Nachzahlungszinsen, Erlass, Unbilligkeit, Irrtum, Ort der sonstigen Leistung
Leitsatz
1. NV: Die Festsetzung von Nachzahlungszinsen ist grundsätzlich rechtmäßig, wenn der Schuldner der Steuernachforderung Liquiditätsvorteile gehabt hat.
2. NV: Die Verzinsung ist nicht deshalb unbillig, weil sich aufgrund einer Umsatzsteuerfestsetzung beim Leistenden per Saldo ein Ausgleich mit den vom Leistungsempfänger abgezogenen Vorsteuerbeträgen ergibt.
3. NV: Der Sonderfall eines Zinserlasses wegen beiderseitigen Irrtums über den Steuerschuldner in Bauträgerfällen (, BFHE 266, 16) ist nicht auf die vermeidbare Fehlbeurteilung des Orts einer sonstigen Leistung übertragbar.
Gesetze: AO § 163; AO § 227; UStG § 3a Abs. 2; UStG § 13b;
Instanzenzug:
Gründe
1 Die Beschwerde der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), mit der sie die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—) oder wegen des Erfordernisses einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) begehrt, ist unbegründet und daher durch Beschluss zurückzuweisen.
2 1. Die von der Klägerin als grundsätzlich bedeutsam erachtete Rechtsfrage, ob „Nachzahlungszinsen aus sachlichen Gründen gemäß § 163 AO abweichend festzusetzen bzw. gemäß § 227 AO zu erlassen [sind], wenn diese auf der Kürzung von Vorsteuerbeträgen von im Inland nicht steuerbaren Eingangsumsätzen einer Schwestergesellschaft beruhen, die ihrerseits die in der Rechnung offen ausgewiesene Umsatzsteuer seinerzeit vollständig an das Finanzamt [Beklagter und Beschwerdegegner —FA—] abgeführt hat“, ist nicht klärungsbedürftig. Denn die aufgeworfene Rechtsfrage ist bereits durch die Rechtsprechung des BFH geklärt und die von der Klägerin angeführten neuen rechtlichen Gesichtspunkte rechtfertigen keine andere Beurteilung der Rechtsfrage.
3 a) Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung ist die Festsetzung von Zinsen nach § 233a der Abgabenordnung (AO) grundsätzlich rechtmäßig, wenn der Schuldner der Steuernachforderung Liquiditätsvorteile gehabt hat (, BFHE 266, 16; vom - V R 18/95, BFHE 180, 524, BStBl II 1997, 259; vom - V R 94/98, BFH/NV 2000, 610, und vom - V R 72/00, BFH/NV 2002, 545). Der Senat hatte daher bereits mit Urteil vom - V R 60/04 (BFH/NV 2006, 1434, Rz 19) in einem vergleichbaren Sachverhalt einen Billigkeitserlass im Hinblick auf den Liquiditätsvorteil des dortigen Klägers abgelehnt. Diesem war mit seiner Umsatzsteuer-Voranmeldung 12/1999 und später in seiner Umsatzsteuererklärung für 1999 ein Vorsteuerabzug gewährt worden, der ihm (objektiv) aufgrund der Nichtsteuerbarkeit des zugrunde liegenden Eingangsumsatzes (Geschäftsveräußerung im Ganzen nach § 1 Abs. 1a des Umsatzsteuergesetzes —UStG—) nicht zustand.
4 Höchstrichterlich geklärt ist auch, dass die Verzinsung nicht deshalb unbillig ist, weil sich aufgrund einer Umsatzsteuerfestsetzung beim Leistenden per Saldo ein Ausgleich mit den vom Leistungsempfänger abgezogenen Vorsteuerbeträgen ergibt. Denn § 233a AO stellt nicht auf einen Vorteil des FA, sondern des Steuerpflichtigen ab. Außerdem sind die Entstehungsvoraussetzungen für die Steuer des Leistenden und den Vorsteuerabzug des Leistungsempfängers nicht deckungsgleich (Senatsurteile in BFHE 266, 16, und vom - V R 28/95, BFHE 183, 353, BStBl II 1997, 716). Das Finanzgericht (FG) hat daher zu Recht berücksichtigt, dass der Leistende (hier: Schwestergesellschaft) seit der Rechnungsausstellung (Gutschrift) jedenfalls bis zur erfolgten Berichtigung der Gutschriften, wenn nicht bis zur erfolgten Rückzahlung der Vorsteuerbeträge (, BFHE 255, 474) die Umsatzsteuer schuldete, während die Klägerin die zu Unrecht ausgewiesenen Umsatzsteuerbeträge zu keinem Zeitpunkt als Vorsteuern abziehen durfte.
5 b) Die von der Klägerin angeführten „neuen Aspekte“ geben keinen Anlass zu einer anderen Beurteilung der Rechtsfrage.
6 aa) Das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) Kollroß und Wirtl vom - C-660/16, C-661/16 (, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung —HFR— 2018, 588) ist für die Rechtsfrage nicht einschlägig, da es das Recht auf Vorsteuerabzug aus Anzahlungen betrifft. Dieses Recht darf dem potenziellen Erwerber der betreffenden Gegenstände nicht versagt werden, wenn diese Anzahlung geleistet und vereinnahmt wurde und zum Zeitpunkt dieser Leistung alle maßgeblichen Elemente der zukünftigen Lieferung als dem Erwerber bekannt angesehen werden konnten und die Lieferung dieser Gegenstände daher sicher erschien (Leitsatz des EuGH-Urteils Kollroß und Wirtl, EU:C:2018:372, HFR 2018, 588). Soweit die Klägerin dem EuGH-Urteil Kollroß und Wirtl (EU:C:2018:372, HFR 2018, 588) entnimmt, aufgrund des Neutralitätsgrundsatzes müsse auf beide am Leistungsaustausch beteiligten Unternehmer und damit auf die steuerliche Gesamtauswirkung abgestellt werden, berücksichtigt sie nicht, dass Zinsen zur Umsatzsteuer keinen umsatzsteuerähnlichen Charakter i.S. des Art. 401 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) haben und der Neutralitätsgrundsatz daher auf diese keine Anwendung findet (Senatsurteil vom - V R 54/00, BFHE 200, 38, BStBl II 2003, 175, unter II.3. a.E.).
7 bb) Das , AO (Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst 2017, 949) und die Folgeentscheidung des Senats vom - V R 32/16 (BFHE 262, 492) betreffen den Billigkeitserlass von Umsatzsteuern in einer besonderen Konstellation (Sale-and-Mietkauf-back-Geschäfte). Nach den Feststellungen des FG beruhten die Inanspruchnahme des Vorsteuerabzugs und die Erteilung von Rechnungen mit Steuerausweis auf rechtlichen Fehlvorstellungen der beiden Vertragspartner zu Rechtsfragen, zu denen in den Streitjahren noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung vorlag. Darüber hinaus waren die Beteiligten bei der Erteilung von Rechnungen mit Steuerausweis von ihren zivilrechtlich getroffenen Vereinbarungen ausgegangen. Unter diesen besonderen Umständen und im Hinblick auf eine fehlende Gefährdung des Steueraufkommens gewährte der Senat ausnahmsweise einen Billigkeitserlass. Nach seinen Ausführungen im Urteil in BFHE 262, 492, Rz 15 zum Bestelleintritt ist ein Erlass hingegen ausgeschlossen, wenn es —wie im Streitfall— nicht um eine gegenseitige Erteilung von Rechnungen zwischen zwei Personen geht und der Steuerausweis in den Rechnungen auf einer ohne weiteres vermeidbaren Fehlbeurteilung beruht.
8 cc) Entgegen der Ansicht der Klägerin ergeben sich Anhaltspunkte für eine Neubeurteilung des Billigkeitserlasses bei Nachzahlungszinsen auch nicht aus dem Aufsatz von Nieskens (Zeitschrift für das gesamte Mehrwertsteuerrecht 2015, 243) zum EuGH-Urteil Equoland vom – C-272/13, EU:C:2014:2091, HFR 2014, 851). Das EuGH-Urteil betrifft die Frage des Abzugs von Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer und Nieskens überträgt die Aussagen des EuGH zu dem —für Nachzahlungszinsen unerheblichen— Grundsatz der Neutralität auf das Reverse-Charge-Verfahren nach § 13b UStG.
9 c) Schließlich ergeben sich auch aus dem im Laufe des Beschwerdeverfahrens ergangenen Senatsurteil in BFHE 266, 16 für den Streitfall keine neuen Aspekte zum Erlass von Nachzahlungszinsen. Nach dem Leitsatz dieses Urteils sind Zinsen aus sachlichen Billigkeitsgründen zu erlassen, wenn der Leistende und der Leistungsempfänger rechtsfehlerhaft davon ausgehen, dass der Leistende Steuerschuldner ist, obwohl der Leistungsempfänger die Steuer schuldet (§ 13b UStG), und wenn das FA die für die Leistung geschuldete Steuer vom vermeintlichen statt vom wirklichen Steuerschuldner vereinnahmt hatte, der Leistende seine Rechnungen mit Steuerausweis berichtigt und den sich hieraus ergebenden Vergütungsanspruch an den Leistungsempfänger abtritt. Dieser Sonderfall eines Zinserlasses ist beschränkt auf Fälle des (entschuldbaren) Irrtums über den Steuerschuldner in Bauträgerfällen und nicht auf die vermeidbare Fehlbeurteilung des Orts einer sonstigen Leistung nach § 3a Abs. 2 UStG übertragbar. Diese Besonderheiten hat der Senat in Rz 20 des Urteils in BFHE 266, 16 herausgestellt und mit dem Hinweis auf seinen Beschluss vom - V B 91/09 (BFH/NV 2010, 1619) deutlich gemacht, dass eine zum Erlass führende Unbilligkeit nicht vorliegt, wenn der Unternehmer seine Ausgangsumsätze irrtümlich als steuerpflichtig angesehen hat und ihm deshalb der Vorsteuerabzug zu versagen ist und die daraus resultierenden Nachzahlungszinsen deshalb nicht durch Guthabenzinsen ausgeglichen werden, weil die Berichtigung der Steuerschuld nach § 14 Abs. 2 UStG erst mit Berichtigung der Rechnung in einem späteren Veranlagungszeitraum erfolgt.
10 2. Die Revision ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alternative FGO). Dieser Zulassungsgrund ist ein Unterfall des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung (vgl. , BFH/NV 2017, 1635, Rz 16) und setzt daher ebenfalls eine klärungsbedürftige und klärbare Rechtsfrage voraus (, BFH/NV 2017, 1591, Rz 25), an der es hier —wie unter 1. im Einzelnen ausgeführt— fehlt.
11 3. Von der Darstellung des Sachverhalts und einer weiteren Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO abgesehen.
12 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2020:B.110520.VB76.18.0
Fundstelle(n):
BFH/NV 2020 S. 1047 Nr. 11
XAAAH-55810