Nur wo Nutella draufsteht, ...
Trickkiste des Gesetzgebers: Steuereintreibung nach Verjährung
„Nur wo Nutella draufsteht, ist auch Nutella drin.“ Diese besonders bei kleinen Feinschmeckern bekannte Regel gilt jedenfalls nicht für das Zweite Corona-Steuerhilfegesetz, das der Bundesrat am verabschiedet hat. Unter der Flagge der Krisenbekämpfung fahren auf dem großen Schiff „Corona-Steuerhilfegesetz“ zwei einschneidende Änderungen des Steuerstrafrechts wie ein blinder Passagier mit. Vertiefte Diskussionen wollte der Gesetzgeber offensichtlich vermeiden. Die erste Neuregelung sieht vor, dass die Einziehung von Taterträgen (Steuervorteilen) und die Anordnung von Wertersatz gem. §§ 73-73c StGB selbst dann noch angeordnet werden kann, wenn der steuerrechtliche Anspruch bereits durch Verjährung erloschen und nicht mehr durchsetzbar ist (§ 375a AO-neu). In Strafverfahren wird damit die bisher umstrittene Ansicht legalisiert, dass eine Steuereintreibung durch die Justizorgane trotz steuerlicher Festsetzungs- oder Zahlungsverjährung noch möglich ist. Eine solche Ausdehnung widerspricht dem rechtsstaatlichen Zweck von Verjährungsfristen, Rechtsfrieden einkehren zu lassen. Die Neuregelung des § 375a AO gilt für alle Steueransprüche, die am Tag nach der Gesetzesverkündung noch nicht steuerlich verjährt sind (Art. 97 § 34 EGAO). Als Folge dieser Neuregelung droht z. B. nach einer Betriebsprüfung oder einer Selbstanzeige – jeweils nach Einleitung eines Steuerstrafverfahrens – die Beitreibung von Uralt-Steuern, die das Finanzamt selbst gar nicht mehr festsetzen und einfordern könnte. Diese neue Einziehungsregelung ist im Zusammenhang mit der verjährungsrechtlichen Neuregelung in § 376 Abs. 1 und 3 AO-neu zu sehen. In § 376 Abs. 1 AO-neu stellt der Gesetzgeber klar, dass bei der Steuerhinterziehung in besonders schweren Fällen (also z. B. bei einer Hinterziehung von mehr als 50.000 € pro Tat) die strafrechtliche Verjährung gem. § 78b Abs. 4 StGB ruht, wenn das strafrechtliche Hauptverfahren vor dem Landgericht eröffnet worden ist. Außerdem wird in den Fällen einer besonders schweren Hinterziehung die Grenze der absoluten Verjährung vom Doppelten nun auf das Zweieinhalbfache ausgedehnt (§ 376 Abs. 3 AO-neu). Eine Hinterziehung von mehr als 50.000 € pro Tat verjährt strafrechtlich somit spätestens in 25 statt bisher 20 Jahren (ggf. zuzüglich bis zu fünf Jahre Verfahrensruhe). Bei der Abgabe von Selbstanzeigen sollte künftig gesehen werden, dass sich hierdurch der notwendige Berichtigungsverbund ausweiten kann (Vollständigkeitsgebot gem. § 371 Abs. 1 AO). Ungeklärt ist, ob die steuerliche Festsetzungsverjährung eine äußerste Grenze für den Berichtigungsverbund darstellt. Der Gesetzgeber will der Justiz mehr Zeit für komplexe Steuerstrafverfahren geben. Anlass sind die aktuellen Cum/Ex-Strafverfahren. Dieses nachvollziehbare Anliegen verfolgt er jedoch ohne erkennbare Prüfung von Alternativen (z. B. ob die Justiz noch effizienter organsiert oder Strafrichter und Staatsanwälte noch besser und fortlaufend im Bereich des Steuerstrafrechts qualifiziert werden könnten). Es ist rechtsstaatlich bedenklich, dass die erheblichen Änderungen der Verjährung ohne eine Vertrauensschutzregelung eingeführt werden. Das besondere Gewicht der Neuregelung ergibt sich auch aus dem Zusammenspiel mit der Einziehungsmöglichkeit. Daher greift der Hinweis der Gesetzesbegründung auf frühere Rechtsprechung, die keinen Vertrauensschutz verlangt, zu kurz.
Dirk Beyer
Fundstelle(n):
NWB 2020 Seite 1969
UAAAH-52253