Umsatzsteuer-Vorauszahlungen für die Voranmeldungszeiträume Dezember oder IV. Quartal
regelmäßig wiederkehrende Ausgaben – § 11 Abs. 2 Satz 2 EStG
Zu den regelmäßig wiederkehrenden Ausgaben i. S. d. § 11 Abs. 2 Satz 2 EStG gehören nach dem , BStBl 2008 II S. 282) auch die Umsatzsteuer-Vorauszahlungen.
Die kurze Zeit nach Beendigung des Kalenderjahres (= Zeitraum bis zu 10 Tagen) fällige und abgeflossene Umsatzsteuer-Vorauszahlung – Dezember/IV. Quartal – ist im Kalenderjahr der wirtschaftlichen Zugehörigkeit als Betriebsausgabe/Werbungskosten in Abzug zu bringen.
Hinsichtlich der materiell-rechtlichen Besonderheiten wird auf die Kurzinformation Einkommensteuer Nr. XX/2015 verwiesen.
Nachdem den Steuerpflichtigen der Betriebsausgaben-/Werbungskostenabzug für das Kalenderjahr des Abflusses versagt wurde, beantragen diese eine Änderung der bereits bestandskräftigen Steuerfestsetzung des Kalenderjahrs der wirtschaftlichen Zugehörigkeit.
Soweit die betroffene bestandskräftige Steuerfestsetzung nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen ist, kann den Anträgen auf Änderung mangels Änderungsvorschrift nicht entsprochen werden.
§ 173 Abs. 1 Nr. 2 AO
Eine Änderung der Steuerfestsetzung ist nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO vorzunehmen, wenn Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen. Den Steuerpflichtigen darf am nachträglichen Bekanntwerden kein grobes Verschulden treffen.
Maßgebend für die Beantwortung der Frage, ob eine Tatsache nachträglich bekannt geworden ist, ist der Wissensstand derjenigen Personen, die innerhalb der zuständigen Finanzbehörde zur Bearbeitung des Steuerfalls berufen sind. Dabei ist jeder Stelle grundsätzlich das bekannt, was sich aus dem Inhalt der von ihr geführten Akten ergibt und was, anstelle in Steuerakten abgeheftet zu werden, in Computerdateien gespeichert wird, die dem Bearbeiter zugänglich sind.
Im Rahmen der Änderung zu Gunsten des Steuerpflichtigen nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO kann eine Tatsache nicht zu dessen Nachteil als bekannt gelten, die der zuständige Bearbeiter lediglich hätte kennen können oder kennen müssen. Das Finanzamt kann sich nicht auf sein eigenes Versäumnis oder Verschulden berufen. AEAO zu § 173 Nr. 2.3.6
Dementsprechend handelt es sich bei dem Vorbringen, dass die Umsatzsteuer-Vorauszahlung (Dezember/IV. Quartal) kurze Zeit nach Beendigung des Kalenderjahres fällig war und abgeflossen ist, um eine neue, nachträglich bekannt gewordene Tatsache. Dem Steuerpflichtigen kann nicht vorgehalten werden, dass der zuständige Sachbearbeiter bei Einsichtnahme in die Erhebungsauskunft die Zahlungszeitpunkte hätte kennen können.
Ausgeschlossen ist eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO jedoch, wenn den Steuerpflichtigen am nachträglichen Bekanntwerden der Tatsachen grobes Verschulden trifft. Das grobe Verschulden bezieht sich auf die Verletzung der Mitwirkungspflichten durch den Steuerpflichtigen und die dadurch verursachte Unkenntnis des Finanzamts über die vom Steuerpflichtigen offen zu legenden Tatsachen. Insbesondere kommt grobes Verschulden in Betracht, wenn dem Finanzamt der steuerlich relevante Sachverhalt in der Steuererklärung nicht richtig, vollständig und deutlich zur Prüfung unterbreitet worden ist.
Um die Steuererklärung vollständig und wahrheitsgemäß abgeben zu können, muss der Steuerpflichtige das Erklärungsformular gewissenhaft durchlesen und ausdrückliche Hinweise in den ihm zugegangenen Vordrucken, Merkblättern und sonstigen Mitteilungen beachten. In den Erläuterungen zur Anlage EÜR findet sich ausdrücklich der Hinweis, dass eine innerhalb von 10 Tagen nach Beginn des Kalenderjahres fällige und entrichtete Umsatzsteuer-Vorauszahlung im Vorjahr als Betriebsausgabe zu berücksichtigen ist. Vor diesem Hintergrund kann dem Steuerpflichtigen grundsätzlich grobes Verschulden entgegen gehalten werden, wenn er die Umsatzsteuer-Vorauszahlung Dezember/IV. Quartal gleichwohl nicht zutreffend berücksichtigt hat. Allerdings ist bei der Beurteilung des groben Verschuldens stets auf die persönlichen Kenntnisse und Fähigkeiten des Steuerpflichtigen abzustellen.
Hat der Steuerpflichtige die Hilfe eines Angehörigen der steuerberatenen Berufe in Anspruch genommen, muss er sich das grobe Verschulden seines steuerlichen Beraters zurechnen lassen. Dabei sind an den steuerlichen Berater erhöhte Anforderungen zu stellen. So kann von ihm die Kenntnis und sachgemäße Anwendung der steuerrechtlichen Vorschriften erwartet werden. Die Angaben seines Mandanten darf er nicht ungeprüft übernehmen. Ist der Steuerpflichtige steuerlich beraten, steht einer Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO daher in der Regel grobes Verschulden entgegen.
§ 174 Abs. 3 AO
Gemäß § 174 Abs. 3 Satz 1 AO kann eine Steuerfestsetzung, bei der die Berücksichtigung eines bestimmten Sachverhaltes erkennbar in der Annahme unterblieben ist, dass er in einem anderen Steuerbescheid zu berücksichtigen sei, geändert werden, wenn sich die Annahme als unrichtig herausstellt.
Dabei muss die Nichtberücksichtigung des „bestimmten Sachverhaltes” in einem Steuerbescheid in der erkennbaren Annahme unterblieben sein, dass er in einem anderen Bescheid zu erfassen sei. Diese Annahme muss sich später als materiell unrichtig herausstellen und kausal für die Nichtberücksichtigung sein. Dabei ist auf die Annahme des für die Steuerfestsetzung zuständigen Amtsträgers abzustellen. Denn Voraussetzung für die Anwendung des § 174 Abs. 3 AO ist eine Fehlvorstellung des Finanzamts.
Da in den betroffenen Steuerfällen in der Regel die unterbliebene Berücksichtigung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung als Betriebsausgabe/Werbungskosten im Kalenderjahrs der wirtschaftlichen Zugehörigkeit nicht aufgrund der erkennbaren Annahme der Veranlagungsstelle, der Sachverhalt sei in einem späteren Kalenderjahr zu berücksichtigen, erfolgt ist, scheidet eine Änderung der Steuerfestsetzung aus. Die Entscheidung, die Umsatzsteuer-Vorauszahlung nicht als Betriebsausgabe/Werbungskosten zu berücksichtigen, wird im Regelfall bereits bei Erstellung der Steuererklärung vom Steuerpflichtigen getroffen.
Zudem fehlt es an der für eine Änderung nach § 174 Abs. 3 AO erforderlichen Kausalität, wenn die Nichtberücksichtigung darauf beruht, dass das Finanzamt von diesem Sachverhalt gar keine Kenntnis hatte. § 174 Abs. 3 AO ist nur auf Fälle anwendbar, in denen das Finanzamt den ihm bekannten „bestimmten Sachverhalt” dahin würdigt, dass er in einem anderen Bescheid zu erfassen sei.
Fehler der falschen Rechtsanwendung können nicht durch § 174 Abs. 3 AO geheilt werden. Ein rechtlich falsch gewürdigter Sachverhalt wurde vom Finanzamt nicht unberücksichtigt gelassen.
§ 129 AO
Nach § 129 AO kann eine Steuerfestsetzung berichtigt werden, bei der offensichtliche Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten unterlaufen sind.
Da die falsche Zuordnung der Umsatzsteuer-Vorauszahlungen in der Regel durch den Stpfl. erfolgt, ist der Fehler für das Finanzamt aus der eingereichten Erklärung/Gewinnermittlung – ohne konkrete Prüfung und Sichtung des Erhebungskontos – nicht eindeutig zu erkennen. Es kann nicht von einem einfachen oder offenbaren Übernahmefehler gesprochen werden.
Das Finanzamt selbst hat auch keinen reinen Flüchtigkeitsfehler begangen. Ein solcher wäre laut Rechtsprechung nur dann gegeben, wenn das Finanzamt aus der gleichzeitig eingereichten Umsatzsteuererklärung sieht, dass Umsatzsteuer-Vorauszahlungen vorhanden und in der Erklärung/Gewinnermittlung keinerlei solche Beträge enthalten sind (, BStBl 2014 II S. 439).
Ein Rechtsanwendungsfehler (bewusster Nichtansatz wegen Nicht- oder Falschanwendung des § 11 Abs. 2 Satz 2 EStG) kann weder auf Ebene des Finanzamts noch auf Ebene des Steuerpflichtigen ausgeschlossen werden und verhindert eine Berichtigung nach § 129 AO.
OFD Nordrhein-Westfalen v. - Kurzinfo Verfahrensrecht 3/2015
Fundstelle(n):
OAAAE-90678