Abfindung nach § 1a KSchG
Gesetze: § 1a Abs 1 S 1 KSchG, § 1a Abs 1 S 2 KSchG, § 1a Abs 2 S 1 KSchG, § 75 Abs 1 BetrVG, § 112 Abs 1 BetrVG
Instanzenzug: ArbG Frankfurt (Oder) Az: 5 Ca 1616/14 Urteilvorgehend LArbG Berlin-Brandenburg Az: 8 Sa 531/15 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten über einen Abfindungsanspruch nach § 1a KSchG.
2Der Kläger war bei der Beklagten seit März 1974 beschäftigt.
3Die Beklagte und der bei ihr gebildete Betriebsrat schlossen am eine als „Interessenausgleich“ bezeichnete Vereinbarung ab. Nach deren § 4 steht den von einer Kündigung betroffenen Mitarbeitern eine nach § 1a Abs. 2 KSchG zu berechnende Abfindung zu.
4Die Beklagte kündigte mit Schreiben vom das Arbeitsverhältnis der Parteien aus betriebsbedingten Gründen zum . In dem Schreiben heißt es ua.:
5Der Kläger erhob keine Kündigungsschutzklage. Die Beklagte zahlte ihm eine Abfindung nach dem „Interessenausgleich“ iHv. 86.300,00 Euro brutto. Mit der vorliegenden Klage beansprucht der Kläger die Zahlung einer Abfindung nach § 1a KSchG.
6Der Kläger hat beantragt,
7Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Der Kläger könne die Abfindung nur einmal beanspruchen. Der Hinweis auf § 1a KSchG im Kündigungsschreiben sei lediglich als Berechnungsgrundlage für die nach dem „Interessenausgleich“ zu zahlende Abfindung zu verstehen. Dem Kläger sei nach Erhalt der Kündigung in einem Gespräch die Höhe der Abfindung erläutert worden. Jedenfalls bestehe zwischen dem Anspruch aus dem „Interessenausgleich“ und einer Abfindung nach § 1a KSchG eine „Anspruchskonkurrenz“. Die Ansprüche könnten daher nicht nebeneinander geltend gemacht werden.
8Beide Vorinstanzen haben der Klage entsprochen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Gründe
9Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten gegen die klagestattgebende Entscheidung des Arbeitsgerichts mit zutreffender Begründung zurückgewiesen. Der Kläger hat Anspruch auf Zahlung einer Abfindung gemäß § 1a Abs. 1 KSchG, deren nach § 1a Abs. 2 KSchG zu berechnende Höhe zwischen den Parteien unstreitig ist.
10I. Nach § 1a Abs. 1 Satz 1 KSchG hat der Arbeitnehmer Anspruch auf eine Abfindung, wenn der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis wegen dringender betrieblicher Erfordernisse nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG kündigt und der Arbeitnehmer bis zum Ablauf der Frist des § 4 Satz 1 KSchG keine Klage auf Feststellung erhebt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist. Gemäß § 1a Abs. 1 Satz 2 KSchG setzt der Anspruch den Hinweis des Arbeitgebers in der Kündigungserklärung voraus, dass die Kündigung auf dringende betriebliche Erfordernisse gestützt ist und der Arbeitnehmer bei Verstreichenlassen der Klagefrist die Abfindung beanspruchen kann. Diese beträgt einen halben Monatsverdienst für jedes Jahr des Bestehens des Arbeitsverhältnisses; für die Bestimmung des Monatsverdienstes gilt die Regelung in § 10 Abs. 3 KSchG entsprechend.
11II. Das Landesarbeitsgericht hat ohne Rechtsfehler das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen aus § 1a Abs. 1 KSchG bejaht.
121. Die Beklagte hat dem Kläger eine auf betriebsbedingte Gründe gestützte ordentliche Kündigung erklärt und ihn im Kündigungsschreiben vom ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er bei Verstreichenlassen der Klagefrist eine Abfindung „nach § 1a KSchG“ beanspruchen könne. Der Kläger hat keine Kündigungsschutzklage erhoben. Der Anspruch auf Zahlung der gesetzlich vorgesehenen Abfindung mit Ablauf der Kündigungsfrist am ist damit dem Grunde nach entstanden.
132. Die Beklagte hat im Kündigungsschreiben vom nicht lediglich auf die Abfindungsregelung im „Interessenausgleich“ hingewiesen.
14a) Zwar schließt es die Vorschrift des § 1a KSchG nicht aus, dass der Arbeitgeber eine Abfindung auf anderer Grundlage verspricht oder sich darauf beschränkt, im Kündigungsschreiben rein deklaratorisch auf kollektivrechtliche Bestimmungen zu verweisen, aus denen ein Abfindungsanspruch bei Verlust des Arbeitsplatzes folgt. Der Wille des Arbeitgebers, ein von der gesetzlichen Vorgabe abweichendes Angebot unterbreiten zu wollen, muss sich aber aus dem Kündigungsschreiben eindeutig und unmissverständlich ergeben (vgl. - Rn. 18, BAGE 123, 121). Enthält dieses einen vollständigen Hinweis nach § 1a Abs. 1 Satz 2 KSchG, spricht dies für einen Anspruch des Arbeitnehmers nach § 1a Abs. 2 KSchG (vgl. - Rn. 21, BAGE 125, 191).
15b) Daran gemessen können die Erklärungen im Kündigungsschreiben nicht als rein deklaratorische Bezugnahme auf die Sozialplanregelung in § 4 des „Interessenausgleichs“ vom verstanden werden. Zu einem kollektivrechtlich begründeten Abfindungsanspruch hat die Beklagte im Rahmen ihrer „Hinweise“ keinen Zusammenhang hergestellt. Stattdessen hat sie Formulierungen gewählt, die auf § 1a Abs. 1 KSchG als Anspruchsgrundlage verweisen. Insbesondere hat sie als Voraussetzung für die Abfindung den Verzicht auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage genannt. Daran knüpft die Regelung im „Interessenausgleich“ nicht an. Ebenso fehlt es an einem Hinweis im Kündigungsschreiben auf eine mögliche Anrechnung der jeweiligen Abfindungen aus dem „Interessenausgleich“ und nach § 1a KSchG. Es bedarf daher keiner Entscheidung, ob ein mit einem Hinweis nach § 1a KSchG verbundener Anrechnungsvorbehalt als unzulässige Bedingung oder als ein abweichendes Angebot auf eine Abfindungszahlung anzusehen wäre.
16c) Dieser Sichtweise steht nicht entgegen, dass der Kläger nach dem „Interessenausgleich“ und dem im Kündigungsschreiben vom enthaltenen Hinweis zwei Abfindungszahlungen in gleicher Höhe beanspruchen kann. Eine solche Doppelung ist - darin ist der Beklagten noch zu folgen - sicherlich ungewöhnlich. Allerdings brauchte der Kläger über die Motive für das Handeln der Beklagten nicht zu rätseln, zumal diese mit einer sorgfältigen Abfassung des Kündigungsschreibens den Umfang ihrer beabsichtigten Leistungsgewährung ohne Weiteres hätte klarstellen können. Der Kläger durfte es zumindest für möglich halten, die Beklagte habe für die durch das Verstreichenlassen der Klagefrist erlangte Rechtssicherheit einen weiteren Abfindungsbetrag gewähren wollen. Aus diesem Grund ist es unerheblich, ob der Kläger durch den sich aus beiden Abfindungen ergebenden Gesamtbetrag wirtschaftlich besser gestellt wird, als wenn er bis zu einer Altersgrenze bei der Beklagten weiter gearbeitet hätte.
17d) Auf den Inhalt des nach Zugang des Kündigungsschreibens vom zwischen den Parteien geführten Gesprächs über die Höhe der dem Kläger zustehenden Abfindung kommt es nicht an. Für die Auslegung einer möglichen Erklärung nach § 1a KSchG ist aus Gründen der Rechtssicherheit, Rechtsklarheit und Beweissicherung der Zeitpunkt des Zugangs des Kündigungsschreibens maßgeblich. Aus diesem muss der Arbeitnehmer eindeutig und unmissverständlich erkennen können, ob und ggf. welche Abfindung der Arbeitgeber anbietet. Das Gesetz räumt dem Arbeitnehmer nach dem Erhalt der Kündigungserklärung eine dreiwöchige Überlegungsfrist ein, innerhalb derer er über die Annahme des dort enthaltenen Angebots entscheiden kann. Hiermit wäre es unvereinbar, wenn der Arbeitgeber die - nach seinem Hinweis - nur noch vom Willen des Arbeitnehmers abhängige Entstehung des Anspruchs nach § 1a KSchG durch weitere Erklärungen wieder in Zweifel ziehen könnte.
18e) Dem Anspruch steht auch eine von der Beklagten behauptete Unwirksamkeit ihrer Kündigung vom wegen einer unzureichenden Beteiligung des Betriebsrats (§ 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG) nicht entgegen. Der Anspruch nach § 1a KSchG setzt keine wirksame Kündigung des Arbeitgebers voraus. Ein Streit über deren Wirksamkeit soll durch das Angebot des Arbeitgebers nach § 1a KSchG gerade vermieden werden. Daneben wird die Wirksamkeit der von der Beklagten erklärten Kündigung durch § 7 KSchG fingiert.
19III. Die Beklagte hat den sich aus § 1a Abs. 1 KSchG ergebenden Anspruch des Klägers nicht durch die Zahlung der sich aus dem „Interessenausgleich“ ergebenden Abfindung erfüllt. Eine (vollständige) Anrechnung der dort normativ geregelten Abfindung auf den durch den Hinweis nach § 1a Abs. 1 KSchG begründeten Abfindungsanspruch scheidet wegen der unterschiedlichen Leistungszwecke aus Rechtsgründen aus.
201. Mit der Regelung in § 1a KSchG wollte der Gesetzgeber eine „einfach zu handhabende, moderne und unbürokratische Alternative zum Kündigungsschutzprozess“ schaffen. Die formalisierten Voraussetzungen für den Abfindungsanspruch und die gesetzlich festgelegte Höhe der Abfindung sollen es den Arbeitsvertragsparteien erleichtern, die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach arbeitgeberseitiger betriebsbedingter Kündigung außergerichtlich kostengünstig zu klären. Mit der Einfügung des am in Kraft getretenen § 1a in das Kündigungsschutzgesetz durch Art. 1 des Gesetzes zu Reformen am Arbeitsmarkt vom (BGBl. I S. 3002) war die Erwartung verbunden, dass Arbeitgeber bereit sein würden, die gesetzlich vorgegebene Abfindungssumme zu zahlen, wenn sie Risiken und Kosten eines Kündigungsschutzprozesses in Betracht zögen, und Arbeitnehmer, die an ihrem Arbeitsverhältnis nicht zwingend festhalten wollen, die Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses akzeptieren würden, wenn sie den im Gesetz vorgesehenen Abfindungsbetrag erhielten (BT-Drs. 15/1204 S. 12).
212. Ein solcher Normzweck liegt Sozialplanleistungen iSv. § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG, die dem Ausgleich oder der Abmilderung der mit einer Betriebsänderung für die Arbeitnehmer verbundenen wirtschaftlichen Nachteile dienen, nicht zugrunde. Diese dürfen nicht von einem Verzicht des Arbeitnehmers auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage (§ 4 Satz 1 KSchG) abhängig gemacht werden. Das folgt aus dem in § 75 Abs. 1 BetrVG normierten betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Macht ein Sozialplan den Verzicht auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage zur Voraussetzung für den Anspruch auf die Sozialplanabfindung, erfolgt eine Gruppenbildung, welche die Anwendung des Gleichheitssatzes ermöglicht und gebietet. Die Arbeitnehmer, die eine Kündigungsschutzklage erheben, werden hinsichtlich der Sozialplanabfindung schlechter behandelt als diejenigen, die von der gerichtlichen Überprüfung der Wirksamkeit der Kündigung absehen. Diese Ungleichbehandlung ist nach Sinn und Zweck des Sozialplans sachlich nicht gerechtfertigt ( - zu II 1 der Gründe, BAGE 115, 68). Nur wenn die Betriebsparteien ihrer Pflicht zur Aufstellung eines Sozialplans nachgekommen sind, können sie freiwillig eine kollektivrechtliche Regelung treffen, die im Interesse des Arbeitgebers an alsbaldiger Planungssicherheit finanzielle Leistungen für den Fall vorsieht, dass der Arbeitnehmer von der Möglichkeit der Erhebung einer Kündigungsschutzklage keinen Gebrauch macht oder freiwillig aus dem Arbeitsverhältnis im Wege einer Aufhebungsvereinbarung ausscheidet. Das Verbot, Sozialplanabfindungen von einem Verzicht auf die Erhebung der Kündigungsschutzklage abhängig zu machen, darf dadurch aber nicht umgangen werden ( - Rn. 39). Ebenso können die Betriebsparteien die Anrechnung von Leistungen des Arbeitgebers nach § 1a KSchG auf eigene Abfindungsansprüche zum Ausgleich der Nachteile des Arbeitsplatzverlustes vorsehen, ohne damit gegen den Zweck dieser Leistungen zu verstoßen ( - Rn. 37, BAGE 123, 121).
223. Nach diesen Grundsätzen scheidet vorliegend die von der Beklagten geltend gemachte (vollständige) Anrechnung des Anspruchs aus dem „Interessenausgleich“ auf den durch das Kündigungsschreiben vom begründeten Abfindungsanspruch aus. Die mit den jeweiligen Zahlungen verfolgten Zwecke sind nicht deckungsgleich. Bei der normativ geregelten Abfindung handelt es sich um eine Leistung nach § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG. Diese dient - anders als die Abfindung nach § 1a KSchG - ausschließlich dem Ausgleich der mit dem Verlust des Arbeitsplatzes verbundenen wirtschaftlichen Nachteile. Weitere Leistungszwecke verfolgen die Betriebsparteien mit der im „Interessenausgleich“ enthaltenen Zahlung nicht. Die Beklagte und der Betriebsrat haben dort keine gesonderte Regelung für den Fall vorgesehen, dass der Arbeitnehmer von der Möglichkeit der Erhebung einer Kündigungsschutzklage keinen Gebrauch macht. Ebenso haben sie die Anrechnung einer nach § 1a Abs. 1 KSchG gewährten Abfindung nicht - auch nicht nachträglich - vereinbart.
23IV. Die gerichtliche Durchsetzung des sich aus dem Hinweis der Beklagten im Kündigungsschreiben vom ergebenden Abfindungsanspruchs stellt kein nach § 242 BGB unzulässiges rechtsmissbräuchliches Verhalten des Klägers dar. Auch dies hat das Landesarbeitsgericht im Ergebnis zutreffend erkannt.
24V. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2016:190716.U.2AZR536.15.0
Fundstelle(n):
BB 2017 S. 830 Nr. 14
DB 2017 S. 196 Nr. 4
NJW 2017 S. 346 Nr. 5
ZIP 2017 S. 296 Nr. 6
EAAAF-88818