BGH Beschluss v. - VII ZB 17/16

Wiedereinsetzungantrag nach Versäumung der Berufungsfrist: Anforderungen an die Ausgangs- und Erledigungskontrolle bei Telefaxübersendung fristgebundener Schriftsätze

Leitsatz

Zur Ausgangskontrolle von per Telefax zu übermittelnden fristgebundenen Schriftsätzen gehört neben der Anordnung des Rechtsanwalts, dass die Frist im Fristenkalender nach Übermittlung des Telefaxes erst dann gestrichen werden darf, wenn anhand des Sendeberichts und gegebenenfalls des Inhalts der Akte geprüft worden ist, ob die Übermittlung vollständig und an den richtigen Empfänger erfolgt ist, außerdem die Anordnung, dass am Ende eines jeden Arbeitstags eine Bürokraft damit beauftragt wird zu überprüfen, ob überhaupt ein Sendebericht vorliegt; einer - erneuten - inhaltlichen Überprüfung des Sendeberichts bedarf es bei dieser Erledigungskontrolle hingegen nicht (Anschluss an Rn. 12).

Gesetze: § 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO, § 234 ZPO, § 517 ZPO

Instanzenzug: OLG Rostock Az: 4 U 178/15vorgehend LG Stralsund Az: 4 O 334/09

Gründe

I.

1Der Kläger nimmt die Beklagte unter anderem auf Schadensersatz wegen mangelhafter Bauleistungen in Anspruch. Das Landgericht hat die Klage teilweise abgewiesen. Gegen das am zugestellte Urteil hat der Kläger mit Schriftsatz vom , der am bei dem Berufungsgericht eingegangen ist, Berufung eingelegt.

2Nach telefonischem Hinweis des Vorsitzenden des Berufungsgerichts vom , dass die Berufung mit Verspätung eingegangen sein dürfte, hat der Kläger mit Schriftsatz vom , am selben Tag per Telefax beim Berufungsgericht eingegangen, beantragt, ihm gegen die Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

3Zur Begründung hat der Kläger unter Vorlage zweier eidesstattlicher Versicherungen seiner Prozessbevollmächtigten, einer eidesstattlichen Versicherung der Rechtsanwaltsfachangestellten F. sowie beglaubigter auszugsweiser Kopien des Fristenkalenders und des Postausgangsbuchs im Wesentlichen Folgendes ausgeführt: Die Kanzlei der Prozessbevollmächtigten sei so organisiert, dass jedem der Partner eine langjährig tätige Rechtsanwaltsfachangestellte zugeordnet sei. Dem diesen Rechtsstreit bearbeitenden Prozessbevollmächtigten Rechtsanwalt F., der auch die Berufungsschrift unterschrieben habe, sei die langjährig tätige, äußerst erfahrene und zuverlässige Rechtsanwaltsfachangestellte F. seit über sieben Jahren zugeordnet.

4Es bestehe seit Jahren die generelle Kanzleianordnung, dass grundsätzlich sämtliche fristwahrenden Schriftsätze, ob am Tag des Ablaufs der Frist oder davor, vorab per Fax an das entsprechende Gericht zu senden und im Fristenbuch notierte Fristen erst nach Kontrolle des Sendeberichts zu streichen seien. Für den Fall einer urlaubs- oder krankheitsbedingten Abwesenheit einer Bürokraft existierten klare Vertretungsregelungen. Zudem werde das Fristenbuch vor Ende eines jeden Arbeitstags von der Büroleiterin bzw. ihrer Vertretung daraufhin geprüft, ob alle Fristen des Tages als erledigt gelöscht seien.

5Die vom datierende Berufungsschrift sei von der Rechtsanwaltsfachangestellten F. am im Entwurf gefertigt und von dem Rechtsanwalt F. am späten Nachmittag des zur Ausfertigung für den verfügt und persönlich auf ihren Arbeitsplatz gelegt worden. Die Ausfertigung sei Herrn Rechtsanwalt F. am Vormittag des zur Unterschrift mit entsprechenden Abschriften vorgelegt, von diesem persönlich unterschrieben und sodann Frau F. um ca. 12.00 Uhr persönlich zur Absendung übergeben worden.

6Frau F. habe sodann die Berufungsschrift sowie noch weitere Schriftsätze zur Faxversendung zum seit Jahren von ihr genutzten kombinierten Großkopierer mit Fax-Funktion mitgenommen und die entsprechenden Versendungen vorgenommen. Es habe sie sodann ein dringender Telefonanruf eines Mandanten erreicht, welchen sie angenommen habe. In dieser Zeit seien die Faxempfangsberichte der abgesandten Schreiben eingegangen. Diese habe sie angenommen und kontrolliert. Sie sei der festen Überzeugung gewesen, dass auch der Sendebericht über die ordnungsgemäße Versendung der Berufungsschrift dabei gewesen sei. Sie habe daraufhin die bestehenden Fristen im Fristenbuch gelöscht und die Postausgänge im Postbuch eingetragen. Daher sei bei der Kontrolle des Fristenbuchs am Ende des Arbeitstags keine Auffälligkeit festzustellen gewesen. Da sie überzeugt gewesen sei, dass alle Sendeberichte der Schriftsätze des Tages mit einem "Ok-Vermerk" versehen gewesen seien, habe sie die Abheftung der Sendeberichte zu den einzelnen Akten für den kommenden Arbeitstag zurückgestellt.

7Für Frau F. sei es nicht mehr aufklärbar, ob sie den Schriftsatz tatsächlich gefaxt habe oder ob ein Übermittlungsfehler vorgelegen habe. Sie sei überzeugt gewesen, die Berufungsschrift per Fax abgesandt zu haben. Frau F. sei äußerst zuverlässig, ein Wiedereinsetzungsantrag sei noch niemals notwendig gewesen.

8Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag des Klägers zurückgewiesen und dessen Berufung als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat das Berufungsgericht im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger müsse sich das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten, die unzureichend organisierte Ausgangskontrolle bei Telefaxübermittlungen, zurechnen lassen. Dem Rechtsanwalt obliege es, für einen mangelfreien Zustand der ausgehenden Schriftsätze zu sorgen. Der Rechtsanwalt sei zwar nicht gehalten, die Versendung des Telefaxes persönlich zu kontrollieren. Er könne derartige Hilfstätigkeiten dem geschulten Kanzleipersonal übertragen. Jedoch sei er verpflichtet, für eine Büroorganisation zu sorgen, die eine Überprüfung der durch Telefax übermittelten fristgebundenen Schriftsätze gewährleiste. Dabei sei der für die Kontrolle zuständige Angestellte insbesondere anzuweisen, Fristen im Kalender grundsätzlich erst zu streichen oder als erledigt zu kennzeichnen, nachdem er sich anhand der Akten vergewissert habe, dass zweifelsfrei nichts mehr zu veranlassen sei. Der Kläger habe weder dargetan noch glaubhaft gemacht, dass eine derart umfassende Anordnung zur Ausgangskontrolle in der Kanzlei seines Prozessbevollmächtigten existiere.

9Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.

II.

10Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte sowie rechtzeitig eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde ist zulässig, aber nicht begründet.

111. Die Begründung im angefochtenen Beschluss enthält überzogene Anforderungen hinsichtlich der vom Rechtsanwalt zu treffenden organisatorischen Vorkehrungen bei Streichung einer Frist im Fristenkalender nach Übermittlung eines Schriftsatzes per Telefax. Dies führt zur Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde, auch wenn sich - wie hier - der Fehler nicht auf das Ergebnis der Entscheidung ausgewirkt hat (vgl. Rn. 7; Beschluss vom - V ZB 28/03, NJW 2004, 367, 368, juris Rn. 8).

12a) Nach § 233 ZPO ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert war, die Berufungsfrist einzuhalten. Das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten ist der Partei zuzurechnen (§ 85 Abs. 2 ZPO).

13b) Ein Rechtsanwalt hat durch organisatorische Vorkehrungen dafür Sorge zu tragen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt wird und innerhalb der laufenden Frist beim zuständigen Gericht eingeht. Zu diesem Zweck muss er nicht nur sicherstellen, dass ihm die Akten von Verfahren, in denen Rechtsmitteleinlegungs- und Rechtsmittelbegründungsfristen laufen, rechtzeitig vorgelegt werden, sondern er hat auch eine Ausgangskontrolle einzurichten, durch die zuverlässig gewährleistet wird, dass fristwahrende Schrift-sätze auch tatsächlich hinausgehen (st. Rspr.; vgl. nur , NJW 2015, 2041 Rn. 8; Beschluss vom - VII ZB 7/15 Rn. 9 m.w.N.). Bei einer Übermittlung fristwahrender Schriftsätze per Telefax genügt der Rechtsanwalt seiner Pflicht zu einer Ausgangskontrolle dann, wenn er seine Angestellten anweist, anhand des Sendeberichts und gegebenenfalls des Inhalts der Akte zu überprüfen, ob die Übermittlung vollständig und an den richtigen Empfänger erfolgt ist; erst danach darf die Frist im Fristenkalender gestrichen werden (vgl. , NJW 2008, 2508 Rn. 11; Beschluss vom - IX ZB 110/11 Rn. 4; Beschluss vom - V ZB 72/15, NJW 2016, 874 Rn. 12). Außerdem gehört zu einer Ausgangskontrolle eine Anordnung des Rechtsanwalts, durch die gewährleistet wird, dass die Erledigung der fristgebundenen Sachen am Ende eines jeden Arbeitstags anhand des Fristenkalenders von einer damit beauftragten Bürokraft nochmals selbständig überprüft wird (vgl. , NJW-RR 2015, 442 Rn. 8; Beschluss vom - VI ZB 15/15, NJW 2016, 873 Rn. 8; Beschluss vom - III ZB 42/15, NJW 2016, 1742 Rn. 10; jeweils m.w.N.).

14c) Nach diesen Grundsätzen enthält der angefochtene Beschluss überzogene Anforderungen hinsichtlich der vom Rechtsanwalt zu treffenden organisatorischen Vorkehrungen bei Streichung einer Frist im Fristenkalender nach Übermittlung eines Schriftsatzes per Telefax. Nach dem glaubhaft gemachten Vorbringen des Klägers besteht in der Kanzlei seiner Prozessbevollmächtigten die generelle Kanzleianordnung, dass grundsätzlich sämtliche fristwahrenden Schriftsätze vorab per Fax an das entsprechende Gericht zu senden und dass im Fristenbuch notierte Fristen erst nach Kontrolle des Sendeberichts zu streichen sind. Einer weitergehenden Anordnung des Rechtsanwalts, dass sich die Angestellten bei Übermittlung eines Schriftsatzes per Telefax vor Streichung der Frist im Fristenkalender über die Überprüfung des Sendeberichts und einen Abgleich mit diesem hinaus anhand der Sachakten zu vergewissern haben, dass nichts mehr zu veranlassen ist, bedarf es in diesem Zusammenhang nicht.

152. Die Rechtsbeschwerde ist aber nicht begründet. Das Berufungsgericht hat die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Ergebnis zu Recht versagt (§ 233 ZPO) und die Berufung infolgedessen zutreffend als unzulässig verworfen (§ 522 Abs. 1 ZPO).

16a) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden, wenn nach den glaubhaft gemachten Tatsachen die Möglichkeit offenbleibt, dass die Fristversäumung vom Prozessbevollmächtigten der Partei verschuldet war (vgl. , NJW 2012, 3516 Rn. 9; Beschluss vom - XII ZB 701/10, NJW 2011, 1972 Rn. 8 m.w.N.). So liegt der Fall hier.

17b) Wie bereits erörtert, gehört zu einer Ausgangskontrolle eine Anordnung des Rechtsanwalts, durch die gewährleistet wird, dass die Erledigung der fristgebundenen Sachen am Ende eines jeden Arbeitstags anhand des Fristenkalenders von einer damit beauftragten Bürokraft nochmals selbständig überprüft wird (vgl. , NJW-RR 2015, 442 Rn. 8; Beschluss vom - VI ZB 15/15, NJW 2016, 873 Rn. 8; Beschluss vom - III ZB 42/15, NJW 2016, 1742 Rn. 10; Beschluss vom - VII ZB 7/15 Rn. 9; jeweils m.w.N.). Diese Überprüfung dient auch dazu festzustellen, ob möglicherweise in einer bereits als erledigt vermerkten Fristsache die fristwahrende Handlung noch aussteht. Deshalb ist dabei, gegebenenfalls anhand der Akten, auch zu prüfen, ob die im Fristenkalender als erledigt gekennzeichneten Schriftsätze tatsächlich abgesandt worden sind (vgl. , NJW 2015, 253 Rn. 10; Beschluss vom - VI ZB 15/15, NJW 2016, 873 Rn. 8; Beschluss vom - III ZB 42/15, NJW 2016, 1742 Rn. 10; jeweils m.w.N.).

18Allerdings muss sich die von einem Rechtsanwalt anzuordnende Ausgangskontrolle am Ende eines jeden Arbeitstags im Falle der Übermittlung eines Schriftsatzes per Telefax nicht auf die erneute inhaltliche Überprüfung des Sendeberichts erstrecken (vgl. , NJW 2016, 1664 Rn. 16, 18). Hingegen gehört zu der von einem Rechtsanwalt anzuordnenden Ausgangskontrolle am Ende eines jeden Arbeitstags, dass die damit beauftragte Bürokraft überprüft, ob bei Telefaxübermittlung überhaupt ein Sendebericht vorliegt (vgl. Rn. 12).

19c) Nach diesen Maßstäben hat der Kläger nicht hinreichend dargelegt und glaubhaft gemacht, dass in der Kanzlei seiner Prozessbevollmächtigten die erforderlichen organisatorischen Vorkehrungen bezüglich der Ausgangskontrolle bei der Übermittlung von Schriftsätzen per Telefax getroffen worden sind. Zwar wird das Fristenbuch vor Ende eines jeden Arbeitstags, wie der Kläger ebenfalls dargelegt und glaubhaft gemacht hat, von der Büroleiterin bzw. ihrer Vertretung daraufhin geprüft, ob alle Fristen des Tages als endgültig gelöscht sind. Der Kläger hat indes nicht dargelegt und glaubhaft gemacht, dass sich die Anordnung hinsichtlich der Ausgangskontrolle am Ende eines jeden Arbeitstags darauf erstreckt, dass die damit beauftragte Bürokraft überprüft, ob bei Telefaxübermittlung überhaupt ein Sendebericht vorliegt.

20d) Das schuldhafte Unterlassen der vorstehend genannten Anordnung zur Ausgangskontrolle am Ende eines jeden Arbeitstags lässt sich als Ursache für die Fristversäumung nicht ausschließen. Der Kläger hat einen Sendebericht nicht vorgelegt. Nach dem glaubhaft gemachten Vorbringen des Klägers ist für die Rechtsanwaltsfachangestellte F. nicht mehr aufklärbar, ob sie den Schriftsatz tatsächlich gefaxt hat oder ob ein Übermittlungsfehler vorlag. Danach ist nicht auszuschließen, dass am Ende des Arbeitstags am ein Sendebericht nicht existierte. Hätte die mit der Kontrolle am Ende des Arbeitstags beauftragte Bürokraft überprüft, ob überhaupt ein Sendebericht vorlag, hätte ihr das Fehlen eines Sendeberichts auffallen müssen; dann wäre nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge bei ansonsten pflichtgemäßem Verhalten dieser Bürokraft die Berufungsfrist nicht versäumt worden.

III.

21Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Eick                       Kartzke                       Graßnack

             Sacher                        Borris

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2016:100816BVIIZB17.16.0

Fundstelle(n):
BB 2016 S. 2178 Nr. 37
DB 2016 S. 6 Nr. 37
NJW 2016 S. 8 Nr. 39
NJW-RR 2016 S. 1403 Nr. 22
EAAAF-81683