BFH Urteil v. - V R 52/00

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Eigentümer eines Grundstücks, auf dem er ein Wohn- und Geschäftshaus errichtet hat. Dessen Wohnfläche beträgt 1 062 qm, die gewerblich nutzbare Fläche 985 qm. Für die Räume, die für unternehmerische Zwecke nutzbar sind und die der Kläger an andere Unternehmer vermietet hat oder vermieten will, hat er auf die Steuerbefreiung der Vermietungsumsätze gemäß § 4 Nr. 12 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes 1993/1999 (UStG) nach § 9 UStG verzichtet bzw. erklärt, er werde auf die Steuerfreiheit verzichten. Aus den Eingangsrechnungen für das Bauvorhaben machte der Kläger in der Umsatzsteuererklärung für 1998 Vorsteuerbeträge in Höhe von ... DM und in den Umsatzsteuervoranmeldungen 1/1999 bis 8/1999 Vorsteuerbeträge in Höhe von insgesamt ... DM geltend. Diese Beträge entsprechen 78,74 v.H. der gesamten ihm für die Errichtung des Wohn- und Geschäftshauses in Rechnung gestellten Vorsteuerbeträge. Den Aufteilungsschlüssel ermittelte der Kläger nach dem Verhältnis der kalkulierten bzw. tatsächlich erzielten Mietumsätze.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) vertrat dagegen die Auffassung, eine Aufteilung der Vorsteuerbeträge unter Berücksichtigung des Ertragswertes komme bei neu errichteten Gebäuden nicht in Betracht. Aufzuteilen sei nach dem Verhältnis der zu Wohnzwecken einerseits und zur Vermietung an andere Unternehmer andererseits vorgesehenen Flächen. Abziehbar seien deshalb lediglich 48,12 v.H. der in den Baurechnungen enthaltenen Vorsteuerbeträge. Dementsprechend änderte das FA die Umsatzsteuerfestsetzung für 1998 und die Voranmeldungsbescheide 1/1999 bis 8/1999. Der Einspruch des Klägers hatte keinen Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Sein Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2000, 1284 veröffentlicht.

Am erließ das FA den Umsatzsteuer-Jahresbescheid für 1999 in dem es —wie zuvor in den entsprechenden Vorauszahlungsbescheiden 1 bis 8/99— die Vorsteuerbeträge für das gemischt genutzte Grundstück nur nach dem Verhältnis der Flächen berücksichtigte und die Umsatzsteuer auf ./. ... DM festsetzte. Nach Abzug bereits erstatteter Umsatzsteuer in Höhe von ... DM verblieb ein Nachzahlungsbetrag in Höhe von ... DM. Dieser Bescheid ist Gegenstand des Revisionsverfahrens.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts.

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Revision, hilfsweise die Sache dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) zur Vorabentscheidung der Frage vorzulegen, ob die sog. Ertragswertmethode bei der Errichtung von Gebäuden Art. 17 Abs. 5 der Sechsten Richtlinie des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) entspricht.

II. Die Revision ist hinsichtlich Umsatzsteuer 1998 unbegründet; hinsichtlich der Umsatzsteuer 1999 führt sie zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

Lässt ein Unternehmer ein Gebäude mit Wohn- und Gewerbeflächen herstellen, ist die Aufteilung der Vorsteuerbeträge durch den Unternehmer nach dem Verhältnis der Ausgangsumsätze als sachgerechte Schätzung i.S. von § 15 Abs. 4 UStG anzuerkennen (1.).

Mangels Spruchreife war die Sache hinsichtlich Umsatzsteuer 1999 jedoch nach § 127 der Finanzgerichtsordnung (FGO) an das FG zurückzuverweisen (2.).

1. Da der Kläger das erworbene Gebäude teilweise zur Ausführung steuerpflichtiger Vermietungsumsätze (Gewerbeflächen/Ladenlokale) und teilweise zur Ausführung steuerfreier Vermietungsumsätze (Wohnungen) verwendet, ist gemäß § 15 Abs. 4 UStG der Teil der Vorsteuerbeträge auf die Gebäudeherstellung nicht abziehbar, der den zum Ausschluss vom Vorsteuerabzug führenden Wohnungsvermietungsumsätzen wirtschaftlich zuzurechnen ist. Nach Satz 2 der Vorschrift kann der Unternehmer die nicht abziehbaren Teilbeträge im Wege einer sachgerechten Schätzung ermitteln.

a) Kriterien für eine ”sachgerechte Schätzung” im Sinne der Vorschrift umschreibt das Umsatzsteuergesetz nicht ausdrücklich. § 15 Abs. 4 Satz 1 UStG stellt lediglich das Erfordernis einer ”wirtschaftlichen Zurechnung” von Vorsteuerbeträgen zu den mit der bezogenen Leistung ausgeführten Umsätzen auf.

Das FA meint unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte der Vorschrift, sachgerecht im Sinne einer ”wirtschaftlichen Zuordnung” sei bei Vorbezügen für die Errichtung eines gemischt genutzten Gebäudes nur eine Aufteilung der Vorsteuerbeträge nach dem Verhältnis der zum Vorsteuerabzug berechtigenden bzw. diesen ausschließenden Verwendung der Flächen oder Raumvolumina. Aus dem Wortlaut der Vorschrift des § 15 Abs. 4 UStG 1993/1999 ergibt sich für diese Auslegung jedoch kein Anhaltspunkt; dieser ist insoweit nicht eindeutig, denn sachgerecht im Sinne einer ”wirtschaftlichen Zurechnung” können auch andere Zurechnungskriterien sein wie z.B. eine Aufteilung nach dem Verhältnis der ausgeführten Umsätze. Die Auslegung des Begriffs der ”wirtschaftlichen Zuordnung” ist deshalb anhand der Vorgaben des gemeinschaftsrechtlichen Mehrwertsteuersystems vorzunehmen (zur richtlinienkonformen Auslegung vgl. Luigi Spano, Slg. 1995, I-4321, Europäische Zeitschrift für Wirtschaft —EuZW— 1996, 185; vom Rs. 80/86 Kolpinghuis Nijmegen, Slg. 1987, 3969, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung —HFR— 1988, 594; z.B. , BFHE 193, 156; vom V R 34/97, BFHE 185, 536, BStBl II 1998, 695, unter II. 3. b, bb).

b) Gemeinschaftsrechtlich ist in Art. 17 Abs. 5 der Richtlinie 77/388/EWG für die Vorsteueraufteilung Folgendes vorgegeben:

”Soweit Gegenstände und Dienstleistungen von einem Steuerpflichtigen sowohl für Umsätze verwendet werden, für die nach den Absätzen 2 und 3 ein Recht auf Vorsteuerabzug besteht, als auch für Umsätze, für die dieses Recht nicht besteht, ist der Vorsteuerabzug nur für den Teil der Mehrwertsteuer zulässig, der auf den Betrag der erstgenannten Umsätze entfällt.

Dieser Pro-rata-Satz wird nach Artikel 19 für die Gesamtheit der vom Steuerpflichtigen bewirkten Umsätze festgelegt.

Jedoch können die Mitgliedstaaten

a) dem Steuerpflichtigen gestatten, für jeden Bereich seiner Tätigkeit einen besonderen Pro-rata-Satz anzuwenden, wenn für jeden dieser Bereiche getrennte Aufzeichnungen geführt werden;

b) den Steuerpflichtigen verpflichten, für jeden Bereich seiner Tätigkeit einen besonderen Pro-rata-Satz anzuwenden und für jeden dieser Bereiche getrennte Aufzeichnungen zu führen;

c) dem Steuerpflichtigen gestatten oder ihn verpflichten, den Abzug je nach der Zuordnung der Gesamtheit oder eines Teils der Gegenstände oder Dienstleistungen vorzunehmen;

d) dem Steuerpflichtigen gestatten oder ihm vorschreiben, den Vorsteuerabzug nach der in Unterabsatz 1 vorgesehenen Regel bei allen Gegenständen und Dienstleistungen vorzunehmen, die für die dort genannten Umsätze verwendet wurden;

e) ...”

Für die Berechnung des Pro-rata-Satzes des Vorsteuerabzugs schreibt Art. 19 der Richtlinie 77/388/EWG in Abs. 1 vor:

”Der Pro-rata-Satz des Vorsteuerabzugs nach Art. 17 Abs. 5 Unterabsatz 1 ergibt sich aus einem Bruch; dieser enthält:

  • im Zähler den je Jahr ermittelten Gesamtbetrag der zum Vorsteuerabzug nach Art. 17 Absätze 2 und 3 berechtigenden Umsätze, abzüglich der Mehrwertsteuer;

  • im Nenner den je Jahr ermittelten Gesamtbetrag der im Zähler stehenden sowie der nicht zum Vorsteuerabzug berechtigenden Umsätze abzüglich der Mehrwertsteuer. ...

  • Der Pro-rata-Satz wird auf Jahresbasis in Prozent festgesetzt und auf einen vollen Prozentsatz abgerundet.”

Nach der Rechtsprechung des EuGH (z.B. Urteile vom Rs. C-98/98 Midland Bank, Umsatzsteuer-Rundschau —UR— 2000, 342, Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht —UVR— 2000, 348, Rz. 20; vom Rs. C-4/94 BLP-Group., Slg. 1995, I-983, UR 1996, 427, Rz. 18 und 19) folgt aus der Formulierung in Art. 17 Abs. 5 der Richtlinie 77/388/EWG —"für…verwendet werden"—, dass das in Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG vorgesehene Recht auf Vorsteuerabzug (nur) entsteht, wenn die bezogenen Gegenstände oder Dienstleistungen direkt und unmittelbar mit Ausgangsumsätzen zusammenhängen, die den Vorsteuerabzug zulassen. Für die Aufteilung von Vorsteuerbeträgen in Fällen gemischter (d.h. zum Vorsteuerabzug berechtigender und nicht berechtigender) Verwendung geht die Richtlinie 77/388/EWG in Art. 17 Abs. 5 Unterabs. 1 und Art. 19 als Regel-Aufteilungsmaßstab von einem Umsatzschlüssel aus, ohne danach zu unterscheiden, ob der Unternehmer den Gegenstand angeschafft oder selbst hergestellt hat. Bei richtlinienkonformer Auslegung ist als ”sachgerecht” i.S. des § 15 Abs. 4 UStG deshalb ein den Vorgaben des Art. 17 Abs. 5 der Richtlinie 77/388/EWG entsprechendes Aufteilungsverfahren anzuerkennen, das —objektiv nachprüfbar— nach einheitlicher Methode die beiden ”Nutzungsteile” eines gemischt verwendeten Gegenstandes bzw. einer sonstigen Leistung den damit ausgeführten steuerfreien und steuerpflichtigen Umsätzen zurechnet (vgl. für die Aufteilung von Vorsteuerbeträgen bei Erwerb eines gemischt genutzten Gebäudes , BFHE 185, 524, BStBl II 1998, 492, unter 2. b; vom V R 50/97, BFHE 185, 530, BStBl II 1998, 525). An der im Urteil vom V R 70/87 (BFHE 168, 447, BStBl II 1992, 755 unter 2. b dd) zu § 15 UStG 1980 vertretenen Auffassung hält der Senat nicht mehr fest.

Hat der Unternehmer ein i.S. des § 15 Abs. 4 UStG sachgerechtes Aufteilungsverfahren gewählt, ist dieser Maßstab auch für nachfolgende Besteuerungszeiträume der Besteuerung zugrunde zu legen. Dieser Aufteilungsmaßstab ist auch maßgebend für eine mögliche Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG bei Änderungen, die sich auf die Höhe der steuerfreien oder steuerpflichtigen Mietumsätze auswirken.

c) Offen bleiben kann, ob die den Mitgliedstaaten in Art. 17 Abs. 5 Unterabs. 3 Buchst. a bis e der Richtlinie 77/388/EWG eingeräumten Möglichkeiten zur Modifizierung des Pro-rata-Satzes eine Regelung zuließe, wonach bei gemischter Verwendung eines Gebäudes die Vorsteuerbeträge nach dem Verhältnis der Flächen oder Raumvolumina aufgeteilt werden müssen. Hierfür hätte es aber jedenfalls zunächst einer eindeutigen gesetzlichen Regelung bedurft, die dann allerdings auf ihre Vereinbarkeit mit der Richtlinie 77/388/EWG zu überprüfen wäre.

d) Da der Kläger nach den Feststellungen des FG objektiv nachprüfbar nach einheitlicher Methode die Vorsteuerbeträge nach dem Verhältnis der Umsätze aufgeteilt hat, hat das FG zu Recht diesen Aufteilungsmaßstab als sachgerecht beurteilt.

2. Die Sache ist jedoch hinsichtlich Umsatzsteuer 1999 nicht spruchreif.

Wird während des Revisionsverfahrens ein geänderter Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens, kann der BFH nach § 127 FGO das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverweisen.

Während des Revisionsverfahrens sind durch die Festsetzung der Umsatzsteuer für das Kalenderjahr 1999 (§ 18 Abs. 3 UStG) mit Bescheid vom die angefochtenen auf Vorauszahlungsbescheiden (§ 18 Abs. 1 UStG 1991) beruhenden Umsatzsteuerfestsetzungen für die Voranmeldungszeiträume 1 bis 12/1999 abgelöst worden. Das materielle Ergebnis der in dem Kalenderjahr positiv oder negativ entstandenen Umsatzsteuer wird deshalb nunmehr ausschließlich im Jahressteuerbescheid festgesetzt (, BFH/NV 1997, 723; vom V R 130/86, BFHE 163, 408, BStBl II 1991, 465, m.N.). Der Senat hielt es für zweckmäßig, die Sache insoweit an das FG zurückzuverweisen.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2002 S. 225 Nr. 2
DStRE 2002 S. 185 Nr. 3
KÖSDI 2002 S. 13309 Nr. 6
YAAAA-67188