„Das Ende einer guten Idee?“
Wie geht es weiter mit Reverse Charge?
Die Umsatzsteuer ist in ihrem Kern fraktioniert, d. h. der eine Unternehmer (Leistender) hat die Umsatzsteuer zu entrichten, der andere (Leistungsempfänger) kann aus der Rechnung den Vorsteuerabzug geltend machen. Das Eine, die Entrichtung der Umsatzsteuer, ist keine Voraussetzung für das Andere, den Vorsteuerabzug. Probleme sind allenthalben vorprogrammiert und die Lösung simpel: Der Leistungsempfänger entrichtet die Umsatzsteuer des Leistenden bei gleichzeitigem Vorsteuerabzug. Eigentlich profitieren alle Beteiligten von diesem Übergang der Steuerschuldnerschaft (sog. Reverse Charge): der leistende Unternehmer, weil er „Netto“ fakturieren und seinem Kunden einen Cashflow-Vorteil verschaffen kann; der Leistungsempfänger, weil er seinen Vorsteuerabzug frei von der Notwendigkeit der Überprüfung eines Rechnungspapiers vornehmen kann und schließlich die Finanzverwaltung, weil sie nur einen Ansprechpartner für Umsatzsteuerschuld und Vorsteuerabzug hat und mit der Umsatzsteuer de facto nicht mehr ausfallen kann. Allerdings lehrt bereits ein Blick ins Gesetz, vor welchen Schwierigkeiten der Praktiker steht. Aus ursprünglich einem Anwendungsfall sind mittlerweile 12 Reverse-Charge-Fälle erwachsen, einer komplizierter als der andere.
Vor allem der Übergang der Steuerschuldnerschaft im Bereich des § 13b Abs. 2 Nr. 4 UStG (Bauleistungen) erhitzt die Gemüter nach wie vor. Der Bauträger als Leistungsempfänger hat oftmals auf der Basis des BFH-Urteils V R 37/10 zu Unrecht die Steuer des Bauhandwerkers entrichtet, fordert sie zurück und entlässt den Bauhandwerker ins Chaos. Denn dieser schuldet gegenüber dem Finanzamt die (zunächst nicht entrichtete) Umsatzsteuer aus seiner Leistung, hat aber oftmals gegenüber seinem Leistungspartner keinen zivilrechtlichen Anspruch auf eben diese zunächst nicht im Preis vereinbarte Zusatzzahlung. Die durch § 27 Abs. 19 Satz 3 und 4 UStG dem Bauhandwerker eingeräumte Möglichkeit der Abtretung des Zahlungsanspruchs gegenüber dem Bauträger an sein Finanzamt wird dem Bauhandwerker angesichts der unsicheren Zivilrechtslage nicht wirklich helfen, zumal das Bayerische Landesamt für Steuern die Abtretung nur anerkennen will, wenn die Steuerfestsetzung gegenüber dem Bauhandwerker unanfechtbar geworden ist. Fest steht allerdings, dass der Gesetzgeber ihm jeglichen Vertrauensschutz, und dann auch noch rückwirkend, versagt (§ 27 Abs. 19 Satz 2 UStG). Ob dieser geniale Versuch des Gesetzgebers zum Schutz des Haushalts verfassungskonform ist, ist umstritten. Das ) sieht verfassungsrechtliche Zweifel, das ) dagegen nicht. Den vorläufigen Höhepunkt im Drama um § 13b Abs. 2 Nr. 4 UStG setzt die jetzt erfolgte Ergänzung durch das StÄndG 2015. Obwohl der BFH (V R 7/14) Betriebsvorrichtungen nicht als Bauwerke i. S. des § 13b Abs. 2 Nr. 4 UStG definiert, ordnet ein neuer Satz 2 in Nr. 4 jetzt das genaue Gegenteil an: Betriebsvorrichtungen, auf Dauer installiert, sind grds. Bauwerke im Sinne dieser Vorschrift. Was bleibt für den Praktiker? Bestenfalls resigniert er nur, schlimmstenfalls meutert er. Beides sollte ein Rechtsstaat tunlichst vermeiden.
Hans Nieskens
Fundstelle(n):
NWB 2015 Seite 3137
NWB PAAAF-05933