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NWB-EV Nr. 11 vom Seite 366

Gestaltungsmöglichkeiten des länger lebenden Ehegatten

Erbrechtliche Gestaltungen nach dem Tod des zuerst versterbenden Ehegatten

Benedikt Weber und Dr. Michael Heuser

Deutsche sind Testamentsmuffel. Bei etwa der Hälfte aller Erbfälle in Deutschland existiert keine letztwillige Verfügung, so dass die gesetzliche Erbfolge eintritt. Haben Ehegatten letztwillig verfügt, so basiert deren Gestaltung überwiegend auf dem sogenannten „Berliner Testament“. Oftmals werden die zivilrechtlichen und steuerlichen Auswirkungen der gesetzlichen oder gewillkürten Erbfolge nicht hinreichend bedacht. Nicht selten haben Ehegatten – teils unter Einbeziehung eines rechtlichen oder steuerlichen Beraters – eine letztwillige Verfügung von Todes wegen errichtet, die dann aber viele Jahre in der Schublade oder im Tresor schlummert und im Erbfall nicht mehr den aktuellen Vorstellungen oder wirtschaftlichen Verhältnissen der Ehegatten entspricht. Ist der Erbfall in derartigen Situationen erst einmal eingetreten, kann die eingetretene Erbfolge für die Familie alles andere als optimal sein. Der nachfolgende Beitrag soll einen Überblick über gängige Gestaltungs- bzw. Reparaturmöglichkeiten für den länger lebenden Ehegatten geben.

Kernaussagen
  • Nach dem Tod des zuerst versterbenden Ehegatten gibt es verschiedene Gestaltungsmittel, das Nachlassvermögen zu strukturieren und eine sinnvolle, steueroptimierte Nachfolgeplanung innerhalb der Familie umzusetzen. Dies gilt gleichermaßen bei Eintritt der gesetzlichen Erbfolge und bei Vorhandensein einer letztwilligen Verfügung von Todes wegen.

  • Insbesondere eine Ausschlagung (ggf. gegen Abfindung), die Geltendmachung des tatsächlichen Zugewinns und des kleinen Pflichtteils durch den länger lebenden Ehegatten oder die Geltendmachung des Pflichtteils durch die Abkömmlinge des zuerst versterbenden Ehegatten können zur Ersparnis von Erbschaftsteuer führen.

  • Hat der Erblasser letztwillig verfügt, können Ersatzerbeinsetzungen und Pflichtteilsstrafklauseln den Gestaltungsspielraum einschränken.

  • Möchte der länger lebende Ehegatte gemeinnützige Organisationen unterstützen, kann hierfür nach dem Eintritt des Erbfalls der „richtige“ Zeitpunkt sein, da einkommen- oder erbschaftsteuerliche Vorteile genutzt werden können.

I. Grundlagen des Erb- und Erbschaftsteuerrechts

1. Das gesetzliche Erbrecht des Ehegatten

Hat der zuerst versterbende Ehegatte keine wirksame Verfügung von Todes wegen hinterlassen, tritt die gesetzliche Erbfolge gemäß §§ 1924 ff. BGB ein. Zur Ermittlung des Ehegattenerbteils ist zunächst das sich hierauf auswirkende Verwandtenerbrecht relevant. Das gesetzliche Verwandtenerbrecht folgt dem Prinzip, dass nähere Verwandte des Erblassers entferntere Verwandte von der Erbfolge ausschließen. Hierfür definiert der Gesetzgeber Ordnungen: der ersten Ordnung gehören die Abkömmlinge des Erblassers an, der zweiten Ordnung sind die Eltern des Erblassers und deren Abkömmlinge zugehörig, zur dritten Ordnung gehören schließlich die Großeltern des Erblassers und deren Abkömmlinge usw. § 1930 BGB stellt klar, dass Angehörige einer höheren Ordnung nicht Erbe werden können, solange ein Verwandter einer niedrigeren Ordnung vorhanden ist.

Daneben wird das gesetzliche Erbrecht des Ehegatten in § 1931 BGB geregelt. Die Beteiligung des länger lebenden Ehegatten an der Erbschaft richtet sich zum einen danach, welcher Ordnung die vom Erblasser hinterlassenen Verwandten angehören, zum anderen ist sie davon abhängig, in welchem Güterstand die Ehegatten miteinander gelebt haben (dazu sogleich unter Abschnitt I.2).

Die zivilrechtlichen Regelungen sind auch für die Erbschaftsteuer maßgeblich. Denn die Erbschaftsteuer knüpft an den Tatbestand des Erwerbs von Todes wegen an, zu dem insbesondere der Erwerb durch Erbanfall zählt. Der Umfang des jeweiligen Erwerbs des Ehegatten richtet sich dabei nach den nachfolgend aufgeführten zivilrechtlichen Regelungen. S. 367