Gründe
I. Einer der Prozessbevollmächtigten des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) ist Rechtsanwalt in X. In dem bei dem ca. 240 km entfernten Finanzgericht (FG) in Y anhängigen Rechtsstreit beantragte er, ihm die Gerichtsakten und die dem Gericht vorgelegten Akten zur Einsicht in sein Büro in X zu übersenden.
Das FG entschied, dem Prozessbevollmächtigten des Klägers werde die Möglichkeit zur Einsicht der Akten im Landgericht (LG) in X eröffnet; den Antrag auf Übersendung in die Kanzleiräume lehnte das FG ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus: Die Entscheidung darüber, ob die Akten einem Rechtsanwalt oder Steuerberater ausnahmsweise in seiner Kanzlei überlassen werden könnten, sei eine Ermessensentscheidung. Dabei müsse eine Aktenübersendung in die Kanzlei eines Prozessbevollmächtigten durch besondere Gründe geboten sein. Die Übersendung an das LG in X trage dem von dem Prozessbevollmächtigten geltend gemachten Problem der Entfernung von 240 km wie auch dem Einwand Rechnung, es habe bei früheren Akteneinsichtnahmen bei den Finanzämtern in X ”Beschwerlichkeiten” gegeben. Zur Wahrung des Steuergeheimnisses seien die Akten grundsätzlich in amtlicher Verwahrung zu halten. Die Unbequemlichkeit, die Akten nicht in den eigenen Kanzleiräumen, sondern im LG einsehen zu müssen, falle demgegenüber nicht entscheidend ins Gewicht.
Mit der Beschwerde trägt der Prozessbevollmächtigte im Wesentlichen vor: In die Vorentscheidung seien ”sachfremde und völlig abwegige, willkürliche und schikanöse Gründe eingeflossen, die diese Entscheidung unerträglich machten und das Akteneinsichtsrecht letztendlich erschwerten”. Vor dem Hintergrund, dass andere Senate des FG ihm Original-Beweismittelordner aushändigten, sei der angefochtene Beschluss nicht nachvollziehbar. Dessen einziges Motiv sei ”evident die Schikane und die Erschwernis der Akteneinsicht”. Entsprechend fehlten in dem Beschluss auch die exakten Ermessenserwägungen, warum die Akten in die Kanzleiräume übersandt werden sollten. Die vom FG genannten Gründe seien vorgeschoben und nicht stichhaltig, so dass der angefochtene Beschluss letztlich inhaltsleer sei und die wahren Ermessenserwägungen nicht oder nicht vollständig wiedergebe.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) hat sich zu der Beschwerde nicht geäußert.
II. Die Beschwerde ist unbegründet.
1. Nach § 78 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) können die Beteiligten die Gerichtsakten und die dem Gericht vorgelegten Akten einsehen und sich durch die Geschäftsstelle auf ihre Kosten Ausfertigungen, Auszüge und Abschriften erteilen lassen.
2. Nach ständiger Rechtsprechung kommt im Finanzgerichtsprozess eine Überlassung der Akten in die Wohn- oder Geschäftsräume des Prozessbevollmächtigten nur ausnahmsweise in Betracht.
a) § 78 FGO enthält keine dem § 100 Abs. 2 Satz 3 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) entsprechende Bestimmung, wonach es im Ermessen des Vorsitzenden steht, die Akten dem bevollmächtigten Rechtsanwalt zur Mitnahme in seine Wohnung oder in seine Geschäftsräume zu übergeben. Diese Regelung wurde in die FGO nicht aufgenommen, ”da dies eine Bevorzugung der Rechtsanwälte gegenüber den anderen als Bevollmächtigte in Betracht kommenden Berufsgruppen bedeuten würde” (BTDrucks IV/1446, S. 53). Daraus kann zwar nicht gefolgert werden, dass im finanzgerichtlichen Verfahren die Aktenübersendung an den Prozessbevollmächtigten stets ausgeschlossen werden sollte; es bestätigt aber, dass im finanzgerichtlichen Verfahren (auch) Rechtsanwälte grundsätzlich keinen Anspruch darauf haben, die Gerichtsakten in ihrer Wohnung oder in ihren Geschäftsräumen einzusehen (z.B. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs —BFH— vom IV B 20/77, BFHE 126, 1, BStBl II 1978, 677; vom XI B 31/93, BFH/NV 1994, 187). Verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Rechtsprechung bestehen nicht (vgl. z.B. , Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung —HFR— 1982, 77). Die Entscheidung darüber, ob die Akten einem Prozessbevollmächtigten ausnahmsweise zur Einsicht in dessen Geschäftsräume überlassen werden können, ist mithin im finanzgerichtlichen Verfahren eine Ermessensentscheidung.
b) Bei der Ausübung des Ermessens sind die für und gegen eine Aktenversendung sprechenden Interessen gegeneinander abzuwägen, also das dienstliche Interesse an einem geordneten Geschäftsgang (Vermeidung von Aktenverlusten, jederzeitige Verfügbarkeit der Akten und Wahrung des Steuergeheimnisses gegenüber Dritten) einerseits mit dem Interesse an der Ersparnis von Zeit und Kosten bei Gewährung der Akteneinsicht beim Prozessbevollmächtigten andererseits (z.B. , BFH/NV 1992, 403).
Die Abwägung hat jedoch vor dem Hintergrund der gesetzlichen Grundentscheidung zu erfolgen, wonach die Einsichtnahme der Akten bei Gericht die Regel sein soll. Die Ausnahmen sind deshalb auf eng begrenzte Sonderfälle beschränkt (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom VI B 418/98, BFH/NV 2000, 855; vom X B 184/01, BFH/NV 2002, 674; vom V B 5/02, BFH/NV 2002, 1464 —die Verfassungsbeschwerden gegen diese Entscheidung hat das nicht zur Entscheidung angenommen—).
Es reicht weder aus, dass die Akteneinsicht bei Gericht räumlich beengt ist und Kopiermöglichkeiten fehlen oder Kopierkosten entstehen (z.B. BFH-Beschlüsse vom IV B 87/90, BFH/NV 1991, 325; vom VII B 214/92, BFH/NV 1993, 743). Auch ist kein Sonderfall darin zu sehen, dass ein Bevollmächtigter stark mit Arbeit belastet ist und die Fahrt zum Gericht als zu zeitaufwendig ansieht (z.B. BFH-Beschlüsse vom X B 180/88, BFH/NV 1989, 645; in BFH/NV 1994, 187). Eine größere Entfernung zwischen Gericht und Kanzlei begründet ebenfalls keinen Sonderfall, wenn es möglich ist, dass die Akten an ein Gericht oder eine Behörde am Sitz des Bevollmächtigten übersandt und dort eingesehen werden können (z.B. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 1992, 403; vom II B 73/90, BFH/NV 1991, 332). Besondere Bedeutung ist auch dem Gesichtspunkt beizumessen, dass es sich bei den Steuerakten —dem wesentlichen Bestandteil der Prozessakten— um Originalakten handelt, an deren Bestand und Unversehrtheit der Steuergläubiger —aber auch der Steuerpflichtige— ein schutzwürdiges Interesse hat und dass schon jede Versendung und zusätzlich die Überlassung der Akten in die Kanzlei des Prozessbevollmächtigten die Gefahr in sich birgt, dass unbefugte Dritte Kenntnis vom Akteninhalt erlangen und ihn weitergeben. Dieser Gefahr kann, wenn schon eine Übersendung der Akten wegen der Entfernung des Anwalts vom Ort des Gerichts notwendig ist, nur durch Übersendung an eine andere Behörde oder ein Gericht begegnet werden. Die dortigen Bediensteten unterliegen als Amtsträger bzw. für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichtete dem Steuergeheimnis (§ 30 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 der Abgabenordnung —AO 1977—; vgl. z.B. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 1994, 187, und in BFH/NV 2002, 1464).
3. Das FG ist von diesen Grundsätzen ausgegangen und hat —entgegen dem Beschwerdevorbringen— die für seine Entscheidung maßgeblichen Ermessenserwägungen dargelegt. Seine Entscheidung ist nicht zu beanstanden.
Dass andere Senate des FG dem Prozessbevollmächtigten nach seiner Darstellung Original-Beweismittelordner ausgehändigt haben, reduzierte das Ermessen des FG bei der nunmehr zu treffenden Entscheidung nicht dahin, in entsprechender Weise zu verfahren.
Dafür, dass —wie mit der Beschwerdeschrift behauptet wird— in diese Entscheidung sachfremde, völlig abwegige, willkürliche und schikanöse Gründe eingeflossen sind, besteht kein Anhaltspunkt.
Der Senat sieht von einer weiteren Begründung nach § 113 Abs. 2 Satz 3 FGO ab.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2003 S. 484
BFH/NV 2003 S. 484 Nr. 4
MAAAA-70558