzw. Aufsichtsrats:
§ 107 Abs. 3 Satz 2 AktG: Überwachung des Rechnungslegungsprozesses, der Wirksamkeit des internen Kontrollsystems, Risikomanagementsystems, internen Revisionssystems sowie der Abschlussprüfung (insb. Auswahl, Unabhängigkeit und der vom Abschlussprüfer zusätzlich erbrachten Leistungen)
§ 107 Abs. 3 Satz 2 AktG n. F.:
Ergänzung um Überwachung der Qualität der Abschlussprüfung
Einrichtung des Prüfungsausschusses:
§ 107 Abs. 4 AktG: Wahlrecht für PIEs (grds.)
§ 107 Abs. 4 AktG n. F.:
Pflicht zur Einrichtung eines Prüfungsausschusses i. S. des Abs. 3 Satz 2;
bei drei Mitgliedern des Aufsichtsrats ist dieser zugleich Prüfungsausschuss;
unmittelbares Informationszugriffsrecht des Vorsitzenden des Prüfungsausschusses gegenüber allen Leitern derjenigen Zentralbereiche der Gesellschaft, die in der Gesellschaft für die Aufgaben zuständig sind, die den Prüfungsausschuss nach Abs. 3 Satz 2 betreffen
Teilnahme an Sitzungen des Aufsichtsrats und seiner Ausschüsse:
§ 109 Abs. 1 AktG: Grundsatz: keine Teilnahme von Personen, die weder dem Aufsichtsrat noch dem Vorstand angehören; mögliche Hinzuziehung von Sachverständigen und Auskunftspersonen zur Beratung über einzelne Gegenstände
§ 109 Abs. 1 AktG n. F.:
Bei gewünschtem Austausch des Aufsichtsrats mit dem Abschlussprüfer Ausschluss einer Teilnahme des Vorstands
Höhe der Bußgelder für Ordnungswidrigkeiten des Prüfungsausschusses:
§ 334 Abs. 2a HGB: Geldbuße bis zu 50.000 € (Abs. 3)
§ 334 Abs. 3 HGB n. F.:
Erhöhung auf 500.000 € bei PIEs
Abschlussprüfer
Interne Rotation des Abschlussprüfers:
Art. 17 Abs. 7 Abschlussprüfer-Verordnung: verantwortlicher Prüfungspartner rotiert nach spätestens sieben Jahren
§ 43 Abs. 6 WPO n. F.:
Verkürzung der internen Rotationsfrist auf fünf Jahre
Externe Rotation des Abschlussprüfers:
§ 318 Abs. 1a HGB: Optionale Verlängerung der Wechselfrist für externe Rotationen bei PIEs auf 20 Jahre (bei öffentlicher Ausschreibung) bzw. 24 Jahre (bei Joint Audit)
Abschaffung von § 318 Abs. 1a HGB:
Pflicht zur externen Rotation nach spätestens zehn Jahren für sämtliche PIEs nach § 316a HGB-E
§ 28 Abs. 1 KWG n. F.:
Externe Rotation nach spätestens elf Jahren (im Regelfall) auch bei Kredit- und Finanzdienstleistungsunternehmen sowie Versicherungen, die keine PIEs sind
Parallele Prüfung und Beratung:
§ 319a HGB: Steuerberatungs- und Bewertungsleistungen können in begrenztem Maße neben der Prüfung von PIEs durchgeführt werden
Abschaffung von § 319a HGB:
keine Steuerberatungs- und Bewertungsleistungen neben der Abschlussprüfung bei PIEs nach § 316a HGB n. F. mehr möglich
Zivilrechtliche Haftung des Abschlussprüfers:
§ 323 Abs. 2 HGB: Haftungsgrenze bei fahrlässiger Pflichtverletzung des Abschlussprüfers von 1 Mio. € bzw. 4 Mio. € (bei der Prüfung von Aktiengesellschaften, deren Aktien zum Handel im regulierten Markt zugelassen sind)
§ 323 Abs. 2 HGB n. F.:
Kapitalgesellschaften, die gleichzeitig PIEs nach § 316a Satz 2 Nr. 1 HGB sind: unbegrenzte Haftung bei grob fahrlässigem Handeln und 16 Mio. € Haftungsgrenze bei einfacher Fahrlässigkeit
Nicht kapitalmarktorientierte CRR-Institute und Versicherungen: 32 Mio. € Haftungsgrenze bei grob fahrlässigem Handeln und 4 Mio. € Haftungsgrenze bei einfacher Fahrlässigkeit
Sonstige Kapitalgesellschaften (keine PIEs): 12 Mio. € Haftungsgrenze bei grober Fahrlässigkeit und 1,5 Mio. € bei einfacher Fahrlässigkeit
-
§ 323 Abs. 5 HGB n. F.:
Informationspflicht des Abschlussprüfers gegenüber der BaFin, der Staatsanwaltschaft und ggf. der Verwaltungsbehörde bei Verdacht auf Unregelmäßigkeiten beim geprüften Unternehmen
Straf- und Bußgeldvorschriften für Verletzung der Berichtspflicht des Abschlussprüfers:
§ 332 Abs. 1, 2 HGB: Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bei Verletzung der Berichtspflicht des Abschlussprüfers (Prüfungsbericht und Bestätigungsvermerk); Erhöhung der Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bei Handeln gegen Entgelt, Selbstbereicherungsabsicht oder Schädigung eines anderen
§ 332 Abs. 2 Satz 2 HGB n. F.:
Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bei unrichtiger Erteilung eines Bestätigungsvermerks bei PIEs nach § 316a HGB n. F.; Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe bei leichtfertigem Handeln
Kritische Grundhaltung des Abschlussprüfers:
§ 43 Abs. 4 WPO
§ 43 Abs. 4 WPO n. F.:
Konkretisierung der kritischen Grundhaltung (Übertragung aus der Berufssatzung WP/vBP)
-
§ 69 Abs. 1 Satz 2 WPO n. F.:
Nicht-anonymisierte Bekanntmachung unanfechtbarer berufsaufsichtsrechtlicher Maßnahmen und strafrechtlicher Verurteilungen
-
§ 64 Abs. 6 WPO n. F.:
Auskunft über konkrete berufsaufsichtsrechtliche Verfahren bei öffentlichem Interesse durch die Berufsaufsicht (WPK und APAS)

Im Folgenden werden die Reformmaßnahmen nach dem FISG getrennt nach Vorstand, Aufsichtsrat und Abschlussprüfer dargestellt und einer kritischen Würdigung unterzogen.S. 452