Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
I. Die Beteiligten streiten darüber, ob Rückstellungen für drohende Verluste aus Mietverträgen abgezinst werden müssen.
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) hatte Geschäftsräume angemietet und diese an andere Unternehmen untervermietet. In einigen Fällen hatten die Hauptmietverträge längere Laufzeiten als die Untermietverträge. Für diese Fälle bildete die Klägerin Rückstellungen für drohende Verluste in Höhe derjenigen Mieten, die auf die Zeit zwischen der Beendigung der Untermietverträge und dem Ablauf der zugehörigen Hauptmietverträge entfielen. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) erkannte diese Rückstellungen dem Grunde nach an, meinte aber, dass sie einen Zinsanteil enthielten und deshalb abzuzinsen seien. Er erließ auf dieser Basis Steuerbescheide, die die Klägerin nach erfolglosem Einspruchsverfahren mit der Klage anfocht. Das Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben; sein Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2000, 113 veröffentlicht.
Mit seiner Revision rügt das FA eine Verletzung materiellen Rechts. Es beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II. Die Revision ist unbegründet. Das FG hat eine Abzinsung der von der Klägerin gebildeten —und ansonsten nach Grund und Höhe unstreitig berechtigten— Rückstellungen zu Recht abgelehnt.
1. Die Klägerin ermittelt ihren Gewinn gemäß § 8 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) i.V.m. § 4 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) durch Betriebsvermögensvergleich. Da sie buchführungspflichtig ist, muss sie dabei dasjenige Betriebsvermögen ansetzen, das nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung auszuweisen ist (§ 5 Abs. 1 Satz 1 EStG). Zu diesen Grundsätzen zählt u.a., dass für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften Rückstellungen gebildet werden müssen (§ 249 Abs. 1 Satz 1 des Handelsgesetzbuchs —HGB—). Die von der Klägerin abgeschlossenen Verträge über die Anmietung von Geschäftsräumen sind schwebende Geschäfte im Sinne der genannten Regelung.
2. Das FG hat —in Übereinstimmung mit beiden Beteiligten— angenommen, dass der Klägerin aus den abgeschlossenen Mietverträgen dadurch Verluste drohen, dass die Laufzeit jener Verträge über diejenige der korrespondierenden Untervermietungsverträge hinausgeht. Das ist zutreffend. Denn während der überschießenden Laufzeit der Anmietungsverträge wird die Klägerin voraussichtlich durch Mietaufwendungen belastet sein, denen Einnahmen aus den angemieteten Räumlichkeiten nicht (mehr) gegenüberstehen. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin während dieser Zeit die Räumlichkeiten anderweitig nutzen könnte, ergeben sich aus den Feststellungen des FG nicht und sind auch vom FA nicht vorgebracht worden.
3. Die Höhe der hiernach zu bildenden Rückstellungen hat das FG mit dem Gesamtbetrag derjenigen Mietzinsen bemessen, den die Klägerin nach Ablauf der Untermietverträge für die Anmietung der Räume voraussichtlich noch wird zahlen müssen. Die vom FA befürwortete Abzinsung dieses Betrags hat es abgelehnt. Dem pflichtet der Senat ebenfalls bei:
a) Für die Bewertung von Rückstellungen gelten, soweit es um Veranlagungen für die Streitjahre geht, keine steuerlichen Sonderregelungen. Insbesondere ist § 6 Abs. 3 a EStG i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes (StEntlG) 1999/2000/2002, der erstmals auf den Veranlagungszeitraum 1999 anzuwenden ist (§ 52 Abs. 1 Satz 1 EStG), im Streitfall nicht einschlägig. Nach dem Maßgeblichkeitsgrundsatz (§ 5 Abs. 1 Satz 1 EStG) ist deshalb für das Steuerrecht auf die einschlägigen handelsrechtlichen Bewertungsregeln zurückzugreifen (vgl. , BStBl II 1990, 830, 833).
b) Zu diesen Regeln gehört u.a., dass Rückstellungen nur insoweit abgezinst werden dürfen, als die ihnen zugrunde liegende Verbindlichkeit einen Zinsanteil enthält (§ 253 Abs. 1 Satz 2, 2. Halbsatz HGB). Das ist bei Mietzinsverbindlichkeiten, die eine erst in Zukunft stattfindende Gebrauchsüberlassung betreffen, im Allgemeinen nicht der Fall.
Denn das Bestehen eines Zinsanteils setzt eine Kapitalüberlassung voraus. An einer solchen fehlt es, wenn die Parteien eines gegenseitigen Vertrags ihre Leistungen Zug um Zug erbringen. Genau diese Situation besteht typischerweise bei Mietverträgen, bei denen die Überlassung der Mietsache einerseits und die Mietzahlung andererseits in zeitlichem Zusammenhang ausgetauscht werden. Dass der Mietzins für zukünftige Zeiträume erst in Zukunft gezahlt werden muss, beruht hier nicht auf einer Kreditierung, sondern allein darauf, dass der Mieter die ihm zukommende Leistung ebenfalls erst in der Zukunft erhält. Dem entsprechend bezahlt der Mieter auch die zukünftig anfallenden Mieten nur für die Überlassung der Mietsache, nicht für die Überlassung von Kapital. Das schließt die Annahme aus, dass in diesen Mieten ein Zinsanteil enthalten sein könnte. Eine abweichende Beurteilung kommt allenfalls dann in Betracht, wenn der Vermieter über die Regelung in § 551 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) hinaus vorleistungspflichtig ist; hierfür bestehen indessen im Streitfall nach den Feststellungen des FG keine Anhaltspunkte.
c) Aus ähnlichen Erwägungen heraus hat bereits der VIII. Senat des BFH in einem vergleichbaren Fall die Abzinsung der zu bildenden Rückstellung für nicht zulässig erachtet (Urteil vom VIII R 84/94, BStBl II 1998, 331, 332). Die an dieser Entscheidung geübte Kritik des FA hält der erkennende Senat für unberechtigt. Ebenso geht der Hinweis des FA auf die Möglichkeit eines ”wirtschaftlichen Zinsanteils” fehl: Dem FA ist zwar zuzugeben, dass ein ”Zinsanteil” i.S. des § 253 Abs. 1 Satz 2, 2. Halbsatz HGB nicht notwendig den offenen vertraglichen Ausweis einer Verzinsung voraussetzt. Vielmehr kann ein solcher sogar dann gegeben sein, wenn eine Verbindlichkeit in dem maßgeblichen Vertrag ausdrücklich als ”unverzinslich” bezeichnet worden ist (, BFHE 115, 514, BStBl II 1975, 647). Voraussetzung für das Vorliegen einer Verzinsungspflicht ist aber jedenfalls, dass der andere Vertragsteil in Vorleistung getreten und die Leistungspflicht des Schuldners demgegenüber aufgeschoben worden ist. Nur in einer solchen Situation kann davon gesprochen werden, dass der Gläubiger (Vermieter) ein an sich ihm zustehendes Kapital weiterhin dem Schuldner (Mieter) überlassen hat, was sodann Anknüpfungspunkt für die Annahme einer Verzinsung sein könnte. Die vom FA angestrebte Anwendung eines ”wirtschaftlichen Zinsbegriffs”, der ohne das Vorliegen einer Kapitalüberlassung allein an die Zukünftigkeit der Leistung anknüpft (ebenso BStBl I 1998, 1045), würde die Regelung in § 253 Abs. 1 Satz 2, 2. Halbsatz HGB praktisch gegenstandslos machen und wäre schon deshalb verfehlt.
d) Im Ergebnis dasselbe gilt für den Hinweis des FA darauf, dass nach § 253 Abs. 1 Satz 2, 1. Halbsatz HGB Rückstellungen nur in Höhe desjenigen Betrags angesetzt werden dürfen, der nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung notwendig ist. Es mag richtig sein, dass diese Regelung bei isolierter Betrachtung Anlass dafür sein könnte, Rückstellungsbeträge entweder abzuzinsen (, BFHE 139, 244, BStBl II 1984, 56; ähnlich , BFHE 139, 154, BStBl II 1983, 753) oder dem Aufschub der Leistungspflicht im Rahmen der Bewertung der Rückstellung Rechnung zu tragen (vgl. hierzu Senatsurteil vom I R 28/73, BFHE 115, 218, BStBl II 1975, 480, 482). Nach der für die Streitjahre geltenden Gesetzesfassung wird diese Überlegung jedoch dadurch gegenstandslos, dass der 1. in diesem Punkt durch den 2. Halbsatz des § 253 Abs. 1 Satz 2 HGB überlagert wird, der eine Abzinsung nur bei Vorliegen einer Zinsvereinbarung zulässt. Hierin liegt eine abschließende Regelung des Inhalts, dass in allen anderen Fällen die Rückstellung mit dem Nennwert des drohenden Verpflichtungsüberschusses angesetzt werden muss. Diese Regelung darf nicht dadurch ausgehebelt werden, dass unter Berufung auf den 1. Halbsatz auch in anderen Fällen eine Abzinsung vorgenommen oder die Zukünftigkeit der Leistungspflicht durch einen Bewertungsabschlag berücksichtigt wird. Soweit in den zitierten Entscheidungen des BFH eine dahin gehende Lösung vorgeschlagen worden ist, sind diese durch die Neufassung des Gesetzes überholt.
e) Schließlich vermag das FA nicht mit seinem Hinweis durchzudringen, dass eine Abzinsung der Rückstellungen schon deshalb geboten sei, weil anderenfalls bei einer Anmietung mit anschließender preisgleicher Untervermietung von Räumlichkeiten immer ein Drohverlust entstehen müsste. Das FA leitet diese Überlegung daraus ab, dass in einem solchen Fall jedenfalls die Forderung des Hauptmieters gegen den Untermieter abgezinst werden müsse und dass deshalb eine Bilanzierung der Mietzinsverpflichtung mit dem Nennwert zwangsläufig zu einem Verpflichtungsüberschuss führe. Das ist jedoch unzutreffend.
In diesem Zusammenhang kann offen bleiben, ob die Anmietung einerseits und die Untervermietung andererseits bilanzsteuerrechtlich getrennt voneinander beurteilt werden müssen oder ob sie unter dem Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Zusammengehörigkeit als Einheit zu betrachten sind. In beiden Fällen ist die Anmietung Bestandteil eines schwebenden Geschäfts, das als ausgeglichen anzusehen ist, soweit und so lange ein Beitrag der Mietobjekte zum Unternehmenserfolg erzielt wird (vgl. , BStBl II 1997, 735, 738, m.w.N.). Letzteres ist der Fall, wenn für diese Objekte eine entsprechende Einnahme erzielt werden kann. Erst wenn es hieran fehlt, kommt die Bildung einer Rückstellung für drohende Verluste dem Grunde nach in Betracht. Dann erst stellt sich mithin die Frage der Bewertung der Rückstellung, bei der sodann § 253 Abs. 1 Satz 2, 2. Halbsatz HGB zum Zuge kommt. Die Gefahr, dass es allein wegen jener Regelung zur Bildung ansonsten nicht zulässiger Rückstellungen für drohende Verluste kommt, besteht vor diesem Hintergrund nicht.
f) Im Ergebnis folgt der Senat mithin der Ansicht der Klägerin, dass mit Rücksicht auf § 253 Abs. 1 Satz 2, 2. Halbsatz HGB eine Abzinsung der gebildeten Rückstellungen unzulässig ist. In dieser Beurteilung sieht er sich zusätzlich durch den Umstand bestätigt, dass durch § 6 Abs. 3 a EStG in der nunmehr geltenden Fassung eine Abzinsung von Drohverlustrückstellungen ausdrücklich angeordnet worden ist. Im Gesetzgebungsverfahren ist die Neuregelung u.a. damit begründet worden, dass bis zur Einführung des handelsrechtlichen Abzinsungsverbots Rückstellungen nur in Höhe des kaufmännisch notwendigen Betrages gebildet werden durften und dass seither der Ausweis zum voraussichtlichen Erfüllungsbetrag zu ungerechtfertigten steuerlichen Entlastungen führe (Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, BTDrucks 14/23, Begründung II zu Art. 1 Nr. 7 Buchst. a Doppelbuchst. dd). Der Gesetzgeber ist mithin davon ausgegangen, dass die getroffene Neuregelung nicht klarstellenden, sondern rechtsändernden Charakter habe. Bis zum In-Kraft-Treten dieser Neuregelung —und mithin auch in den Streitjahren— führte seiner Vorstellung nach § 253 Abs. 1 Satz 2, 2. Halbsatz HGB i.V.m. dem Maßgeblichkeitsgrundsatz im Regelfall zum Ansatz von Rückstellungen mit dem Nennwert der Verpflichtung. Das entspricht der Auffassung des Senats, die deshalb auch durch die spätere Gesetzesentwicklung gestützt wird.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2001 S. 155 Nr. 2
YAAAA-65367