Keine Verrechnung von Werbungskostenüberschüssen aus Optionsgeschäften mit positiven Einkünften aus anderen Einkunftsarten
Leitsatz
Verluste aus Stillhaltergeschäften i.S. des § 22 Nr. 3 EStG können nicht mit positiven Einkünften aus anderen Einkunftsarten verrechnet werden. Gegen die Beschränkung des Verlustausgleichs gemäß § 22 Nr. 3 Sätze 3, 4 EStG bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
Gesetze: EStG § 22 Nr. 3 Satz 3, EStG § 22 Nr. 3 Satz 4, GG Art. 3 Abs. 1, GG Art. 14
Instanzenzug: ,
Tatbestand
1 I. Streitig ist, ob Verluste aus Stillhaltergeschäften im Streitjahr 2002 steuerlich zu berücksichtigen sind, insbesondere, ob der eingeschränkte Verlustausgleich nach § 22 Nr. 3 Satz 3 und 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der für das Streitjahr 2002 maßgeblichen Fassung verfassungsgemäß ist.
2 Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) machte für das Streitjahr einen Verlust aus Geschäften mit Stillhalteroptionen als sonstige Einkünfte aus Leistungen nach § 22 Nr. 3 EStG geltend. Er hatte als Stillhalter Prämien für die Einräumung von Optionen vereinnahmt und Aufwendungen für Glattstellungsgeschäfte geleistet. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) setzte die sonstigen Einkünfte im geänderten Einkommensteuerbescheid vom mit -3.580.157 € an und verrechnete sie gemäß § 22 Nr. 3 Satz 3 und 4 EStG nicht mit positiven Einkünften aus anderen Einkunftsarten, sondern berücksichtigte sie als vortragsfähigen Verlust in einem entsprechenden Bescheid zum über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer. Der Einspruch hatte keinen Erfolg, da das FA § 22 Nr. 3 Satz 3 und 4 EStG für verfassungsgemäß erachtete. Dem folgte auch das Finanzgericht (FG) und wies die Klage des Klägers ab. Soweit die Werbungskosten die Einnahmen des Klägers aus Optionsgeschäften als Stillhalter überstiegen, habe das FA die steuerliche Berücksichtigung dieser Verluste durch Verrechnung mit positiven Einkünften aus anderen Einkunftsarten zu Recht versagt. § 22 Nr. 3 Satz 3 EStG schließe den vertikalen Verlustausgleich in verfassungsgemäßer Weise aus. Insbesondere sei § 22 Nr. 3 EStG tatbestandlich bestimmt. Die Beschränkung des Verlustausgleichs sei auch für den Fall verfassungsgemäß, dass die Verluste aus Geschäften nach § 22 Nr. 3 EStG die positiven Einkünfte aus anderen Einkunftsarten überstiegen und deshalb eine Steuerzahlung nicht aus den (laufenden) Einnahmen möglich sei. Insbesondere verstoße § 22 Nr. 3 Satz 3 und 4 EStG nicht gegen Art 3. Abs. 1 des Grundgesetzes (GG). Indem das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) den völligen Ausschluss der Verlustverrechnung durch § 22 Nr. 3 Satz 3 EStG a.F. als Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG qualifiziert habe (, BVerfGE 99, 88), habe es lediglich den Ausschluss des periodenübergreifenden Verlustabzugs innerhalb der Einkünfte aus Leistungen beanstandet, nicht aber das Verbot der Verlustverrechnung mit anderen Einkünften. Es habe nämlich den Unschärfebereich des Tatbestands des § 22 Nr. 3 Satz 1 EStG gesehen und dem Gesetzgeber die Befugnis zuerkannt, diese Unschärfen durch Begrenzung der Verlustverrechnung auszugleichen und dadurch die nicht auf Überschüsse angelegten Tätigkeiten auszugrenzen. Die Unschärfe im Tatbestand des § 22 Nr. 3 EStG stelle einen hinreichenden Rechtfertigungsgrund dar, um den Steuerpflichtigen, der Einkünfte aus § 22 Nr. 3 EStG erziele, bei Verlusten auf die Möglichkeit einer periodenübergreifenden Verlustverrechnung innerhalb derselben Einkunftsart zu verweisen und ihm einen vertikalen Verlustausgleich zu verweigern. Der Gesetzgeber habe diesen eingeschränkten Verlustausgleich durch die ergänzende Regelung des § 22 Nr. 3 Satz 4 EStG (i.d.F. durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 vom , BGBl I 1999, 402) eingeführt. Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG sei darin nicht zu sehen. Auch das objektive Nettoprinzip als Ausprägung des Leistungsfähigkeitsprinzips werde durch § 22 Nr. 3 Satz 3 und 4 EStG nicht verletzt. Insoweit genüge es, wenn der Verlustausgleich nicht vollständig ausgeschlossen, sondern zeitlich gestreckt werde und Verluste gegebenenfalls erst in einem anderen Veranlagungszeitraum steuerlich berücksichtigt würden. Dem werde § 22 Nr. 3 Satz 3 und 4 EStG ebenso gerecht wie die gleichlautende Regelung des § 23 Abs. 3 Satz 8 und 9 EStG.
3 Auch liege keine verfassungswidrige Besteuerung des Existenzminimums (Art. 1, Art. 20 GG) vor, weil negative Verluste aus den Stillhaltergeschäften einstweilen unberücksichtigt blieben, die höher seien als die positiven Einkünfte aus anderen Einkunftsarten. Das subjektive Nettoprinzip erfordere allenfalls einen notwendigen vertikalen Verlustausgleich zwischen sich in ihren Strukturen entsprechenden Einkunftsarten.
4 Im Übrigen verbliebe dem Kläger trotz fehlendem Verlustausgleich ein zu versteuerndes Einkommen von 1.252.982 € laut maßgeblichem Einkommensteuerbescheid vom .
5 Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers, mit der dieser die Verletzung materiellen Rechts rügt. Das Urteil des FG beruhe auf der Verletzung von Art. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG und Art. 3, Art. 14 GG, soweit der Ausschluss der Verrechnung der Verluste aus sonstigen Leistungen mit den übrigen Einkünften des Steuerpflichtigen gemäß § 22 Nr. 3 Satz 3 EStG im Veranlagungsjahr 2002 dazu führe, dass dem Kläger von seinem im Kalenderjahr 2002 Erworbenen nach Abzug der Einkommensteuer nicht einmal das Existenzminimum verbleibe. Im Veranlagungsjahr 2002 habe der Kläger Stillhalterprämien in Höhe von 3.949.744,04 € eingenommen und dafür im Wege der Glattstellung im gleichen Jahr Prämien in Höhe von 7.513.030,28 € aufwenden müssen. Dem sich daraus ergebenden Verlust von 3.563.286,24 € habe ein positiver Gesamtbetrag der übrigen Einkünfte von 1.276.686 € gegenüber gestanden. Der Kläger habe somit die mit 597.832 € festgesetzte Einkommensteuer aus seinem Vermögen bezahlen müssen.
6 Der Bundesfinanzhof (BFH) rechtfertige in dem Urteil vom IX R 28/05 (BFHE 215, 202, BStBl II 2007, 259) die Verlustausgleichsbeschränkung des § 23 Abs. 3 Satz 8 EStG in der bis geltenden Fassung mit der Steuerfreiheit von Veräußerungsgewinnen nach Ablauf einer Haltefrist von einem Jahr, wodurch dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit eingeräumt werde „durch die Wahl des Veräußerungszeitpunktes über den Eintritt des Steuertatbestandes zu entscheiden”. Die sachliche Rechtfertigung der Verlustausgleichsbeschränkung des § 23 Abs. 3 Satz 8 EStG ergebe sich also aus der Befugnis des Gesetzgebers unerwünschten Steuergestaltungen entgegenzutreten wie z.B. auch bei anderen Einkunftsarten (§§ 2a, 15 Abs. 4, 15a, 15b EStG). Die Norm des § 22 Nr. 3 eröffne dagegen einem Steuerpflichtigen keine Möglichkeit einer „unerwünschten” Gestaltung. Andere sachliche Rechtfertigungsgründe für eine Verlustausgleichsbeschränkung des § 22 Nr. 3 EStG seien nicht ersichtlich.
7 Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des FG aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 2002 dahingehend zu ändern, dass die Einkommensteuer 2002 auf 0 € festgesetzt wird.
8 Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Gründe
9 II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Zutreffend hat das FG die Verrechnung der (negativen) Einkünfte des Klägers aus Leistungen i.S. von § 22 Nr. 3 EStG (Stillhalterprämien abzüglich Prämien für Glattstellungen) mit seinen weiteren Einkünften gemäß § 22 Nr. 3 Sätze 3 und 4 EStG abgelehnt.
10 1. a) Einkünfte aus Leistungen sind nach der ständigen Rechtsprechung des BFH Entgelte, die der Stillhalter als Entschädigung für die Bindung und die Risiken, die er durch das Begeben des Optionsrechts eingeht, unabhängig vom Zustandekommen des Basisgeschäfts allein für das Stillhalten erhält (ständige Rechtsprechung, zuletzt , BFH/NV 2014, 1025 Rz 19 ff., m.w.N.).
11 Der BFH trennt zwischen Eröffnungs-, Basis- und Gegengeschäft. Deshalb bilden das die Prämie auslösende Begeben einer Option und das nachfolgende Geschäft (z.B. Glattstellung) kein einheitliches Termingeschäft. Der Optionsgeber erhält die Prämie als Gegenleistung für eine wirtschaftlich und rechtlich selbständige Leistung, nämlich für eine vertraglich eingegangene Bindung und das damit verbundene Risiko, in Anspruch genommen zu werden. Er behält sie auch dann, wenn er aus der Option nicht in Anspruch genommen wird und ein Basisgeschäft nicht durchführen muss.
12 Wenngleich jedoch das Glattstellungsgeschäft vom Eröffnungsgeschäft zu trennen ist, zahlt der Steuerpflichtige die Prämien im Rahmen einer Glattstellung aber vor allem, um damit seine Einnahmen aus dem Stillhaltergeschäft zu sichern. Das auslösende Moment für die Ausgaben ist dem steuerbaren Bereich zuzuordnen, weil der Steuerpflichtige das Risiko, das er als Stillhalter eingegangen ist und das darin liegt, Vermögenseinbußen durch ein Ausführungsgeschäft zu erleiden, durch ein Glattstellungsgeschäft vermindern will. Deshalb handelt es sich bei den in einem Glattstellungsgeschäft gezahlten Prämien um Erwerbsaufwendungen bei den Einkünften des § 22 Nr. 3 EStG.
13 b) Nach diesen Grundsätzen ist das FG zutreffend von negativen Einkünften des Klägers aus § 22 Nr. 3 EStG ausgegangen.
14 2. a) Das FG hat auch zutreffend eine Verrechnung des insgesamt aus Stillhaltergeschäften i.S. des § 22 Nr. 3 EStG erzielten Verlusts mit den anderen positiven Einkünften wegen der Verlustausgleichsbeschränkung des § 22 Nr. 3 Satz 3 EStG abgelehnt.
15 b) Gegen diese Verlustausgleichsbeschränkung bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2014, 1025 ff. zu 32 ff., m.w.N.).
16 aa) Der Senat hat schon in seinem Urteil vom IX R 35/01 (BFHE 206, 273, BStBl II 2005, 26) die systematische und strukturelle Verknüpfung der Verlustausgleichsbeschränkungen in § 22 Nr. 3 Satz 3 EStG und in § 23 Abs. 3 Satz 8 EStG hervorgehoben. Überdies ist der Gesetzgeber nach dem Beschluss des BVerfG in BVerfGE 99, 88 (unter B.II.4.d) befugt, die Unschärfe des § 22 Nr. 3 EStG typisierend —wie de lege lata geschehen— durch eine Begrenzung der Verlustverrechnung auszugleichen (so auch die BFH-Urteile in BFHE 206, 273, BStBl II 2005, 26, unter II.2.b, und vom IX R 42/05, BFHE 219, 81, BStBl II 2008, 26).
17 Dem objektiven Nettoprinzip ist —unabhängig von der Frage seiner verfassungsrechtlichen Verankerung— dadurch hinreichend Rechnung getragen, dass negative Einkünfte gemäß § 22 Nr. 3 EStG überhaupt verrechnet werden können (vgl. auch BFH-Urteile in BFHE 215, 202, BStBl II 2007, 259; vom IX R 45/04, BFH/NV 2007, 1473), wenn auch beschränkt auf diese Einkunftsart.
18 bb) Der Senat hält an seiner in den Urteilen in BFHE 219, 81, BStBl II 2008, 26 und in BFH/NV 2014, 1025 ff. zum Ausdruck gekommenen Rechtsprechung fest (zur Bedeutung der Rechtskontinuität vgl. , BFH/NV 2002, 1575; Beschluss des Großen Senats des , BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751; , BFHE 236, 557, BStBl II 2012, 454).
19 cc) Der Einwand des Klägers, § 22 Nr. 3 Sätze 3, 4 EStG lasse unter Verstoß gegen das subjektive Nettoprinzip echte —mit dem Entzug von Liquidität verbundene— negative Einkünfte einstweilen unberücksichtigt, die höher seien als die positiven Einkünfte aus anderen Einkunftsarten, vermag unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 Abs. 1 GG allenfalls die Notwendigkeit eines uneingeschränkten vertikalen Verlustausgleichs zwischen sich in ihrer Struktur entsprechenden Einkunftsarten zu begründen (vgl. BFH-Urteil in BFHE 215, 202, BStBl II 2007, 259 zu § 23 Nr. 3 Satz 8 EStG, sowie BFH-Beschlüsse vom XI B 76/02, BFHE 202, 147, BStBl II 2003, 523, und XI B 7/02, BFHE 202, 141, BStBl II 2003, 516, zur Mindestbesteuerung nach § 2 Abs. 3 EStG in der bis geltenden Fassung; Lang/Englisch, Steuer und Wirtschaft 2005, 3; Karrenbrock, Der Betrieb 2004, 559; Kohlhaas, Deutsches Steuerrecht —DStR— 2002, 1250; Korezkij, DStR 2005, 1111; Offerhaus, Brennpunkte des Steuerrechts, Festschrift für Wolfgang Jakob, 2001, 187). Hieraus ergibt sich aber nicht die Notwendigkeit einer Gleichbehandlung mit Verlusten aus Leistungen nach § 22 Nr. 3 EStG, weil deren Besonderheiten —wie ausgeführt— nach Maßgabe des Art. 3 Abs. 1 GG eine von den anderen Einkunftsarten abweichende Sonderregelung für den Verlustausgleich rechtfertigen. Soweit sich der Kläger auf das subjektive Nettoprinzip beruft, wäre dem im Billigkeitswege Rechnung zu tragen. So hat das BVerfG eine Verfassungspflicht zum Billigkeitserlass festgestellt, wenn die Anwendung eines nicht zu beanstandenden Gesetzes in Einzelfällen zu einem „ungewollten Überhang” führt (vgl. z.B. BVerfG-Beschlüsse vom 1 BvR 117/73, BVerfGE 48, 102, BStBl II 1978, 441, dort unter C.II.3.; vom 2 BvR 1852/97, 2 BvR 1853/97, BVerfGE 99, 273, BStBl II 1999, 194). Die Erhebung einer durch das Zusammenwirken verschiedener Regelungen entstandenen Einkommensteuerschuld, der in Wirklichkeit keinerlei Zuwachs an Leistungskraft zugrunde liegt, verstößt gegen das für das gesamte Steuerrecht geltende Übermaßverbot und gegen das besonders das Einkommensteuerrecht beherrschende Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 1 BvL 10/80, BVerfGE 66, 214, BStBl II 1984, 357, dort unter C.I.2., und vom 2 BvL 5/91, 8/91 und 14/91, BVerfGE 87, 153, BStBl II 1993, 413; , BFHE 176, 3, BStBl II 1995, 297). Dem ist durch einen in diesem Verfahren nicht gegenständlichen und daher nicht zu entscheidenden Billigkeitserlass zu begegnen.
20 dd) Der Kläger rügt auch zu Unrecht die Verfassungswidrigkeit des § 22 Nr. 3 Sätze 3, 4 EStG in Bezug auf Art. 14 GG. Eine Beeinträchtigung seines Eigentums durch diese Regelung ist weder von ihm schlüssig vorgebracht noch sonst ersichtlich.
21 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2015 S. 830 Nr. 6
OAAAE-89042