BFH Beschluss v. - V B 210/01

Aussetzung des Verfahrens; Antrag auf Tatbestandsberichtigung

Gesetze: FGO §§ 74, 108

Gründe

I. Beim Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt —FA—) gingen am zwei Abtretungsanzeigen der S ein. Danach hatte diese ihre Erstattungsansprüche wegen Umsatzsteuer 1991 und 1992 in Höhe von 500 000 DM an die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) —eine Schwestergesellschaft— und in Höhe von 302 450,40 DM an den Geschäftsführer der Klägerin (R) abgetreten.

Das FA buchte zu Gunsten der Klägerin irrtümlich nicht nur den Betrag von 500 000 DM, sondern nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) insgesamt 598 493,80 DM aus dem Guthaben der S auf Steuerschulden der Klägerin um.

Nachdem das FA dem R auf dessen Klage hin im Januar 2000 98 493,80 DM erstattet hatte, erließ es am den streitigen Rückforderungsbescheid in nämlicher Höhe gegen die Klägerin. Es führte zur Begründung aus, die Klägerin sei nach § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) zur Rückzahlung des Betrages verpflichtet.

Das FG folgte der Rechtsauffassung des FA und wies die Klage ab. Es legte dar, die Klägerin habe den Betrag von 98 493,80 DM durch Umbuchung erhalten. Das habe sie zwar in der mündlichen Verhandlung bestritten, es sei aber vom FA durch Vorlage entsprechender Unterlagen nachgewiesen worden. Die Buchungsnachweise des FA summierten sich insgesamt auf 598 493,80 DM, die auf Steuerschulden der Klägerin verrechnet worden seien.

Dies sei ohne Rechtsgrund geschehen, da die zuvor von der S angezeigte Abtretung sich auf einen Betrag von 500 000 DM beschränkt habe und der darüber hinausgehende, jetzt streitige Betrag tatsächlich Ihrem Geschäftsführer zugestanden habe.

Die Umbuchung selbst stelle keinen Rechtsgrund für die Steuererstattung dar; es handele sich dabei um eine ”formlose, interne Maßnahme ohne irgendeinen bestandskraftfähigen Regelungsinhalt”. Auch die ihr zu Grunde liegende Aufrechnung beinhalte keinen Verwaltungsakt, den das FA nach § 130 AO 1977 hätte zurücknehmen müssen, um so den Rechtsgrund i.S. von § 37 Abs. 2 AO 1977 entfallen zu lassen. Denn ein FA übe durch die Aufrechnung vielmehr lediglich ein ihm zustehendes Gestaltungsrecht aus. Überdies sei im Streitfall die Abtretung bezüglich des streitigen Teilbetrages nicht wirksam geworden, weil die Klägerin insoweit nicht Abtretungsempfängerin gewesen sei.

Der Rückforderungsanspruch des FA sei weder verjährt noch verwirkt.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit der Nichtzulassungsbeschwerde.

II. Die Beschwerde der Klägerin ist unbegründet.

1. Nach § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Revision zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) erfordert (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Die Nichtzulassung der Revision kann durch Beschwerde angefochten werden (§ 116 Abs. 1 FGO). Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen; in der Begründung müssen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO dargelegt werden (§ 116 Abs. 3 FGO).

2. Die Revision ist nicht —was die Klägerin in erster Linie geltend macht— wegen eines Verfahrensmangels zuzulassen.

a) Soweit die Klägerin in mehrfacher Hinsicht Verletzung der Sachaufklärungspflicht rügt, genügen ihre Ausführungen nicht den Darlegungserfordernissen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO.

Wird die Rüge mangelnder Sachaufklärung infolge Verletzung der Amtsermittlungspflicht des Gerichts erhoben, muss in der Beschwerdeschrift dargelegt werden, welche Tatsachen aufklärungsbedürftig sind, welche Beweismittel zu welchem Beweisthema das FG nicht erhoben hat, warum diese Beweiserhebung sich dem FG —auch ohne besonderen Antrag— als erforderlich hätte aufdrängen müssen, inwieweit die als unterlassen gerügte Beweiserhebung zu einer anderen Entscheidung durch das FG hätte führen können und schließlich warum dieser Mangel nicht bereits in der Vorinstanz gerügt worden ist (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom VII B 67/98, BFH/NV 1999, 54; vom V B 156/00, BFH/NV 2001, 654).

Diese Anforderungen erfüllt die Beschwerdeschrift nicht. Insbesondere fehlt die Darlegung, warum die als aufklärungsbedürftig bezeichneten Tatsachen nach der insoweit maßgeblichen materiell-rechtlichen Auffassung des FG (vgl. z.B. , BFH/NV 2003, 939) entscheidungserheblich waren.

b) Die Klägerin hat auch nicht schlüssig dargelegt, dass —wie sie ferner rügt— das FG das Verfahren gemäß § 74 FGO aussetzen musste.

aa) Nach § 74 FGO kann ein finanzgerichtliches Verfahren ausgesetzt werden, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist.

Wird als Verfahrensmangel gerügt, das FG hätte das Klageverfahren nach § 74 FGO aussetzen müssen, so muss u.a. schlüssig vorgetragen werden, weshalb das dem FG hierfür eingeräumte Ermessen im Streitfall auf Null reduziert gewesen sein soll, die Aussetzung des Verfahrens also aufgrund der besonderen Umstände des Falles die einzige richtige Entscheidung gewesen wäre (vgl. BFH-Beschlüsse vom II B 31/95, BFH/NV 1996, 237; vom VII B 44/01, BFH/NV 2002, 655). Daran fehlt es.

bb) Soweit die Klägerin geltend macht, das FG hätte das Klageverfahren aussetzen müssen, um bezüglich der von ihr ”zur Aufrechnung gestellten Gegenforderung zunächst das Abrechnungsverfahren durchzuführen”, hat sie sich zwar u.a. auf den (BFH/NV 1999, 440) berufen. Danach muss das einen Rückforderungsbescheid betreffende Klageverfahren bis zur Bestandskraft des zu erlassenden Abrechnungsbescheids ausgesetzt werden, wenn die Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Rückforderungsbescheids von der Höhe der auf die Steuerschuld anzurechnenden Beträge abhängt und ein entsprechender Abrechnungsbescheid noch nicht ergangen ist. Mit dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt ist der vorliegende Streitfall aber nicht vergleichbar.

Eine Pflicht des FG, das Verfahren aus sonstigen Gründen auszusetzen, hat die Klägerin nicht schlüssig dargelegt. Das gilt auch, soweit sie eine Aussetzungspflicht ”zwecks Klärung der Erlassfrage” annimmt.

Aus dem angefochtenen FG-Urteil ergibt sich weder, dass die Klägerin eine ”Gegenforderung zur Aufrechnung” gestellt noch dass sie einen Erlass beantragt hat.

c) Die Revision kann auch nicht wegen des ferner von der Klägerin gerügten Verstoßes gegen § 96 Abs. 2 FGO, Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) zugelassen werden.

Insofern macht die Klägerin zum einen geltend, das FG habe eine Überraschungsentscheidung getroffen und zum anderen, im Termin zur mündlichen Verhandlung sei ihr nur eine Frist von 10 Minuten zur Stellungnahme zu den vom FA vorgelegten Buchungsunterlagen eingeräumt worden, obwohl sie —was nicht protokolliert worden sei— hierfür eine Frist von 14 Tagen beantragt habe.

Diese Rügen der Verletzung des rechtlichen Gehörs sind nicht ordnungsgemäß erhoben worden. Da die geltend gemachten Verfahrensfehler nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens betreffen (vgl. dazu , BFHE 196, 39, BStBl II 2001, 802), hätte die Klägerin nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO darlegen müssen, was sie bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte (vgl. z.B. , BFH/NV 2003, 79, zu 1. a.). Daran fehlt es.

d) Soweit die Klägerin ferner einen Verfahrensmangel darin sieht, dass im Tatbestand des FG-Urteils ihr Widerspruch gegen den ihr vor der mündlichen Verhandlung zugesandten Entwurf des Sachverhalts/Tatbestandes nicht erwähnt wird, ist weder ersichtlich noch dargelegt, dass die Vorentscheidung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO auf diesem Mangel —unterstellt, es läge insoweit ein Verfahrensmangel vor— beruhen kann.

e) Die weitere Rüge der Klägerin, das FG habe Hilfsanträge im Tatbestand des Urteils nicht berücksichtigt und in den Entscheidungsgründen mit Stillschweigen übergangen, kann ebenfalls nicht zum Erfolg der Nichtzulassungsbeschwerde führen.

Unrichtigkeiten im Tatbestand des finanzgerichtlichen Urteils sind nicht im Rechtsmittelverfahren beim BFH, sondern grundsätzlich nur mit einem (fristgebundenen) Antrag auf Tatbestandsberichtigung (§ 108 FGO) beim FG geltend zu machen (vgl. z.B. , BFH/NV 2002, 1273; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 108 FGO Rz. 3, 4).

3. Die Revision ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.

a) Die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO kommt nur wegen einer Rechtsfrage in Betracht, die im Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts klärungsbedürftig und im Streitfall klärbar ist (z.B. , BFH/NV 2002, 1012). Daran fehlt es im Streitfall.

b) Die von der Klägerin als rechtsgrundsätzlich angesehene Frage, ob entsprechend § 390 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs dem FA die Aufrechnung oder Umbuchung dann verwehrt sei, wenn es vorher zum Ausdruck gebracht habe, dass es für die Besteuerung des Aufrechnungsgegners nicht mehr zuständig sei, hat keine allgemeine Bedeutung, sondern kann sich nur nach den besonderen Umständen des vorliegenden Einzelfalls stellen.

c) Zu der ferner von der Klägerin aufgeworfenen Frage, ob eine ”Kassenmitteilung oder Kontostandmitteilung (wie Anrechnungs- oder Abrechnungsverfügung)” einen Verwaltungsakt darstellt, der nur nach § 130 Abs. 2 AO 1977 zurückgenommen werden kann, hat die Klägerin nicht dargelegt, dass diese Frage entscheidungserheblich ist und in einem Revisionsverfahren klärbar wäre.

4. Aus den vorgenannten Gründen rechtfertigen die aufgeworfenen Rechtsfragen auch nicht die Zulassung der Revision zur Fortbildung des Rechts nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 FGO oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nach § 115 Abs. 2 Nr. 2. Alt. 2 FGO.

5. Schließlich kann die Revision auch nicht wegen der von der Klägerin gerügten Abweichung des FG-Urteils von zwei BFH-Entscheidungen zugelassen werden.

Die Klägerin hat eine solche Abweichung nur behauptet, nicht aber durch Gegenüberstellung divergierender Rechtssätze dargelegt, wie dies nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO erforderlich gewesen wäre (vgl. dazu z.B. BFH-Beschlüsse vom V B 88/01, BFH/NV 2002, 748; in BFH/NV 2003, 939).

6. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO ab.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2003 S. 1598
BFH/NV 2003 S. 1598 Nr. 12
LAAAA-70609