§ 6b EStG – weitere Inlandsklausel auf dem Prüfstand
Noch ein Vertragsverletzungsverfahren zu § 6b EStG
Es hat Jahrzehnte gedauert bis der deutsche Steuergesetzgeber akzeptiert hat, dass auch der Fiskus Grundrechte zu beachten hat. Diese Entwicklung scheint sich in Bezug auf die Grundfreiheiten der EU zu wiederholen. Der Gesetzgeber muss erst zu einer unionskonformen Umsetzung der direkten Steuern gezwungen werden. Das Instrument hierfür sind die von der EU-Kommission eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren, bei denen die Bundesrepublik Deutschland im Sektor „Direkte Besteuerung“ nach Belgien und Frankreich schon länger eine Spitzenposition innehat und auch führend im Vergleich zu der Anzahl der Verfahren ist, die in anderen Sektoren gegen Deutschland eingeleitet wurden (vgl. nur die Statistik für die Jahre ab 2013: http://ec.europa.eu/internal_market/scoreboard/performance_by_governance_tool/infringements/index_en.htm). Dabei darf man nicht außer Acht lassen, dass das förmliche Vertragsverletzungsverfahren erst nach einem gescheiterten Verständigungs- oder Schlichtungsverfahren eingeleitet wird (Art. 258 AEUV). Über die Gründe dieses Scheiterns, unionskonforme Lösungen zu finden und es auf ein Klageverfahren vor dem EuGH ankommen zu lassen, können Außenstehende nur spekulieren. Wenn aber der EuGH die Einzelregelung in einer bestimmten Vorschrift für unionsrechtswidrig befunden hat und sich die Umsetzung dieses Richterspruchs nur auf diesen einen Aspekt bezieht, obwohl es naheliegt, auch andere Regelungen dieser Vorschrift zu überprüfen, dann kann dies nur auf Unverständnis stoßen.
So geschehen mit der Reinvestitionsvergünstigung des § 6b EStG. Hier hat die EU-Kommission ein zweites Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet, nachdem das erste Verfahren zu einer stattgebenden Entscheidung des EuGH geführt hatte ( NWB VAAAE-89472). Bekanntlich hat der Gesetzgeber durch das StÄndG 2015 mit Abs. 2a ein weiteres auf eine bloße Stundung gerichtetes Wahlrecht in § 6b EStG eingefügt, ohne die beanstandete Inlandsklausel in § 6b Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG ausdrücklich aufzugeben. Hätte schon aufgrund dieser Entscheidung des EuGH Veranlassung bestanden auch andere Inlandsklauseln zu überprüfen, so wird dieses Unterlassen des Gesetzgebers völlig unverständlich, wenn man weiß, dass die EUKommission das nun mit Beschluss vom eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren unter der Nr. 2012/4037 bereits seit dem Jahr 2012 geprüft hat. Beanstandet wird damit das Erfordernis der Mindestzugehörigkeit zu einer inländischen Betriebstätte in § 6b Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG. Im Inbound-Fall schließt diese Einschränkung den EU-Ausländer, der ein inländisches Grundstück vermietet, von der Reinvestitionsvergünstigung aus, wenn er den Veräußerungsgewinn aus diesem Objekt auf die Anschaffungs- oder Herstellungskosten einer anderen inländischen Immobilie übertragen will. Nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG führt die deutsche Immobilieninvestition zwar zu Einkünften aus Gewerbebetrieb, begründet aber keine inländische Betriebsstätte. Man darf also das Urteil des EuGH mit Spannung erwarten.
Hans-Joachim Kanzler
Fundstelle(n):
NWB 2017 Seite 1533
XAAAG-45114