Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) wird mit ihrem Ehemann zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Das zu versteuernde Einkommen der Eheleute betrug im Jahr 1996 ... DM. Für die beiden 1981 und 1984 geborenen Kinder bewilligte der Beklagte und Revisionsbeklagte (Beklagter), zuletzt mit Bescheid vom , Kindergeld. Der Arbeitgeber der Klägerin zahlte ab dem ein monatliches Kindergeld von jeweils 200 DM, zusammen 400 DM.
Mit ihrem Einspruch machte die Klägerin geltend, die Höhe des Kindergeldes sei nicht verfassungsgemäß. Die derzeitige Höhe des monatlichen Kindergeldes entspreche einem monatlichen Kinderfreibetrag von 522 DM. Dieser Betrag decke das Existenzminimum eines Kindes nicht ab. Der Beklagte wies den Einspruch als unbegründet zurück.
Zur Begründung ihrer Klage trug die Klägerin vor, dass ein jährlicher Kinderfreibetrag von 9 072 DM realitätsgerecht sei.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1997, 820 veröffentlicht.
Die Klägerin erstrebt mit ihrer Revision, dass dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gemäß Art. 100 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) die Frage vorgelegt wird, ob § 66 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der für das Streitjahr 1996 gültigen Fassung insoweit, als er für das erste und das zweite Kind ein Kindergeld von nur 200 DM vorsieht, verfassungsgemäß ist.
Zur Begründung macht sie geltend, der jährliche Mindestbedarf für die Aufziehung von Kindern betrage 9 072 DM. Das Kindergeld müsse deshalb monatlich mindestens 289,65 DM betragen. Die Gesichtspunkte, die für die verfassungsrechtliche Prüfung der Höhe von Kinderfreibeträgen maßgeblich seien, seien ab dem auch unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 Abs. 1 GG für die verfassungsrechtliche Angemessenheit der Höhe des Kindergeldes maßgebend. Das Kindergeld habe eine janusköpfige Funktion, weil es zunächst eine verfassungsrechtlich gebotene Steuerentlastung bewirke und sodann, soweit es —wie bei der Mehrzahl der Steuerpflichtigen— darüber hinausgehe, eine Sozialleistung sei (§ 31 EStG). Der Gesetzgeber sei durch Art. 3 Abs. 1 GG gebunden, innerhalb dieses von ihm selbst geschaffenen Systems nicht ohne zwingende Gründe die Systemgerechtigkeit zu durchbrechen. Da das Kindergeld von 200 DM und der Kinderfreibetrag von 6 264 DM bei einem Grenzsteuersatz von 38,3 v.H. deckungsgleich seien, sei dies die vom Gesetzgeber selbst vorgegebene und ihn bindende Relation für das Verhältnis von Kindergeld und Kinderfreibetrag. Deshalb könne sie, die Klägerin, die zu geringe Höhe des Kinderfreibetrages auf dem Wege über die Feststellung der Höhe des Kindergeldes geltend machen.
Sie beantragt,
1. die Kindergeldbescheinigung des Beklagten zur Vorlage beim Arbeitgeber mit Wirkung vom in der Fassung der Einspruchsentscheidung des Beklagten vom und das insoweit aufzuheben, als ihr kein höheres monatliches Kindergeld als 400 DM gewährt wird,
2. den Beklagten zu verurteilen, für die Zeit vom bis zum ein zusätzliches Kindergeld von 2 151,60 DM festzusetzen und auszuzahlen.
Der Beklagte beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Die Revision der Klägerin ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Das FG hat die Klage mit dem Begehren auf Gewährung eines zusätzlichen monatlichen Kindergeldes von jeweils 89,65 DM für die beiden Kinder der Klägerin zu Recht abgewiesen. Dieses Begehren der Klägerin entbehrt der gesetzlichen Grundlage. Denn gemäß § 66 Abs. 1 EStG in der für das Streitjahr 1996 gültigen Fassung stehen der Klägerin für das erste und zweite Kind jeweils nur 200 DM Kindergeld zu. Diese Vorschrift ist entgegen der Auffassung der Klägerin nicht verfassungswidrig.
1. Es braucht im Streitfall nicht geklärt zu werden, ob der gesetzliche Kinderfreibetrag gemäß § 32 Abs. 6 EStG mit jährlich 6 264 DM ausreicht, um den existenznotwendigen Mindestbedarf eines Kindes unter 18 Jahren im Jahre 1996 abzudecken und ob die Vorschrift insoweit den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt (vgl. dazu BVerfG-Beschlüsse vom 1 BvL 20/84, 1 BvL 26/84, 1 BvL 4/86, BVerfGE 82, 60, BStBl II 1990, 653; vom 2 BvL 5/91, 2 BvL 8/91, 2 BvL 14/91, BVerfGE 87, 153, BStBl II 1993, 413; vom 2 BvL 42/93, BVerfGE 99, 246, BStBl II 1999, 174; vom 2 BvR 1852/97, 2 BvR 1853/97, BVerfGE 99, 273, BStBl II 1999, 194). Denn selbst wenn man zugunsten der Klägerin unterstellt, dass dies nicht der Fall gewesen sei, könnte ihre Klage auf Zahlung eines höheren Kindergeldes keinen Erfolg haben.
Der Gesetzgeber hat das bisherige duale System von Kindergeld und Kinderfreibetrag mit Wirkung ab dem geändert. Durch den neu eingefügten § 31 Satz 1 EStG i.d.F. des Jahressteuergesetzes 1996 (JStG 1996) vom (BGBl I 1995, 1250, BStBl I 1995, 438) wird die steuerliche Freistellung des Einkommensbetrages von Eltern in Höhe des Existenzminimums ihrer Kinder durch den Kinderfreibetrag korrespondierend mit der laufenden Steuervergütung Kindergeld (§ 66 i.V.m. § 31 Satz 3 EStG) bewirkt. Soweit durch das Kindergeld die (verfassungsrechtlich) gebotene steuerliche Freistellung nicht in vollem Umfang erreicht wird, ist nach § 31 Satz 4 EStG bei der Veranlagung zur Einkommensteuer der Kinderfreibetrag abzuziehen.
Der Umstand, dass das Gesetz denjenigen Steuerpflichtigen, bei dem das Kindergeld nicht zur steuerlichen Freistellung des Existenzminimums seiner Kinder ausreicht, wegen der weiter gehenden steuerlichen Entlastung auf die Veranlagung zur Einkommensteuer nach Ablauf des Kalenderjahres verweist (§ 25 Abs. 1 EStG), ist verfassungsrechtlich unbedenklich. Dies gilt für das Kalenderjahr 1996 im Falle der Festsetzung von Vorauszahlungen schon deshalb, weil § 37 Abs. 3 Satz 10 (heute: Satz 11) EStG, der ausdrücklich eine Berücksichtigung der weiter gehenden steuerlichen Entlastung bereits bei der Festsetzung der Einkommensteuer-Vorauszahlungen ausschließt, erst durch Art. 8 Nr. 19 JStG 1997 vom (BGBl I 1996, 2049, BStBl I 1996, 1523, 1541) eingefügt worden ist (vgl. dazu BTDrucks 13/5952, S. 47). Aber auch soweit Kinderfreibeträge im Rahmen des Lohnsteuer-Abzugsverfahrens bereits ab dem Kalenderjahr 1996 nicht mehr berücksichtigt wurden (§ 38c Abs. 1 Satz 5 Nr. 5 EStG a.F. wurde durch Art. 1 Nr. 39 JStG 1996 gestrichen), ist dies von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Denn die Zinsnachteile, die sich daraus ergeben, dass die das Kindergeld übersteigende steuerliche Entlastung erst nach Ablauf des Jahres berücksichtigt wird, sind gering. Sie können deshalb nach Auffassung des Senats bei einer Abwägung mit der damit verbundenen Vereinfachung des Verwaltungsverfahrens (vgl. dazu BTDrucks 13/1558, S. 140; Dürr in Frotscher, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 31 Rz. 6) vernachlässigt werden (vgl. auch Pust in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 31 EStG Rz. 72 und 149; Kanzler in Herrmann/Heuer/ Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, 21. Aufl., § 66 EStG Anm. 4; Dürr, a.a.O., § 31 Rz. 12 und 39; Jachmann in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, Kommentar, § 31 Rdnr. A 49 —S. 30—).
Deshalb ist entsprechend der Gesetzessystematik des § 31 Satz 4 EStG eine Rechtsverletzung, die darin liegen soll, dass der Gesetzgeber das Existenzminimum von Kindern zu niedrig bemessen hat, im Rahmen der Veranlagung zur Einkommensteuer geltend zu machen.
2. Die Klägerin meint zu Unrecht, ihr stehe ein verfassungsrechtlicher Anspruch auf Auszahlung eines höheren Kindergeldes auch insoweit zu, als dieses nicht der steuerlichen Freistellung des Existenzminimums, sondern der Förderung der Familie dient (vgl. § 31 Satz 2 EStG). Denn dem Gesetzgeber steht für die Gewährung staatlicher Hilfen ein weiter Gestaltungsraum zu. Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist dem in Art. 20 Abs. 1 GG verankerten Sozialstaatsgrundsatz i.V.m. Art. 6 GG kein Gebot zu entnehmen, Sozialleistungen in einer bestimmten Weise und einem bestimmten Umfang zu gewähren und jegliche die Familie treffenden Belastungen auszugleichen. Der Gesetzgeber ist von Verfassungs wegen lediglich verpflichtet, das nach sozialhilferechtlichen Kriterien zu ermittelnde Existenzminimum des Steuerpflichtigen und seiner Familie im wirtschaftlichen Ergebnis von der Einkommensteuer freizustellen (BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE 82, 60, BStBl II 1990, 653, 655 ff., unter C. II. 1. und 2. der Gründe; in BVerfGE 99, 246, BStBl II 1999, 174, 181, unter C. I. 5. c cc der Gründe). Dementsprechend besteht kein Recht auf Kindergeld als staatlicher Hilfe in einer bestimmten Höhe (vgl. Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., § 66 EStG Anm. 4). Soweit darüber hinaus auch ein verfassungsrechtlicher Anspruch auf Berücksichtigung eines Erziehungs- und Betreuungsbedarfs besteht, hat das BVerfG ausdrücklich erklärt, dass der Gesetzgeber dem nur mit Wirkung für die Zukunft Rechnung zu tragen habe (, 2 BvR 1226/91, 2 BvR 980/91, BVerfGE 99, 216, BStBl II 1999, 182, 192, unter D. I. und II. der Gründe).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2002 S. 1456 Nr. 11
SAAAA-68898