BGH Beschluss v. - 4 StR 347/19

(„Verurteilung“ zu einer vorbehaltenen Geldstrafe durch einen Beschluss nach § 59b Abs. 1 StGB als frühere Verurteilung im Sinne des § 55 Abs. 1 S. 2 StGB)

Leitsatz

Die „Verurteilung“ zu einer vorbehaltenen Geldstrafe durch einen Beschluss nach § 59b Abs. 1 StGB ist keine frühere Verurteilung im Sinne des § 55 Abs. 1 Satz 2 StGB.

Gesetze: § 55 Abs 1 S 2 StGB, § 59b Abs 1 StGB, § 59c Abs 2 StGB

Instanzenzug: LG Halle (Saale) Az: 3 KLs 18/18

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen unter Einbeziehung der mit Urteil des Amtsgerichts Gelnhausen vom verhängten Einzelstrafen unter Auflösung der dort gebildeten Gesamtstrafe und unter Einbeziehung der mit Urteil des Amtsgerichts Gelnhausen vom wegen fahrlässigen Führens einer Schusswaffe verhängten Geldstrafe und unter Auflösung der dort gebildeten Gesamtstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Außerdem hat es angeordnet, dass die im Urteil des Amtsgerichts Gelnhausen vom wegen unerlaubten Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verhängte Einzelstrafe gesondert bestehen und eine Einziehungsentscheidung aufrechterhalten bleiben. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision.

21. Der Schuldspruch und die festgesetzte Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten weisen keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf.

3Die Strafkammer hat zu Recht davon abgesehen, die im Urteil des Amtsgerichts Gelnhausen vom vorbehaltene Geldstrafe in die aus den Einzelstrafen für die verfahrensgegenständlichen Taten (Tatzeit: ) und weiteren Strafen gebildete Gesamtstrafe einzubeziehen. Zwar ist der Angeklagte zu der nach § 59 Abs. 1 StGB vorbehaltenen Strafe erst mit Beschluss desselben und damit nach den verfahrensgegenständlichen Taten „verurteilt“ worden. Bei diesem nach § 59b Abs. 1 StGB ergangenen Beschluss, handelt es sich aber nicht um eine frühere Verurteilung im Sinne des § 55 Abs. 1 Satz 2 StGB.

4a) Als „frühere Verurteilung“ gemäß § 55 Abs. 1 Satz 2 StGB bei der die zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten, gilt das letzte tatrichterliche Sachurteil oder ein ihm gleichstehendes Erkenntnis (vgl. , NJW 2020, 1380 Rn. 7 ff.; Beschluss vom – 1 StR 535/19 Rn. 18 [jeweils zu dem Beschluss nach § 411 Abs. 1 Satz 3 StPO]), das sich mit der Schuld und/oder zumindest noch einem Teil der Straffrage befasst (vgl. , NJW 2020, 1380 Rn. 12 [Entscheidung über die Höhe der Tagessätze]; Beschluss vom – 3 StR 245/18 Rn. 7; Beschluss vom – 4 StR 407/15 Rn. 8 [Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung]; Beschluss vom ‒ 3 StR 178/09, NStZ-RR 2010, 41 [Entscheidung über die Bildung einer Gesamtstrafe]; Beschluss vom – 2 StR 147/60, BGHSt 15, 66, 69 f. [Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung], jew. mwN; Bringewat, Die Bildung der Gesamtstrafe, 1984, Rn. 196 ff.). Denn zu diesem Zeitpunkt wäre es dem Gericht des früheren Verfahrens noch möglich gewesen – rechtzeitige Anklageerhebung vorausgesetzt ‒ über die jetzt abzuurteilende Tat zu verhandeln und tatrichterliche Feststellungen zu treffen (vgl. , BGHSt 15, 66, 70 f.). Sind – wie etwa bei einer Entscheidung nach § 460 StPO – keine neuen tatrichterlichen Feststellungen mehr möglich, liegen die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 StGB nicht vor (vgl. Rn. 14 mwN).

5b) Danach handelt es sich bei einem Beschluss nach § 59b Abs. 1 StGB nicht um ein dem tatrichterlichen Sachurteil gleichstehendes Erkenntnis. Nach § 59b Abs. 1 StGB gilt für die Verurteilung zu der vorbehaltenen Strafe § 56f StGB entsprechend. Die Entscheidung ergeht gemäß § 453 Abs. 1 Satz 1 StPO ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss nach Anhörung der Staatsanwaltschaft und des Verwarnten (§ 453 Abs. 1 Satz 1 und 2 StPO). Neue tatrichterliche Feststellungen werden in diesem Verfahren nicht getroffen, sodass eine Verhandlung über weitere inzwischen zur Anklage gebrachte frühere Straftaten notwendig ausscheidet. Verfahrensgegenstand ist lediglich das Bewährungsverhalten des Verwarnten; eine Abänderung der vorbehaltenen Strafe ist nicht mehr möglich (vgl. Fischer, StGB, 67. Aufl., § 59b Rn. 1; Bußmann in: Matt/Renzikowski, StGB, 2. Aufl., § 59b Rn. 4; MünchKommStGB/Groß, 3. Aufl., § 59b Rn. 4; Hubrach in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., § 59b Rn. 5). Der Umstand, dass erst die Entscheidung nach § 59b Abs. 1 StGB zu einer „Verurteilung“ des Verwarnten führt, hat nicht zur Folge, dass deshalb auch zu diesem Zeitpunkt noch eine tatrichterliche Prozesssituation gegeben wäre (so aber wohl in MünchKommStGB/Groß, 3. Aufl., § 59b Rn. 10; Hubrach in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., § 59b Rn. 7).

62. Allerdings hätte die Strafkammer prüfen müssen, ob zwischen der isoliert bestehen gebliebenen Strafe wegen unerlaubten Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen aus dem Urteil des Amtsgerichts Gelnhausen vom und der im Urteil des Amtsgerichts Gelnhausen vom zunächst vorbehaltenen und mit Beschluss vom ausgeurteilten Geldstrafe von 70 Tagessätzen eine Gesamtstrafe zu bilden ist.

7Nach den hierzu getroffenen Feststellungen kommt eine Gesamtstrafenlage im Sinne des § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB in Betracht. Denn die der Verurteilung wegen unerlaubten Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen durch das Amtsgericht Gelnhausen vom zugrundeliegende Tat wurde zwischen dem und dem und damit vor dem rechtskräftigen Urteil des Amtsgerichts Gelnhausen vom begangen. Nach § 59c Abs. 2 StGB steht eine vorbehaltene Strafe in den Fällen des § 55 StGB einer erkannten Strafe gleich. Dies hat zur Folge, dass bei einer späteren Verurteilung wegen Straftaten, die vor der Verwarnung begangen worden sind, das die Verwarnung aussprechende Urteil als frühere Verurteilung im Sinne des § 55 Abs. 1 Satz 2 StGB heranzuziehen und eine Gesamtstrafenbildung mit der lediglich vorbehaltenen Geldstrafe zu erfolgen hat (vgl. Rn. 14; OLG Frankfurt, Beschluss vom – 2 Ss 311/07, NStZ 2009, 278; Rissing-van Saan/Scholze in Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Aufl., § 55 Rn. 6). Wird der Verurteilte – wie hier – später durch einen Beschluss nach § 59b Abs. 1 i.V.m. § 56 f. StGB zu der vorbehaltenen Strafe verurteilt, ist § 55 Abs. 1 Satz 2 StGB unmittelbar anwendbar (vgl. Fischer, StGB, 67. Aufl., § 59c Rn. 2; Hubrach in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., § 59c Rn. 7).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:260220B4STR347.19.1

Fundstelle(n):
NJW 2020 S. 10 Nr. 26
NJW 2020 S. 2202 Nr. 30
YAAAH-50273