BFH Urteil v. - VIII R 13/12 BStBl 2015 II S. 523

Rückstellung einer Ärzte-GbR für Honorarrückforderungen aufgrund Überschreitung der Richtgrößen für ärztliche Verordnungen

Leitsatz

Überschreiten Ärzte in ihrer Verordnungspraxis die dafür bestehenden Richtgrößenvolumen um mehr als 25 %, so sind sie schon aufgrund des sich aus § 106 Abs. 5a SGB V ergebenden Rechts der Krankenkassen auf Erstattung des sich daraus ergebenden Honorarmehraufwands bei Annahme fehlender Rechtfertigungsgründe für die Überschreitung berechtigt, eine Rückstellung für diese Erstattungsforderungen zu bilden.

Gesetze: EStG § 4 Abs. 1; EStG § 4 Abs. 3; EStG § 5; HGB § 249 Abs. 1 Satz 1; HGB § 252 Abs. 1 Nr. 4; SGB V SGB V § 106 Abs. 5a;

Instanzenzug: (EFG 2012, 1330),

Tatbestand

1 I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts mit zwei Gesellschaftern, betrieb seit dem eine ... Gemeinschaftspraxis. Sie ermittelte ihren Gewinn zunächst nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG), danach ab dem durch Bestandsvergleich. Zum 30. Juni des Streitjahres (2003) wurde sie aufgelöst.

2 Die Klägerin wendet sich gegen die Nichtanerkennung einer Rückstellung für (ungewisse) Rückzahlungen an die Kassenärztliche Vereinigung ... (KÄV) wegen Überschreitung der Richtgrößen zu Verordnungskosten für Arznei-, Verband- und Heilmittel.

3 In ihrem Jahresabschluss zum wies die Klägerin eine —sukzessive in zwei Jahren gebildete— Rückstellung in Höhe von 120.000 € für Regressrisiken aus. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) folgte dem zunächst; der entsprechende Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für 2002 wurde bestandskräftig.

4 In ihrem am erstellten und der Feststellungserklärung (vom ) beigefügten Abschluss für das wegen der Auflösung zum endende Rumpfwirtschaftsjahr erhöhte die Klägerin die Rückstellungsposition nochmals gewinnmindernd um 15.000 € auf 135.000 €.

5 Das FA bat die Klägerin, die Bildung der Rückstellungen für Regressrisiken zu erläutern. In den daraufhin übersandten Unterlagen erkannte das FA keinen ausreichenden Nachweis für das Bestehen von ungewissen Verbindlichkeiten zum Ende der Gesellschaft. Es löste deshalb die Rückstellungen zum mit einer Gewinnauswirkung von 135.000 € für das Streitjahr auf und stellte die Einkünfte der Klägerin aus selbständiger Arbeit für 2003 dementsprechend mit 170.617 € fest.

6 Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.

7 In seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2012, 1330 veröffentlichten Urteil vom 1 K 32/10 (5) führte das Finanzgericht (FG) im Wesentlichen aus:

8 Im Jahr 2003 seien keine Umstände eingetreten, durch die eine Zahlungsverpflichtung konkretisiert worden wäre oder die die Wahrscheinlichkeit einer Inanspruchnahme erhöht hätten.

9 So seien die Schreiben der KÄV an die Klägerin über die „Information über Ihre Verordnungsweise nach Durchschnittswerten” wie auch eine „Frühinformation über die Arzneimittelausgaben” und die „Prüfung Ihrer Abrechnung” im dritten Quartal 2002 reine Informationsschreiben gewesen. Auch im Übrigen hätten die Schreiben der KÄV keine Rückzahlungen gefordert. Dies gelte sowohl für die Mitteilung von Überschreitungsbeträgen und den Appell, das Verordnungsverhalten kritisch zu hinterfragen, als auch für die Einleitung von Verfahren auf Überprüfung der Wirtschaftlichkeit der Verordnungsweise nach Durchschnittswerten.

10 Zudem sei eine Inanspruchnahme der Klägerin nicht überwiegend wahrscheinlich gewesen. Das Schreiben der Geschäftsstelle des Prüfausschusses betreffend „Antrag auf Überprüfung der Wirtschaftlichkeit der Verordnungsweise nach Durchschnittswerten gemäß § 9 Abs. 3 der Prüfvereinbarung” für das vierte Quartal 2001 vom berechtige nicht zur Rückstellungsbildung. Es stelle lediglich einen ersten Schritt in einem mehrstufigen Verfahren dar, das zu einem Beschluss des Prüfungsausschusses über die Festsetzung eines Regresses führen könne, aber nicht müsse. Aus dem Schreiben folge lediglich, dass sich Auffälligkeiten bei der Klägerin ergeben hätten. Ihm sei jedoch kein Anhaltspunkt für die Höhe eines etwaigen Regresses zu entnehmen. Dies gelte auch für gleich geartete nachfolgende Schreiben zu anderen Zeiträumen.

11 Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts. Das FG habe § 249 Abs. 1 Satz 1 des Handelsgesetzbuchs (HGB) i.V.m. § 106 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch in der im Streitjahr anzuwendenden Fassung (SGB V) fehlerhaft ausgelegt.

12 Die Klägerin beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil der Vorinstanz aufzuheben und abweichend von dem Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Einkünften für 2003 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten zum in Höhe von 135.000 € anzuerkennen und den Gewinn mit 38.722,35 € festzustellen.

13 Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

14 Die im Streitfall von der Klägerin erwartete Honorarrückerstattungsforderung ergebe sich nicht allein aus der Vorschrift des § 106 Abs. 5a SGB V, wonach bei einer Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 % der Vertragsarzt nach Feststellung durch den Prüfungsausschuss den sich aus der Überschreitung des Prüfungsvolumens ergebenden Mehraufwand an die Krankenkassen zu erstatten habe, soweit dieser nicht durch Besonderheiten begründet sei.

15 Zu berücksichtigen sei nämlich, dass

  • der Prüfungsausschuss vor seinen Entscheidungen und Festsetzungen auf eine entsprechende Vereinbarung mit dem Vertragsarzt hinwirken solle,

  • nach § 106 Abs. 5 SGB V der Prüfungsausschuss entscheide, ob der Vertragsarzt gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen habe und welche Maßnahmen zu treffen seien; dabei sollten gezielte Beratungen weiteren Maßnahmen in der Regel vorangehen,

  • nach § 106 Abs. 3 SGB V der Prüfungszeitraum mindestens ein Jahr betrage und

  • ein Verfahren zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit vereinbart werde, ferner,

  • dass nach dieser Prüfvereinbarung die KÄV, die Krankenkassen und die Verbände die Abrechnungsunterlagen eines jeden Arztes erhalten und die zu prüfenden Fälle auswählen mit dem Ziel, einen Prüfungsauftrag unter Berücksichtigung bekannter Besonderheiten zu stellen (§ 8 der Prüfvereinbarung),

  • dass nach § 7 der Prüfvereinbarung die KÄV, die Krankenkassen und die Verbände anschließend einen Antrag auf Prüfung der Wirtschaftlichkeit gegenüber dem Prüfungsausschuss stellen, wobei diese Antragstellung dem betreffenden Arzt mitzuteilen sei, um eine Stellungnahme zu ermöglichen,

  • dass nach § 12 der Prüfvereinbarung der Prüfungsausschuss aufgrund eines vorliegenden Prüfungsantrags den Sachverhalt ermittle und eine Verhandlung terminiere, zu der auch der betroffene Arzt geladen werde, dessen persönliche Anhörung möglich sei.

23 Sodann (erst) entscheide der Prüfungsausschuss abschließend.

Gründe

24 II. Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

25 Zu Unrecht hat das FG das Recht der Klägerin auf Bildung und Beibehaltung einer Rückstellung für die Rückforderung von Honorarzahlungen durch die KÄV verneint und deshalb die Auflösung der Rückstellung durch das FA wie auch dessen Ablehnung einer weiteren Zuführung von 15.000 € zu dieser Rückstellung im Streitjahr bestätigt.

26 Der Senat kann indessen nicht abschließend entscheiden, sondern muss die Sache an die Vorinstanz zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen, weil bislang aufgrund der abweichenden Rechtsauffassung des FG hinreichende tatsächliche Feststellungen für die Beurteilung fehlen, ob die gebildete Rückstellung der Höhe nach rechtmäßig ist.

27 1. Nach ständiger Rechtsprechung ist eine zu Unrecht gebildete Rückstellung rückwirkend in der Schlussbilanz des ersten Jahres, dessen Veranlagung noch geändert werden kann, aufzulösen (, BFH/NV 1990, 630; Beschluss des Großen Senats des , BFHE 240, 162, BStBl II 2013, 317).

28 Ist die Rückstellung hingegen zu Recht gebildet worden und bestehen die Risiken, für die die Rückstellung gebildet worden ist, fort, so sind sie selbst in einer Auflösungsbilanz (Schlussbilanz) in einem Folgejahr weiter zu berücksichtigen. Denn auch in dieser Bilanz —hier zum 30. Juni des Streitjahres— sind alle am jeweiligen Bilanzstichtag vorhersehbaren Risiken und Verluste zu berücksichtigen, die bis zum Abschluss der Auflösung der Gesellschaft —oder bis zu dem an seine Stelle tretenden Zeitpunkt— noch entstehen werden (§§ 4 Abs. 1, 5 EStG, § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB; , BFHE 172, 407, BStBl II 1994, 162). Danach sind auch Sachverhalte zu berücksichtigen, die die Gesellschaft am Bilanzstichtag zur Bildung einer Rückstellung verpflichten würden (, BFHE 174, 324, BStBl II 1994, 648), oder für die die Gesellschaft —wie im Streitfall— bereits für die Vergangenheit (rechtmäßig) eine Rückstellung gebildet hat.

29 2. Die Voraussetzungen für die Bildung und Beibehaltung einer Rückstellung wegen erwartbarer Honorarrückforderungen lagen im Streitfall entgegen der Auffassung des FG vor.

30 a) Nach § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB sind in der Handelsbilanz für ungewisse Verbindlichkeiten Rückstellungen zu bilden. Da diese Verpflichtung zu den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung gehört, gilt sie auch für die Steuerbilanz (§ 5 Abs. 1 Satz 1 EStG; vgl. , BFHE 199, 561, BStBl II 2003, 131) und unter Beachtung des allgemeinen Gleichheitssatzes auch für bilanzierende Freiberufler wie im Falle der Klägerin (, BFHE 185, 160, BStBl II 1998, 375; vom IV R 7/11, BFHE 243, 256, BStBl II 2014, 302, jeweils m.w.N.).

31 b) Voraussetzung für die Bildung und Beibehaltung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten ist das Bestehen einer nur ihrer Höhe nach ungewissen Verbindlichkeit oder die hinreichende Wahrscheinlichkeit des künftigen Entstehens einer Verbindlichkeit dem Grunde nach —deren Höhe zudem ungewiss sein kann— sowie ihre wirtschaftliche Verursachung in der Zeit vor dem Bilanzstichtag. Diese Voraussetzungen sind im Einzelfall auf der Grundlage objektiver, am Bilanzstichtag vorliegender Tatsachen aus der Sicht eines sorgfältigen und gewissenhaften Kaufmanns zu beurteilen (, BFHE 197, 530, BStBl II 2002, 688).

32 Dieser muss darüber hinaus ernsthaft mit seiner Inanspruchnahme rechnen (vgl. , BFHE 172, 456, BStBl II 1993, 891, m.w.N.). Für die Passivierung rechtlich noch nicht bestehender Verbindlichkeiten ist des Weiteren ein wirtschaftlicher Bezug der möglicherweise entstehenden Verbindlichkeit zum Zeitraum vor dem jeweiligen Bilanzstichtag erforderlich (vgl. , BFHE 196, 216, BStBl II 2003, 121; vom I R 71/00, BFHE 198, 420, BStBl II 2003, 279; vom I R 110/04, BFHE 212, 83, BStBl II 2007, 251; vom IV R 85/05, BFHE 220, 117, BStBl II 2008, 516; vom I R 103/08, BFHE 228, 91, BStBl II 2010, 614).

33 Zudem darf es sich bei den Aufwendungen nicht um (nachträgliche) Herstellungs- oder Anschaffungskosten eines Wirtschaftsguts handeln (BFH-Urteile in BFHE 243, 256, BStBl II 2014, 302; vom XI R 64/04, BFHE 211, 475, BStBl II 2006, 371, m.w.N.; in BFHE 199, 561, BStBl II 2003, 131).

34 Des Weiteren setzt das Bestehen einer Verbindlichkeit den Anspruch eines Dritten im Sinne einer Außenverpflichtung voraus, die erzwingbar ist (, BFHE 193, 399, BStBl II 2001, 570, und vom IV R 62/05, BFHE 220, 85, BStBl II 2008, 557). Außenverpflichtung i.S. des § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB meint grundsätzlich eine Schuld gegenüber einer dritten Person. Der Dritte als Gläubiger muss das Recht haben, vom Steuerpflichtigen ein bestimmtes Tun oder Unterlassen verlangen zu können (Hoffmann/Lüdenbach, Neue Wirtschafts-Briefe Kommentar Bilanzierung, 5. Aufl., § 249 Rz 10). Ausreichend ist allerdings auch ein faktischer Leistungszwang, dem sich der Steuerpflichtige aus sittlichen, tatsächlichen oder wirtschaftlichen Gründen nicht entziehen kann, obwohl keine Rechtspflicht zur Leistung besteht (u.a. , BFHE 194, 57, BStBl II 2002, 655, und vom I R 53/05, BFH/NV 2007, 1102; vom IV R 26/11, BFHE 246, 160, BStBl II 2014, 886).

35 c) Diese Voraussetzungen gelten auch für Verpflichtungen aus öffentlichem Recht, die auf ein bestimmtes Handeln in Form einer Geldzahlung oder eines anderen Leistungsinhalts gerichtet sind, sofern diese öffentlich-rechtliche Verpflichtung bereits konkretisiert, d.h. inhaltlich hinreichend bestimmt, in zeitlicher Nähe zum Bilanzstichtag zu erfüllen sowie sanktionsbewehrt ist (ständige Rechtsprechung, z.B. , BFHE 235, 241, BStBl II 2012, 122, m.w.N.; vom I R 8/12, BFHE 240, 252, BStBl II 2013, 686; in BFHE 243, 256, BStBl II 2014, 302; vom I R 62/11, BFHE 240, 314, BStBl II 2013, 954).

36 Konkretisiert wird eine solche öffentlich-rechtliche Pflicht regelmäßig durch einen gesetzeskonkretisierenden Rechtsakt (Verwaltungsakt, Verfügung oder Abschluss einer entsprechenden verwaltungsrechtlichen Vereinbarung: vgl. , BFHE 206, 25, BStBl II 2006, 644; in BFHE 243, 256, BStBl II 2014, 302).

37 Auch eine Pflicht, die sich allein aus gesetzlichen Bestimmungen ergibt, kann eine Rückstellung rechtfertigen; dies setzt allerdings einen entsprechend konkreten Gesetzesbefehl voraus (BFH-Urteile in BFHE 193, 399, BStBl II 2001, 570; in BFHE 199, 561, BStBl II 2003, 131).

38 Die hier zur Rede stehenden Rückforderungsansprüche der KÄV gegenüber Ärzten wegen unwirtschaftlicher Verordnungsweise in der vertragsärztlichen Versorgung sind öffentlich-rechtlicher Natur und deshalb an diesen Maßstäben zu messen.

39 d) Auf der Grundlage dieser Maßstäbe hat das FG zu Unrecht die Voraussetzungen einer Rückstellungsbildung im Streitfall als nicht erfüllt angesehen.

40 aa) Nach der Rechtsprechung des BFH ist das Bestehen oder Entstehen einer Verbindlichkeit schon dann wahrscheinlich, wenn nach den am Bilanzstichtag objektiv gegebenen und bis zur Aufstellung der Bilanz objektiv erkennbaren Verhältnissen mehr Gründe für als gegen ihr Bestehen sprechen; eine Verbindlichkeit muss bereits eine wirtschaftliche Belastung darstellen (BFH-Urteil in BFHE 211, 475, BStBl II 2006, 371, m.w.N.).

41 bb) Im Streitfall bestand zum maßgeblichen Zeitpunkt des Bilanzstichtags eine hinreichend konkretisierte Verbindlichkeit (Pflicht zur Honorarrückzahlung an die KÄV), weil

  • zum einen durch § 106 Abs. 5a SGB V bei einer Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 % nach Feststellung durch den Prüfungsausschuss eine Rückforderung in Höhe des Mehraufwandes der Krankenkasse gesetzlich vorgegeben war und

  • die Kenntnis des Forderungsinhabers gegeben sowie die Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme der Klägerin aufgrund der Mitteilungen und Schreiben der KÄV hinreichend konkretisiert waren.

44 Die Klägerin musste aufgrund der vorgegebenen Richtgrößen der KÄV für die Arzneimittelverschreibung von einer erheblichen Überschreitung der Vorgaben in den vier Quartalen des Jahres 2002 (gerundet um 216 %, 198 %, 169 % und 195 %) ausgehen und durfte aus der maßgeblichen Sicht eines vorsichtigen Kaufmanns (BFH-Urteil in BFHE 197, 530, BStBl II 2002, 688) —in der ersichtlichen Annahme fehlender Rechtfertigungsgründe für die Überschreitung— mit der Einleitung eines Prüfverfahrens wegen Überschreitung der Richtgrößen um mehr als 25 % sowie mit einer Erstattungspflicht nach § 106 Abs. 5a Satz 4 SGB V rechnen. Dem steht nicht entgegen, dass einer Inanspruchnahme der Klägerin ein strukturiertes Verfahren vorgeschaltet war, nach dem der Prüfungsausschuss

  • vor seinen Entscheidungen und Festsetzungen auf eine entsprechende Vereinbarung mit dem Vertragsarzt hinwirken sollte,

  • nach § 106 Abs. 5 SGB V den Verstoß des Vertragsarztes gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot festzustellen hatte,

  • dem betreffenden Arzt Gelegenheit zur Stellungnahme und Anhörung zu gewähren hatte.

48 Das Überschreiten der Richtgrößen um mehr als 25 % hatte die Wirkung eines Anscheinsbeweises für die Unwirtschaftlichkeit der Verordnungsweise, gegenüber dem sich die Klägerin entlasten musste. Dies genügt angesichts des eingeleiteten Prüfverfahrens, um eine Rückzahlungsverpflichtung der Klägerin zum 30. Juni des Streitjahres als hinreichend wahrscheinlich anzusehen.

49 3. Da die Vorentscheidung auf einer abweichenden Rechtsauffassung beruht, ist sie aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Da das FG auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung keine tatsächlichen Feststellungen zur Bemessung der —nach den Ausführungen unter II.1. und 2. zu bildenden— Rückstellung getroffen hat, sind diese Feststellungen im zweiten Rechtsgang nachzuholen.

50 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.

Fundstelle(n):
BStBl 2015 II Seite 523
BB 2015 S. 1329 Nr. 22
BB 2016 S. 45 Nr. 1
BBK-Kurznachricht Nr. 11/2015 S. 490
BFH/NV 2015 S. 882 Nr. 6
BFH/PR 2015 S. 224 Nr. 7
BStBl II 2015 S. 523 Nr. 10
DB 2015 S. 1075 Nr. 19
DB 2015 S. 12 Nr. 19
DB 2015 S. 6 Nr. 19
DStR 2015 S. 986 Nr. 19
DStRE 2015 S. 696 Nr. 11
EStB 2015 S. 189 Nr. 6
GStB 2015 S. 270 Nr. 8
GStB 2015 S. 30 Nr. 8
HFR 2015 S. 846 Nr. 9
KSR direkt 2015 S. 3 Nr. 6
KÖSDI 2015 S. 19343 Nr. 6
NWB-Eilnachricht Nr. 20/2015 S. 1442
StB 2015 S. 176 Nr. 6
StBW 2015 S. 562 Nr. 15
StBW 2015 S. 570 Nr. 15
StuB-Bilanzreport Nr. 10/2015 S. 392
Ubg 2015 S. 373 Nr. 6
WPg 2015 S. 560 Nr. 12
WPg 2015 S. 604 Nr. 12
EAAAE-89764