NWB Nr. 24 vom Seite 1769

„Überraschung aus Neuruppin“

Reinhild Foitzik | Verantw. Redakteurin | nwb-redaktion@nwb.de

Wenn die Rechtsprechung zu Rechtsunsicherheiten führt

Dass Rechtsprechung nicht immer nur für Rechtssicherheit sorgt, sondern im Gegenteil auch dazu führen kann, dass neue Rechtsunsicherheit entsteht, zeigen zwei in dieser NWB-Ausgabe besprochene Urteile zu ganz unterschiedlichen steuerlichen Fragestellungen. Den Beginn macht das Umsatzsteuerrecht. Dort besteht derzeit in der Praxis eine große Verunsicherung in Bezug auf den Vorsteuerabzug im Zusammenhang mit der vollständigen Anschrift des leistenden Unternehmers und des Leistungsempfängers. Fraglich ist, so die Bundessteuerberaterkammer in ihrer Eingabe an das Bundesministerium der Finanzen, ob der Begriff „vollständige Anschrift“ auch den „Briefkastensitz“ z. B. das Postfach oder eine eigene Postleitzahl der Parteien umfasst. Begründet liegt diese Rechtsunsicherheit in einem Urteil des BFH aus dem Juli vergangenen Jahres, das Ende November 2015 im Bundessteuerblatt Teil II veröffentlicht wurde und somit von den Finanzbehörden allgemein angewendet wird. Der BFH sieht darin u. a. das Merkmal der „vollständigen Anschrift“ nur dann als erfüllt an, wenn der leistende Unternehmer unter dieser Anschrift seine wirtschaftlichen Aktivitäten entfaltet. Wieso sich die Praxis damit so schwer tut und welche Konsequenzen sich daraus ergeben, erläutern Gries/Stößel auf .

Neue Rechtsunsicherheit erwarten Steuerrechtler ebenso nach dem Beschluss des BVerfG zum Treaty Override. Danach ist der Gesetzgeber auch dann nicht am Erlass eines Gesetzes gehindert, wenn dieses zu völkerrechtlichen Verträgen im Sinne des Grundgesetzes im Widerspruch steht. Zwar gelte der als allgemeine Regel des Völkerrechts anerkannte Grundsatz „pacta sunt servanda“ (Verträge sind einzuhalten). Dieser sage jedoch nichts über die innerstaatliche Geltung und den Rang völkerrechtlicher Verträge. Auch der Grundsatz, dass ein (Bundes-)Gesetz durch ein späteres, ihm widersprechendes (Bundes-)Gesetz verdrängt wird, werde nicht außer Kraft gesetzt. Was aber, wenn ein ausgehandeltes Steuerabkommen kurz nach einem innerstaatlichen Steuergesetz verabschiedet wird, das diesem dann entgegensteht? Cloer/Hagemann untersuchen auf die praktischen Auswirkungen des BVerfG-Beschlusses.

Mit der Frage, was passiert, wenn bei der Erbschaftsteuerreform nichts passiert, hatten sich Karrenbrock/Petrak erst in auseinandergesetzt. Inzwischen scheint ein Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens noch vor der Sommerpause wieder möglich. Nach mehreren Arbeitstreffen sei man „vorangekommen“, hieß es aus Koalitionskreisen. Was sonst noch zu erwarten ist aus Berlin, verrät Hechtner in seinem „steuerpolitischen Update“ auf . Dabei stammt die größte Überraschung aus Neuruppin. Dort haben die Länderfinanzminister anlässlich ihrer Finanzministerkonferenz am 3. Juni erste Schritte in Richtung einer Reform der Grundsteuer unternommen.

Beste Grüße

Reinhild Foitzik

Fundstelle(n):
NWB 2016 Seite 1769
NWB KAAAF-75081