BGH Beschluss v. - VII ZB 4/15

Zwangsvollstreckung: Pfändbarkeit steuerfreier Nachtarbeitszuschläge

Leitsatz

Nachtarbeitszuschläge sind, soweit sie dem Schuldner von seinem Arbeitgeber steuerfrei im Sinne von § 3b EStG gewährt werden, als Erschwerniszulagen im Sinne von § 850a Nr. 3 ZPO unpfändbar.

Gesetze: § 850a Nr 3 ZPO, § 3b EStG

Instanzenzug: LG Stendal Az: 25 T 208/14 Beschlussvorgehend AG Stendal Az: 7 M 1296/14

Gründe

I.

1Die Gläubigerin betreibt gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung aus einem Beschluss des Amtsgerichts S. vom , mit dem Unterhaltsforderungen der Gläubigerin gegen den Schuldner tituliert wurden. Auf Antrag der Gläubigerin hat das Amtsgericht - Vollstreckungsgericht - am einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erlassen, mit dem Forderungen des Schuldners gegen seine Arbeitgeberin, die Drittschuldnerin, gepfändet und der Gläubigerin zur Einziehung überwiesen worden sind.

2Am hat der Schuldner beantragt, die Pfändung von Nachtschichtzuschlägen gemäß § 850a Nr. 3 ZPO aufzuheben. Der Schuldner hat hierzu Verdienstbescheinigungen vorgelegt, aus denen sich ergibt, dass er steuerfreie Nachtschichtzuschläge in Höhe von 25, 40 und 50 Prozent erhält. Nach Anhörung der Gläubigerin hat das Amtsgericht - Vollstreckungsgericht - mit Beschluss vom unter Ziffer 2. die Nachtschichtzuschläge gemäß § 850a Nr. 3 ZPO für unpfändbar erklärt und angeordnet, dass die Drittschuldnerin die einbehaltenen Beträge an den Schuldner auszuschütten habe. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde der Gläubigerin hat das Beschwerdegericht zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen.

3Mit der Rechtsbeschwerde beantragt die Gläubigerin, die angefochtenen Beschlüsse aufzuheben und den Antrag des Schuldners vom zurückzuweisen.

II.

4Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde der Gläubigerin hat nur in geringfügigem Umfang Erfolg.

51. Das Beschwerdegericht hat die Auffassung vertreten, die vom Schuldner erzielten Nachtschichtzuschläge seien nach § 850a Nr. 3 ZPO unpfändbar. Mit dem Wortlaut der Norm sei nicht vereinbar, dass gewährte Zulagen für ungünstige Arbeitszeit von der Anwendung des § 850a Nr. 3 ZPO ausgenommen würden. Die Zulage verfolge wie auch die Zulage nach § 3 der Verordnung über die Gewährung von Erschwerniszulagen (Erschwerniszulagenverordnung - EZulV, BGBl. I 1998 S. 3497) den Zweck, dem betroffenen Arbeitnehmer/Beamten einen Ausgleich für die mit der Arbeitszeit verbundenen Belastungen zu gewähren. Insofern sei eine identische Behandlung in verwaltungsgerichtlicher und zivilgerichtlicher Rechtsprechung angezeigt. Betrachte man den Zweck der Nachtarbeitszuschläge, sei eine gewisse Ähnlichkeit zu den Zuschlägen für gefährliche Arbeit festzustellen. Durch die Nachtarbeit werde der Lebensrhythmus des Arbeitnehmers gestört, was ebenso gesundheitliche Folgen haben könne wie bestimmte gefährliche Arbeiten, für die eine besondere Zulage gewährt werde. Es sei auch nicht festzustellen, dass sich die gewährten Zuschläge außerhalb des Üblichen bewegten.

62. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts hält der rechtlichen Überprüfung mit der Maßgabe stand, dass in Abänderung des angefochtenen Beschlusses des Amtsgerichts - Vollstreckungsgericht - bestimmt wird, dass Nachtarbeitszuschläge, soweit sie dem Schuldner steuerfrei im Sinne des § 3b EStG gewährt werden, gemäß § 850a Nr. 3 ZPO unpfändbar sind.

7a) Nach § 850a Nr. 3 ZPO sind unpfändbar Aufwandsentschädigungen, Auslösungsgelder und sonstige soziale Zulagen für auswärtige Beschäftigungen, das Entgelt für selbstgestelltes Arbeitsmaterial, Gefahrenzulagen sowie Schmutz- und Erschwerniszulagen, soweit diese Bezüge den Rahmen des Üblichen nicht übersteigen.

8In der vollstreckungsrechtlichen Literatur wird ganz überwiegend bejaht, dass vom Arbeitgeber gewährte Nachtarbeitszuschläge als Erschwerniszulagen anzusehen und damit gemäß § 850a Nr. 3 ZPO unpfändbar sind (vgl. Musielak/Voit/Becker, ZPO, 13. Aufl., § 850a Rn. 5a; BeckOK ZPO/Riedel, Stand: , § 850a Rn. 14; Hk-ZV/Meller-Hannich, 3. Aufl., § 850a ZPO Rn. 21; Hk-ZPO/Kemper, 6. Aufl., § 850a Rn. 5), zum Teil mit der Einschränkung, dass Nachtarbeitszuschläge nach § 850a Nr. 3 ZPO der Pfändung nur insoweit nicht unterliegen, als sie steuerfrei gewährt werden (vgl. Zöller/Stöber, ZPO, 31. Aufl., § 850a Rn. 10; PG/Ahrens, ZPO, 8. Aufl., § 850a Rn. 12; Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, 37. Aufl., § 850a Rn. 4). Vereinzelt wird die Auffassung vertreten, dass Zuschläge für Nachtarbeit § 850a Nr. 3 ZPO nicht unterfallen (vgl. Schuschke/Walker/Kessal-Wulf/Lorenz, ZPO, 6. Aufl., § 850a Rn. 9). Teilweise wird angenommen, dass Zuschläge für Nachtarbeit zwar grundsätzlich nicht gemäß § 850a Nr. 3 ZPO unpfändbar seien, hiervon jedoch eine Ausnahme zu machen sei, wenn der Zuschlag nicht nur einen Ausgleich für ungünstige Arbeitszeit darstelle, sondern eine mit der Nachtarbeit verbundene besondere Erschwernis der Arbeit ausgleichen solle (vgl. Stein/Jonas/Brehm, ZPO, 22. Aufl., § 850a Rn. 24; Wieczorek/Schütze/Lüke, ZPO, 4. Aufl., § 850a Rn. 27; MünchKommZPO/Smid, 4. Aufl., § 850a Rn. 15; LAG Frankfurt am Main, DB 1989, 1732).

9In der Rechtsprechung der Arbeits- und Verwaltungsgerichte wird verbreitet angenommen, dass Nachtarbeitszuschläge als Erschwerniszulagen im Sinne des § 850a Nr. 3 ZPO zu qualifizieren und daher unpfändbar seien (vgl. , juris Rn. 43 ff.: zu § 8 TVöD; OVG Lüneburg, Urteil vom - 5 ME 186/09, juris Rn. 3 ff.; VG Kassel, JurBüro 2013, 599, juris Rn. 17 ff.; , juris Rn. 18 ff.; , juris Rn. 22 ff.; jeweils zu § 3 EZulV; so auch , juris Rn. 10 ff.).

10b) Der Senat entscheidet die Frage dahin, dass Nachtarbeitszuschläge, soweit sie dem Schuldner von seinem Arbeitgeber steuerfrei im Sinne von § 3b EStG gewährt werden, als Erschwerniszulagen im Sinne von § 850a Nr. 3 ZPO unpfändbar sind.

11aa) Aus dem Wortlaut des § 850a Nr. 3 ZPO ergibt sich nicht eindeutig, ob Zuschläge für Nachtarbeit als "Erschwerniszulagen" zu qualifizieren sind.

12bb) Nach früherem Verständnis wurden Zuschläge für Nachtarbeit überwiegend als pfändbar angesehen. § 850a ZPO, der durch Art. 1 Nr. 12 des Gesetzes über Maßnahmen auf dem Gebiete der Zwangsvollstreckung vom (BGBl. I S. 952) eingeführt worden ist, ersetzte § 3 Nr. 3 der Verordnung zur einheitlichen Regelung des Pfändungsschutzes für Arbeitseinkommen vom (Lohnpfändungsverordnung) in der Fassung des Gesetzes zur Änderung von Vorschriften über den Pfändungsschutz für Arbeitseinkommen vom (BGBl. I S. 247), die mit Einführung des insoweit wortgleichen § 850a Nr. 3 ZPO aufgehoben wurde (vgl. Art. 5 Nr. 18 des Gesetzes über Maßnahmen auf dem Gebiete der Zwangsvollstreckung vom ). In einem Bescheid vom hat der Bundesminister der Justiz den Begriff der Schmutz- und Erschwerniszulagen im Sinne des § 3 Nr. 3 Lohnpfändungsverordnung im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Arbeit dahin erläutert, dass darunter nur solche Lohnzuschläge zu verstehen seien, die zur Abgeltung einer durch die Eigentümlichkeit der Arbeit verursachten Erschwernis gewährt würden. Dazu gehörten Zuschläge für Hitze-, Wasser-, Säure-, Staub-, Schacht- und Tunnel-, Druckluft- und Taucher- sowie Stacheldrahtarbeiten. Zuschläge für Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit hingegen könnten nicht als Erschwerniszulagen angesehen werden (vgl. BB 1952, 859). Danach wären Zuschläge für Nachtarbeit nur dann gemäß § 850a Nr. 3 ZPO als Nachfolgeregelung zu § 3 Nr. 3 Lohnpfändungsverordnung unpfändbar, wenn mit ihnen besondere Erschwernisse der Nachtarbeit ausgeglichen würden (vgl. in diesem Sinne Stein/Jonas/Brehm, ZPO, 22. Aufl., § 850a Rn. 24; Wieczorek/Schütze/Lüke, ZPO, 4. Aufl., § 850a Rn. 27; MünchKommZPO/Smid, 4. Aufl., § 850a Rn. 15; LAG Frankfurt am Main, DB 1989, 1732).

13cc) In Anbetracht des Umstands, dass sich aufgrund neuerer Erkenntnisse, die sich auch in der Rechtsetzung der Europäischen Union niedergeschlagen haben, die Auffassung durchgesetzt hat, dass lange Nachtarbeitszeiten für die Gesundheit der Arbeitnehmer generell nachteilig sind und Maßnahmen zum Schutz und zur Sicherheit der Arbeitnehmer erfordern (vgl. Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung, ABl. L 299 vom , S. 9 ff., Erwägungsgrund 7; Richtlinie 93/104/EG des Rates vom über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung, ABl. L 307 vom , S. 18 ff., Erwägungsgründe), hält es der Senat in Übereinstimmung mit der arbeits- und verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. , juris: zu § 8 TVöD; OVG Lüneburg, Urteil vom - 5 ME 186/09, juris; VG Kassel, JurBüro 2013, 599; , juris; , juris: zu § 3 EZulV) nicht für gerechtfertigt, für Nachtarbeit gewährte Zuschläge zum Grundgehalt nur dann nach § 850a Nr. 3 ZPO als Erschwerniszulagen von der Pfändbarkeit auszunehmen, wenn mit der Leistung der Nachtarbeit besondere, über die Lage der Arbeitszeit zur Nachtzeit hinausgehende Erschwernisse verbunden sind. Vielmehr stellt die Leistung von Arbeit zur Nachtzeit eine generell mit gesundheitlichen Risiken für den Schuldner verbundene Erschwernis seiner Arbeit dar, die es rechtfertigt, zur Abgeltung dieser Erschwernis gezahlte Nachtarbeitszuschläge als nach § 850a Nr. 3 ZPO unpfändbare Erschwerniszulagen zu qualifizieren, soweit diese den Rahmen des Üblichen nicht übersteigen.

14Als Anhaltspunkt für den üblichen Rahmen gewährter Nachtarbeitszuschläge kann dabei § 3b EStG herangezogen werden, wonach Zuschläge, die für tatsächlich geleistete Nachtarbeit neben dem Grundlohn gezahlt werden, in bestimmtem Umfang steuerfrei sind (vgl. Zöller/Stöber, ZPO, 31. Aufl., § 850a Rn. 10; PG/Ahrens, ZPO, 8. Aufl., § 850a Rn. 12; Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, 37. Aufl., § 850a Rn. 4). Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde kommt es nach dem Wortlaut des § 850a Nr. 3 ZPO dagegen nicht darauf an, ob die Zahlung von Nachtarbeitszuschlägen für die vom Schuldner ausgeübte Tätigkeit üblich ist.

15c) Nach den vorstehenden Grundsätzen sind die dem Schuldner von der Drittschuldnerin gezahlten Nachtarbeitszuschläge gemäß § 850a Nr. 3 ZPO insoweit unpfändbar, als sie ihm von der Drittschuldnerin steuerfrei im Sinne von § 3b EStG gezahlt werden. Nach den vom Beschwerdegericht getroffenen Feststellungen handelt es sich bei den dem Schuldner ausweislich der vorgelegten Gehaltsabrechnungen gewährten Nachtarbeitszuschlägen um steuerfrei gewährte Zuschläge im Sinne des § 3b EStG in Höhe von 25, 40 und 50 Prozent. Der Schuldner kann den Nachweis, dass ihm von der Drittschuldnerin steuerfreie Nachtarbeitszuschläge gewährt werden, im Rahmen des Zwangsvollstreckungsverfahrens grundsätzlich durch Vorlage seiner Gehaltsabrechnungen führen. Die Gläubigerin hat demgegenüber keine konkreten Umstände vorgetragen, aus denen sich Zweifel an der Echtheit der vorgelegten Urkunden oder an ihrem Inhalt ergeben.

III.

16Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1, § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

Eick                        Kartzke                     Graßnack

             Sacher                         Borris

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2016:290616BVIIZB4.15.0

Fundstelle(n):
DStR 2016 S. 15 Nr. 30
NJW 2016 S. 10 Nr. 32
NJW 2016 S. 2812 Nr. 38
WM 2016 S. 1454 Nr. 30
UAAAF-78598