Örtliche Zuständigkeit bei Geltendmachung von Ansprüchen aus Prospekthaftung im weiteren Sinne
Leitsatz
Wird der einzige Beklagte nicht als Prospektverantwortlicher im Sinne des § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO, sondern wegen Ansprüchen aus Prospekthaftung im weiteren Sinne in Anspruch genommen, ist der ausschließliche Gerichtsstand des § 32b Abs. 1 ZPO nicht eröffnet (im Anschluss an , WM 2013, 1643).
Gesetze: § 32b Abs 1 Nr 1 ZPO, § 36 Abs 1 Nr 6 ZPO, § 36 Abs 3 ZPO, § 311 Abs 2 BGB, § 311 Abs 3 BGB
Instanzenzug: Az: 34 AR 18/16 Vorlagebeschluss
Gründe
1I. Der in Koblenz wohnhafte Kläger begehrt von der in Berlin ansässigen Beklagten Schadensersatz im Zusammenhang mit einer mittelbaren Beteiligung an einem Medienfonds.
2Am wurde die Fondsgesellschaft als Kommanditgesellschaft mit Sitz in der zum Landgerichtsbezirk München I gehörenden Gemeinde Grünwald in das Handelsregister eingetragen. Am wurde die Beklagte als deren Kommanditistin eingetragen. In einem Emissionsprospekt wurde die Alleingesellschafterin der Komplementärin und zugleich Kommanditistin bei Gründung der Gesellschaft als Initiatorin des Medienfonds und Herausgeberin des Prospekts bezeichnet. Die Beklagte wurde darin als Treuhandkommanditistin sowie als Mittelverwendungskontrolleurin benannt.
3Der Kläger trägt vor, er habe ebenfalls am nach einem Beratungsgespräch mit einer Anlagevermittlerin in seiner Privatwohnung eine mittelbare Beteiligung gezeichnet. Mit der Zeichnung habe gemäß Zeichnungsschein ein Treuhandvertrag mit der Beklagten zustande kommen sollen, gemäß dem diese die mittelbare Beteiligung des Klägers unmittelbar als Kommanditistin der Fondsgesellschaft halten sollte. Die Komplementärin habe die Beteiligung am auch im Namen und in Vollmacht der Beklagten als Treuhandkommanditistin angenommen. Der Kläger stützt seine Ansprüche gegen die Beklagte auf die Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten aufgrund ihrer Stellung als Treuhandkommanditistin sowie auf eine vorsätzlich sittenwidrige Schädigung wegen unterlassener Aufklärung im Zusammenhang mit der Zeichnung.
4Das angerufene Landgericht München I hat sich für unzuständig erklärt und den Rechtsstreit gemäß einem Hilfsantrag des Klägers an das Landgericht Koblenz verwiesen. Das Landgericht Koblenz hat sich seinerseits für unzuständig erklärt und den Rechtsstreit zur Bestimmung des zuständigen Gerichts dem Oberlandesgericht München vorgelegt. Das Oberlandesgericht hat die Sache dem Bundesgerichtshof vorgelegt und ausgeführt, wegen einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör binde der Verweisungsbeschluss des Landgerichts München I nicht, eine Zuständigkeit dieses Landgerichts nach § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO sei jedoch zu verneinen, weil die Vorschrift entgegen der Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte Ansprüche aus Prospekthaftung im weiteren Sinne, auf die allein der Kläger sich stütze, nicht erfasse.
5II. Die Voraussetzungen für eine Bestimmung des zuständigen Gerichts durch den Bundesgerichtshof gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 3 ZPO liegen vor.
61. Das Landgericht München I und das Landgericht Koblenz haben sich beide für unzuständig erklärt. Die Verweisung an das Landgericht Koblenz ist, wie das vorlegende Oberlandesgericht zutreffend ausführt, nicht bindend; das Landgericht Koblenz hat eine Rückverweisung nicht ausgesprochen.
72. Die Voraussetzungen einer Vorlage gemäß § 36 Abs. 3 ZPO sind erfüllt. Das vorlegende Gericht möchte eine ausschließliche Zuständigkeit des Landgerichts München I mit der Begründung verneinen, dass Ansprüche aus Prospekthaftung im weiteren Sinne nicht unter § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO fallen, wiche damit aber von der Rechtsauffassung des , WM 2015, 1844) und des Oberlandesgerichts Frankfurt (Beschluss vom - 14 SV 12/15, juris) ab.
8III. Für den Rechtsstreit ist das Landgericht Koblenz örtlich zuständig.
91. Eine Zuständigkeit des Landgerichts München I ergibt sich aus dem Klagevorbringen nicht.
10a) Das Landgericht München I ist nicht nach § 32b Abs. 1 ZPO ausschließlich zuständig.
11aa) Nach der Konzeption des § 32b Abs. 1 ZPO in der Fassung des Gesetzes zur Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes und zur Änderung anderer Vorschriften vom ist der Anwendungsbereich von Nummer 1 dieses Absatzes von demjenigen gemäß Nummer 2 zu unterscheiden. Nach dieser Neufassung ist eine Zuständigkeit am Sitz des Emittenten, Anbieters oder der Zielgesellschaft im Falle von § 32b Abs. 1 Nr. 2 ZPO nur dann gegeben, wenn einer der (weiteren) Beklagten auch gemäß § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO in Anspruch genommen wird (vgl. , WM 2013, 1643 = NJW-RR 2013, 1302 Rn. 28).
12Dies setzt gemäß § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO voraus, dass der Beklagte den Prospekt herausgegeben hat oder zu den Gründern, Initiatoren oder Gestaltern der Gesellschaft gehört, soweit diese das Management bilden oder beherrschen. Daneben kann sich eine Klage gemäß § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO auch gegen Personen als "Hintermänner" richten, die hinter der Gesellschaft stehen, auf ihr Geschäftsgebaren oder die Gestaltung des konkreten Anlagemodells besonderen Einfluss ausüben und deshalb Mitverantwortung tragen (vgl. , BGHZ 191, 310 Rn. 17 mwN).
13Für eine darüber hinausgehende Haftung (Prospekthaftung im weiteren Sinne), die unmittelbar aus § 311 Abs. 2 und 3 BGB oder aus einem Auskunfts- oder Beratungsvertrag folgen kann, kommt eine Zuständigkeit gemäß § 32b Abs. 1 ZPO allein nach dessen Nummer 2 in Frage (vgl. BT-Drucks. 17/8799, S. 16, 27). Dementsprechend zählt auch die Haftung eines zur Mittelverwendungskontrolle verpflichteten Treuhänders für die Anteile an der Gesellschaft zur Prospekthaftung im weiteren Sinne und nicht zu jener im engeren Sinne (vgl. , NJW 1995, 1025 unter I 2). Diese Haftung ergibt sich nicht aus einer eigenen Verantwortung für einen fehlerhaften oder unvollständigen Prospekt, sondern aus der Verletzung einer selbständigen Aufklärungspflicht als Vertragspartner oder Sachwalter aufgrund persönlich in Anspruch genommenen - nicht nur typisierten - besonderen Vertrauens, zu deren Erfüllung sich des Prospekts bedient wurde (vgl. , WM 2015, 2238 = NJW-RR 2016, 169 Rn. 15 mwN).
14bb) Die Beklagte war nach dem Vortrag des Klägers ihm gegenüber allein als eine Treuhandkommanditistin verpflichtet, der auch eine Mittelverwendungskontrolle oblag. Sie war keine Gründungskommanditistin und zählte somit nicht zu den Gründern der Gesellschaft, deren Anteile der Kläger zeichnete, auch wenn die Beklagte in der Klageschrift mitunter als Gründungskommanditistin bezeichnet ist. Einer Stellung als Gründungskommanditistin steht entgegen, dass die Fondsgesellschaft am ins Handelsregister eingetragen, die Beklagte aber erst am deren Kommanditistin wurde.
15Eine Haftung der Beklagten aus eigener Verantwortung für einen fehlerhaften oder unvollständigen Prospekt ist diesem Klagevortrag folglich nicht zu entnehmen, womit die Voraussetzungen für eine ausschließliche Zuständigkeit gemäß § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO nicht gegeben sind. Da sie die einzige Beklagte ist, fehlt es für eine Zuständigkeit gemäß § 32b Abs. 1 Nr. 2 ZPO an einem weiteren Beklagten, für den die Voraussetzungen gemäß § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO erfüllt wären (§ 32b Abs. 1 a.E. ZPO).
16b) Eine örtliche Zuständigkeit des Landgerichts München I ergibt sich auch nicht gemäß § 32 ZPO aus dem Begehungsort einer der Klage zugrunde gelegten unerlaubten Handlung.
17Der Kläger macht geltend, die Beklagte schulde ihm Schadensersatz wegen vorsätzlich sittenwidriger Schädigung, weil die von ihr auszuübende Mittelverwendungskontrolle aufgrund von Erfahrungen mit einem von der gleichen Komplementärgesellschaft gegründeten Vorgängerfonds nicht wirksam zu erwarten gewesen sei. Weiterhin falle der Beklagten Beihilfe zu einem Kapitalanlagebetrug zur Last. Für beide geltend gemachten Delikte hat der Kläger keine konkreten Personen bezeichnet, die die unerlaubten Handlungen begangen haben sollen. Dementsprechend ist dem Klagevortrag auch nicht zu entnehmen, an welchem Ort solche Handlungen begangen worden sein sollen. Eine örtliche Zuständigkeit des Landgerichts München I gemäß § 32 ZPO ergibt sich somit nicht aus einem dem Klagevortrag zu entnehmenden Handlungsort für eine unerlaubte Handlung.
18Ein Begehungsort im Zuständigkeitsbereich des Landgerichts München I ergibt sich weiterhin nicht aus dem Erfolgsort für eine vorgetragene unerlaubte Handlung. Dem Klagevortrag sind hierzu keine weiteren Einzelheiten zu entnehmen. Soweit ein solcher Erfolgsort am Ort der Minderung eines Kontoguthabens aufgrund der Überweisung des Anlagekapitals in Frage kommt (vgl. , WM 2010, 1590 = NJW-RR 2011, 197 Rn. 32), erfolgte die vorgetragene Kontobelastung nicht im Gerichtsbezirk des Landgerichts München I.
19c) Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts München I ergibt sich ferner nicht aus § 39 ZPO. Die Parteien haben die Zuständigkeit des Landgerichts München I zwar nicht gerügt, bisher aber nicht zur Hauptsache mündlich verhandelt (vgl. BGH, Beschlüsse vom - X ARZ 507/12, NJW-RR 2013, 764 Rn. 10; vom - X ARZ 425/13, NJW-RR 2013, 1398 Rn. 9).
20d) Schließlich ist die Zuständigkeit des Landgerichts München I auch nicht gemäß § 38 Abs. 3 Nr. 1 ZPO begründet. Auch wenn beide Parteien für die Zuständigkeit dieses Gerichts plädiert haben, begründet dies noch keine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung.
212. Zuständig ist hingegen das Landgericht Koblenz. Die örtliche Zuständigkeit dieses Gerichts ergibt sich aus § 29c ZPO.
22a) Die Zuständigkeit gemäß § 29c ZPO für außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verbraucherverträgen im Sinne von § 312b BGB erfasst nicht nur die unmittelbar aus einem solchen Vertrag begründeten, sondern auch alle Folgeansprüche einschließlich etwaiger Ansprüche aus Verschulden bei der Vertragsanbahnung oder bei Vertragsverhandlungen (vgl. , NJW 2003, 1190 unter III 1).
23b) Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nach dem Klagevorbringen erfüllt.
24Der Kläger stützt seine Klage auf Ansprüche, die mit einem Verschulden bei der Anbahnung eines mit ihm geschlossenen Vertrages begründet werden, und nur mittelbar auf die Drittwirkung eines nicht mit ihm geschlossenen Vertrags zur Mittelverwendungskontrolle (vgl. dazu , WM 2011, 1026 = NJW-RR 2011, 1137 Rn. 13).
25Nicht nur die Zeichnung der Anteile, sondern auch die Unterzeichnung des Geschäftsbesorgungsvertrags, den der Kläger der Beklagten als Treuhandverhältnis mit dem Zeichnungsschein anbot, erfolgte nach dem Klagevortrag in der Privatwohnung des Klägers. Damit fallen nicht nur der Anteilserwerb als solcher, sondern auch das dazu mit der Beklagten vereinbarte Treuhandverhältnis und die daraus abgeleiteten Folgeansprüche einschließlich solcher aus Verschulden bei der Vertragsanbahnung unter die Voraussetzungen des § 29c ZPO für eine örtliche Zuständigkeit am Wohnsitz des Klägers.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2016:011216BXARZ180.16.0
Fundstelle(n):
NJW 2017 S. 9 Nr. 8
NJW-RR 2017 S. 693 Nr. 11
WM 2017 S. 231 Nr. 5
ZIP 2017 S. 298 Nr. 6
BAAAG-35890