BGH Beschluss v. - VI ZB 47/17

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Erkundigungspflicht des Rechtsanwalts hinsichtlich der Bearbeitung seines ersten Antrags auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist

Leitsatz

Ein Rechtsanwalt darf regelmäßig erwarten, dass einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist entsprochen wird, wenn er einen erheblichen Grund vorträgt. Demgemäß besteht keine Verpflichtung, sich innerhalb des Laufs der Berufungsbegründungsfrist beim Gericht zu erkundigen, ob der Verlängerungsantrag rechtzeitig eingegangen ist und ob ihm stattgegeben werde (Anschluss Senatsbeschluss vom , VI ZB 54/16, NJW-RR 2017, 1532 Rn. 12 mwN).

Gesetze: § 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO, § 520 Abs 2 S 3 ZPO

Instanzenzug: Az: I-27 U 62/17vorgehend LG Bochum Az: I-6 O 129/16

Gründe

I.

1Der Kläger nimmt die Beklagten auf Schadensersatz in Anspruch. Das Landgericht hat der Klage teilweise stattgegeben. Gegen das seinem Prozessbevollmächtigen am zugestellte Urteil hat der Beklagte zu 2 fristgerecht Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom begründet. Mit Beschluss vom hat das Berufungsgericht den Beklagten zu 2 darauf hingewiesen, dass seine Berufung nicht innerhalb der am abgelaufenen Berufungsbegründungsfrist begründet worden ist. Beklagte zu 2 hat daraufhin mit Schriftsatz vom Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist beantragt.

2Zur Begründung hat der Beklagte zu 2 ausgeführt, sein Prozessbevollmächtigter habe mit Schriftsatz vom "wegen Arbeitsüberlastung" die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum beantragt. Dem Wiedereinsetzungsantrag waren beigefügt ein Doppel des Verlängerungsantrags vom und eine anwaltliche Versicherung seines Rechtsanwalts. Dieser bestätigt darin, den Verlängerungsantrag am wie in dem beigefügten Doppel gefertigt, selbst ausgedruckt, frankiert und in den nächsten Briefkasten - Briefschlitz für auswärtige Post - geworfen zu haben.

3Das Berufungsgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Ein Verlängerungsantrag sei nicht zu den Akten gelangt. Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten zu 2 habe nicht auf die Bewilligung seines Fristverlängerungsantrags vertrauen dürfen. Er hätte sich spätestens am Tag des ursprünglichen Fristablaufs, also am , über den Erfolg seines Antrags erkundigen müssen.

4Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten zu 2.

II.

5Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet.

61. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO in Verbindung mit § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Die angefochtene Entscheidung verletzt den Beklagten zu 2 in seinen Verfahrensgrundrechten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Das Berufungsgericht hat die Anforderungen an die Schutzwürdigkeit des Vertrauens in den Erfolg eines Antrags auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist überspannt.

7a) Nach § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO kann die Frist zur Berufungsbegründung ohne Einwilligung des Gegners auf Antrag um bis zu einem Monat verlängert werden, wenn nach freier Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt. Zwar muss ein Berufungsführer grundsätzlich damit rechnen, dass der Vorsitzende des Berufungsgerichts in Ausübung seines pflichtgemäßen Ermessens eine beantragte Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist versagt. Daher kann er sich im Wiedereinsetzungsverfahren nur dann mit Erfolg auf sein Vertrauen in die Fristverlängerung berufen, wenn deren Bewilligung mit großer Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte (BGH, Beschlüsse vom - VIII ZB 69/16, NJW 2017, 2041 Rn. 11; vom - IX ZB 34/16, NJW-RR 2017, 564 Rn. 10; vom - VII ZB 111/08, NJW 2009, 3100 Rn. 8; jeweils mwN).

8b) Das ist jedoch nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist im Allgemeinen der Fall, sofern dieser auf erhebliche Gründe im Sinne des § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO gestützt wird. Zu den erheblichen Gründen im Sinne dieser Vorschrift zählt insbesondere die Arbeitsüberlastung des Prozessbevollmächtigten (Senatsbeschlüsse vom - VI ZB 54/16, NJW-RR 2017, 1532 Rn. 12; vom - VI ZB 69/08, VersR 2010, 789, Rn. 6; BGH, Beschlüsse vom - VIII ZB 69/16, NJW 2017, 2041 Rn. 12; vom - IX ZB 34/16, NJW-RR 2017, 564 Rn. 10). An die Darlegung eines erheblichen Grundes für die Notwendigkeit der Fristverlängerung dürfen bei einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist keine hohen Anforderungen gestellt werden (vgl. Senatsbeschluss vom - VI ZB 46/09, NJW 2010, 1610 Rn. 7; , NJW 2017, 2041 Rn. 12).

9Daher reicht der bloße Hinweis auf eine Arbeitsüberlastung zur Feststellung eines erheblichen Grundes im Sinne des § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO aus, ohne dass es einer weiteren Substantiierung bedarf (Senatsbeschlüsse vom - VI ZB 4/13, NJW 2014, 700 Rn. 15; vom - VI ZB 46/09, NJW 2010, 1610 Rn. 9; , NJW 2017, 2041 Rn. 13; jeweils mwN). Auf diese höchstrichterliche Rechtsprechung darf der Anwalt regelmäßig vertrauen; die unteren Instanzen dürfen aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit nicht zum Nachteil der betroffenen Parteien strengere Maßstäbe anlegen (vgl. Senatsbeschluss vom - VI ZB 46/09, NJW 2010, 1610 Rn. 7; , NJW 2017, 2041 Rn. 13).

10c) Demgemäß war der Prozessbevollmächtigte des Beklagten zu 2 nicht verpflichtet, sich innerhalb des Laufs der ursprünglichen Berufungsbegründungsfrist bei Gericht zu erkundigen, ob der Verlängerungsantrag rechtzeitig eingegangen ist und ob ihm stattgegeben wurde (Senatsbeschlüsse vom - VI ZB 54/16, NJW-RR 2017, 1532 Rn. 12 ff.; vom - VI ZB 65/06, VersR 2008, 234 Rn. 9; vom - VI ZB 52/05, VersR 2006, 568 Rn. 6; jeweils mwN).

112. Die Rechtsbeschwerde ist somit auch begründet.

III.

12Das Berufungsgericht wird zu prüfen haben, ob es das Parteivorbringen für glaubhaft, den vorgetragenen Geschehensablauf also für überwiegend wahrscheinlich (Senatsbeschluss vom - VI ZB 19/16, VersR 2016, 1463 Rn. 12; vgl. BGH, Beschlüsse vom - II ZB 15/97, NJW 1998, 1870; vom - VIII ZB 7/96, NJW 1996, 1682; vom - IX ZB 4/83, VersR 1983, 491) hält. Die Sache ist daher gemäß § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

IV.

13Der Antrag des Beklagten zu 2 auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Rechtsbeschwerdeverfahren bleibt ohne Erfolg, weil er seine wirtschaftlichen Verhältnisse nicht glaubhaft dargelegt hat (§ 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO). Aus den vorgelegten Kontoauszügen ergeben sich Einnahmen, zu denen sich der Antragsteller nicht widerspruchsfrei erklärt hat.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2018:200218BVIZB47.17.0

Fundstelle(n):
NJW 2018 S. 9 Nr. 17
NJW-RR 2018 S. 569 Nr. 9
NAAAG-80183