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NWB-EV Nr. 3 vom Seite 88

Neue Verlustverrechnungskreise für den Ausfall von Forderungen und für Termingeschäfte

Das Aus für den privaten Termingeschäftshandel?

Oliver Schultze

Im Rahmen der Einführung der Abgeltungsteuer wurden sämtliche Wertzuwächse bei Wertpapieren bei Realisation steuerpflichtig. Im Gegenzug können seitdem Wertverluste gegengerechnet werden. Die Finanzverwaltung hat die Verlustberücksichtigung bisher aber sehr restriktiv gehandhabt. Mitte Dezember 2019 wurde als Annex zum „Gesetz zur Einführung einer Pflicht zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen” eine Verlustverrechnungseinschränkung für alle Termingeschäftsverluste sowie den wertlosen Verfall von Wertpapieren beschlossen.

Kernaussagen
  • Der Gesetzgeber schränkt die Verlustverrechnung im Bereich der Kapitalanlagen systemwidrig deutlich ein. Kapitalanlagen zur Altersvorsorge werden diskriminiert und nicht gefördert.

  • Die Zahl der Steuerveranlagungen sowie auch der Beratungsbedarf der Steuerpflichtigen im Bereich Kapitaleinkünfte wird damit deutlich zunehmen.

  • Der private Terminhandel unterliegt ab 2021 großen steuerlichen Risiken. Auch Absicherungsstrategien sind von der steuerlichen Verschärfung betroffen.

I. Problemstellung

Seit 2009 sind mit Einführung der Abgeltungsteuer sämtliche Gewinne aus der Veräußerung von Wertpapieren steuerpflichtig, wenn die Wertpapiere nach 2008 angeschafft wurden. Im Gegenzug können auch Veräußerungsverluste entsprechend berücksichtigt werden, dies entspricht dem allgemeinen Gedanken der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit. Während das Fachschrifttum von Anbeginn an der Auffassung war, dass dies für alle Verluste zutrifft, hat sich die Finanzverwaltung sehr restriktiv gezeigt.

Die Finanzverwaltung hat dabei Verluste aus der Veräußerung von Wertpapieren nur anerkannt, wenn nach Abzug der regulären Gebühren noch ein Erlös übergeblieben ist. Der Verfall von Optionen, Optionsscheinen und Zertifikaten wurde entsprechend der alten Rechtslage bis 2008 auch ab 2009 nicht anerkannt. Der BFH hat bereits in den seinerzeit anhängigen Verfahren zur alten Rechtslage (z. B. , BStBl 2012 II S. 454) deutlich gemacht, dass der Verfall bzw. das Wertloswerden von Wertpapieren mit Beginn der Abgeltungsteuer im Gegensatz zur alten Rechtslage von steuerlicher Bedeutung ist. Trotzdem hat die Finanzverwaltung weiterhin an ihrer restriktiven Auffassung festgehalten, entsprechende BFH-Entscheidungen wurden teilweise erst mit erheblicher Verzögerung im BStBl veröffentlicht. Auch die diesbezüglichen Entscheidungen des BFH zur neuen Rechtslage haben nicht zu einem Umdenken der Finanzverwaltung geführt. So wurde nur für die jeweils entschiedenen Wertpapiere und deren Verluste eine steuerliche Berücksichtigung zugelassen, für vergleichbare Fälle wurde an der einschränkenden Sichtweise festgehalten.

Mit der Entscheidung des BFH zum Totalverlust einer privaten Darlehensforderung (, NWB YAAAG-68035) und der nachfolgenden Entscheidung zur Frage, ob die Anerkennung des Verlustes von einem verbleibenden Erlös abhängt (, BStBl 2019 II S. 221), hat dann die Finanzverwaltung ihre Sichtweise (teilweise) aufgegeben. Das entsprechende BMF-Schreiben wurde für die Berücksichtigung im Rahmen des Kapitalertragsteuerabzugs auf Ebene der Kreditinstitute ab 2020 angepasst ( BStBl 2019 I S. 464). Damit – so schien es – war der „Kampf um die Verlustberücksichtigung“ für die betroffenen Anleger gewonnen.

Die Finanzverwaltung hat sich jedoch als schlechter Verlierer gezeigt. Im Entwurf zum Jahressteuergesetz 2019 war vorgesehen, die Berücksichtigung eines Totalverlustes bei Kapitalforderungen und Verluste aus dem Verfall von Optionen nicht mehr steuerlich zu berücksichtigen. Hierüber konnte aber im Gesetzgebungsverfahren auch aufgrund verfassungsrechtlicher Bedenken keine Einigung erzielt werden.

In einem zweiten Anlauf wurde dann als Annex zum „Gesetz zur Einführung einer Pflicht zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen“ kurz vor Weihnachten 2019 eine S. 89Neu-Regelung beschlossen, die durch die Aufnahme der Verlustberücksichtigung bis zu einer jährlichen Grenze von 10.000 € den verfassungsrechtlichen Bedenken gegen den ursprünglichen Gesetzentwurf im Jahressteuergesetz 2019 Beachtung verschafft hat. Bei den Termingeschäften hingegen wird durch die Ausweitung der Verlustverrechnungseinschränkung auf alle Termingeschäftsverluste und nicht nur auf den wertlosen Verfall entsprechender Derivate der private Termingeschäftshandel fast unmöglich gemacht.

II. Totalverluste durch Insolvenzen