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WP Praxis Nr. 11 vom Seite 332

Prüfung geschätzter Werte nach ISA [E-DE] 540 im HGB-Abschluss

Anwendung auf Immobilien des Anlagevermögens

WP/StB Dipl.-Kfm. Horst Haasmann

Im April 2020 erschien der lang erwartete Entwurf von IDW ISA [DE] 540 (Revised). Auf sagenhaften 82 DIN-A4-Seiten dürfen sich Berufsträger darin nun über die neuen Grundsätze zur Prüfung von geschätzten Werten informieren. Doch erst in einer Gesamtschau mit anderen IDW-Verlautbarungen können bisweilen praxisgerechte Lösungen gefunden und somit unnötiger Prüfungs- und Dokumentationsaufwand bei geschätzten (Immobilien-)Werten vermieden werden. Gerade Immobilien des Anlagevermögens bilden nicht selten einen großvolumigen Posten in prüfungspflichtigen Abschlüssen und deren ggf. niedrigerer beizulegender Wert stellt nichts anderes als einen geschätzten Wert i. S. von IDW ISA [E-DE] 540 (Revised) dar. Hier bedarf es im Praxisalltag einer kontextbezogenen Operationalisierung der allgemeinen Grundsätze, die der Nachfolgestandard von IDW PS 314 generalisierend für alle Formen an geschätzten Werten (z. B. Finanzinstrumenten, Rückstellungen, Vorratsvermögen) aufstellt. Der nachstehende Beitrag bietet Hilfestellungen, um eine sachgerechte Prüfung des geschätzten Wertes einer (wertgeminderten) Immobilie des Anlagevermögens in Einklang mit IDW ISA [DE] 540 (Revised) zu planen und durchzuführen.

Schüttler, Prüfung geschätzter Werte nach ISA (E-DE) 540, , NWB XAAAH-48802

Kernaussagen
  • Sinnvolles Prüfungsvorgehen bei geschätzten Werten beinhaltet bisweilen die parallele Berücksichtigung von einschlägigen Rechnungslegungs-, Bewertungs- und Prüfungsstandards.

  • Eine sinnvolle Anwendung von ISA [E-DE] 540 (Revised) gelingt nur, wenn das unspezifische Vokabular des Prüfungsstandards zunächst in einen speziellen (Immobilien-)Kontext übersetzt wird.

  • Das Corona-Umfeld verstärkt das Maß an Schätzunsicherheiten in einzelnen Immobilienteilmärkten. Die „Königsdisziplin“ der Prüfung geschätzter Werte wird hierdurch zur „Kaiserdisziplin“.

I. Ausgangssituation

Die Entwurfsfassung von IDW ISA [DE] 540 (Revised) hätte thematisch betrachtet zu keinem geeigneteren Zeitpunkt erscheinen können als im April 2020. In der Hochphase der Corona-Pandemie herrschte besonders hohe Unsicherheit an fast allen Märkten und in fast allen Lebenslagen. Diese Generalunsicherheit befeuert ohne Frage die Bedeutung von geschätzten Werten im Jahresabschluss, die – natürlich auch schon vor der Pandemie – mit teils erheblichen Unsicherheiten die Beurteilungsfähigkeiten von Abschlusserstellern und Abschlussprüfern besonders herausfordern. Im Zeichen der Pandemie äußern sich auch Immobilienverbände zur Schlüsselfrage, welche Bedeutung der Pandemie im speziellen Umfeld von Immobilienbewertungen zukommt. So konstatiert der Bundesverband der Immobilien-Investment-Sachverständigen (kurz: BIIS), dessen Sachverständige auf die Bewertung von gewerblichen Immobilien spezialisiert sind, dass trotz der Corona-Pandemie die Ermittlung von Verkehrswerten zum Bewertungsstichtag weiterhin möglich sei. Die Schlussfolgerungen über die aktuellen Wertverhältnisse auf dem Grundstücksmarkt seien aber „mit erhöhten Unsicherheiten behaftet“. Der Arbeitskreis Immobilienwertermittlung der Gesellschaft für Geodäsie, Geoinformation und Landmanagement empfiehlt – wie viele andere einschlägige Marktteilnehmer und Verbände – in Gutachten einen Disclaimer mit folgendem Inhalt aufzunehmen: „Die Covid-19-Pandemie kann zu Veränderungen in nahezu allen Lebensbereichen und damit auch zu komplexen Auswirkungen auf den Immobilienmarkt führen. (...) Schlussfolgerungen zu aktuellen damit verbundenen Werteinflüssen auf den Grundstücksmarkt sind mit größeren Unsicherheiten verbunden.“ Wiederum andere betonen für die Objektart von Wohnimmobilien in den Textbausteinempfehlungen für Gutachten im aktuellen Pandemieumfeld, dass aktuell ermittelte Marktpreise zwangsläufig auf „ausgewerteten Kaufpreisen (...), die unmittelbar vor der aktuellen Corona-Pandemie zustande gekommen sind“ basieren. All diesen Äußerungen liegt die gleiche Aussage zugrunde, wonachS. 333 es – jeweils abhängig vom Einzelfall (insbesondere Nutzungsart der Immobilie) – erhebliche Bewertungseffekte in der Post-Corona-Zeit geben kann oder geben wird.

II. Step-by-Step zu ISA [DE] 540 (Revised) – Hilfreiche Vorüberlegungen

Hand aufs Herz! Die außerplanmäßige Abschreibung von Immobilien des Anlagevermögens (Wohnimmobilien und Gewerbeimmobilien) war in der jüngeren Vergangenheit eher eine theoretische Spielerei als gelebte Praxis – gerade im Bereich von freiwilligen oder pflichtmäßigen Abschlussprüfungen im Mittelstand. Zu aufwendig (für Mandant und Prüfer), zu komplex (für Mandant und Prüfer) und viel ergebnisorientierter oder eleganter gesprochen, im Rahmen eines Immobiliensuperzyklus der vergangenen Jahre bzw. Jahrzehnte oftmals fast schon lächerlich. Hervorragend konnte in vielen Fällen mit Hilfe von Plausibilitätsüberlegungen im Zuge eines sich positiv entwickelnden Marktumfeldes von steigenden Mieten, Einkommen, sinkendem Zinsniveau und explodierenden Kaufpreisen prüferseitig verargumentiert werden, dass nur geringe Fehlerrisiken bestehen und insoweit keine Hinweise auf Abwertungsbedarf vorliegen – sofern nicht ausnahmsweise im Einzelfall tatsächlich explizite Hinweise auf Wertminderungsbedarf im Raum standen (z. B. Bauschäden). Kurzum lautete das Fazit in 99,9 % der Fälle: „Geringes Risiko von außerplanmäßigem Abwertungsbedarf!“

Es drängt sich aber die Frage auf, ob Prüfer nun zukünftig massenhaft diese Komfortzone verlassen werden müssen, da bei einem disruptiven und unstetigen Bewertungsumfeld in vielen Fällen – nicht allen (!) – jene Plausibilitätsüberlegungen wohl nicht mehr fortgelten werden. Um aber nicht von einem Extrem ins nächste Extrem zu verfallen, müssen sich Abschlussprüfer in der Prüfungssaison 2021 besonnen mit dieser veränderten Lebensrealität auseinandersetzen. Aufgrund des enormen Prüfungsaufwands bei geschätzten Immobilienwerten gilt dabei noch mehr als ohnehin: so viel Prüfungsaufwand wie nötig, so wenig wie möglich.