„Andere Länder sind hier schon weiter“
Legislatorische Blindflüge
In der FAZ vom fand sich auf der Seite 17 eine Meldung vom Vortag unter der Überschrift „CSU: So stimmen wir der Erbschaftsteuer nicht zu“. Berichtet wurde über Bayerns Finanzminister, der Berechnungen seines Hauses präsentiert hatte, wonach die beabsichtigte Neuregelung der Erbschaftsteuer Mehreinnahmen von 500 Mio. € erwarten lasse, während im Gesetzentwurf nur ein Plus von 200 Mio. € ausgewiesen sei. Damit verstoße das Vorhaben gegen den Koalitionsvertrag, der Steuererhöhungen ausgeschlossen habe. Woher kommen diese Werte, wer ermittelt sie und welche Grundsätze und Maßstäbe liegen diesen Feststellungen zugrunde? Man darf annehmen, dass diese wie auch alle anderen Werte, die sich in der allfälligen Tabelle zu Mehr- und Mindereinnahmen der Entwurfsbegründungen finden, auf mehr oder weniger groben Schätzungen beruhen, die nicht zuletzt zweck- und zielgerichtet nach der politisch gewünschten Richtung tendieren. Diese Angaben werden nicht belegt oder näher begründet; sie sind so Ausdruck von Herrschaftswissen, das sich per se einer Kontrolle entzieht. Wenn diese Daten zu Steuermehr- und -mindereinnahmen aber entscheidendes oder unterstützendes Argument für die Aufhebung oder Schaffung einer steuerlichen Regelung gewesen sind, dann erfordert politische Redlichkeit nach Ablauf einer gewissen Zeit eine Evaluation, die auch zu Konsequenzen führt.
Solche zielgenauen und seriösen Evaluierungen werden neuerdings von der Politik sogar fast inflationär gefordert (s. nur den Koalitionsvertrag CDU, CSU, SPD vom ). So etwa auch bei der 2008 durchgeführten Unternehmensteuerreform und speziell der neu eingeführten Zinsschranke durch den Finanzausschuss (BT-Drucks. 16/5491 S. 13). Solche Forderungen und Versprechungen werden aber – aus welchen Gründen auch immer – nicht eingelöst. Entlarvend ist hier die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage zu den Auswirkungen der Unternehmensteuerreform 2008 vom : „Mangels aktueller steuerstatistischer Daten ist eine exakte Angabe der von der Zinsschranke betroffenen Unternehmen nicht möglich“ (BT-Drucks. 17/2696 S. 3). Genau hier aber liegt der Hase im Pfeffer. Andernorts, in den skandinavischen Ländern, den USA oder in Großbritannien, ist man hier weiter. So gibt es namentlich im Vereinigten Königreich das Tax Administration Research Centre (TARC), das auf Datenerhebungen des im Mai 2011 gegründeten HMRC Datalab zurückgreifen kann, ein Forschungsdatenzentrum, dessen Aufgabe es ist, seriöse Forschungsgrundlagen zu erarbeiten, die sowohl der Steuergesetzgebung als auch der Wissenschaft dienen (https://tarc.exeter.ac.uk/datalab/). Offensichtlich konnten die statistischen Landesämter und das statistische Bundesamt dies bisher nicht und jedenfalls nicht so zeitnah leisten (s. etwa ?destatis') wie ein spezielles steuerrechtliches Forschungszentrum, das auch in der Lage wäre, auf besonderen Antrag konkrete Steuerwirkungen zu berechnen und die gebotenen Evaluationen durchzuführen. Damit aber wären wichtige Aussagen über die Funktionsweise unseres Steuersystems und die Auswirkungen von Steuerreformen möglich. Dem Gesetzgeber stünden damit die für einen Blindflug unentbehrlichen, zuverlässigen Instrumente zur Verfügung.
Hans-Joachim Kanzler
Fundstelle(n):
NWB 2015 Seite 3593
TAAAF-08888