BFH Urteil v. - I R 33/13

Voraussetzung für die Anlaufhemmung der Festsetzungsfrist gegenüber einem Haftungsschuldner

Leitsatz

1. Die Festsetzungsfrist für eine Haftung eines sog. Entrichtungsschuldners beginnt, wenn der haftungsbegründende Pflichtenverstoß darin begründet ist, dass eine Steueranmeldung (Entrichtungssteuer) nicht abgegeben wurde, mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steueranmeldung eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahrs, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist.
2. Auch bei einer Abzugsteuer steht eine Steuerfestsetzung unter Schätzung der Besteuerungsgrundlagen der Abgabe einer die Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO beendenden Steueranmeldung nicht gleich.

Gesetze: AO § 69, AO § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, AO § 191 Abs. 3 Satz 1, EStG § 44 Abs. 1 Satz 2

Instanzenzug: ,

Gründe

1 I. Streitig ist, ob ein Haftungsbescheid (Haftung für Kapitalertragsteuer) rechtmäßig ist.

2 Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war sowohl alleiniger Geschäftsführer der . (B-GmbH), die mit dem An- und Verkauf und der Verwaltung von Grundstücken und Immobilien befasst war, als auch Geschäftsführer und Alleingesellschafter ihrer Gesellschafterin, der . (C-GmbH). Umsätze erzielte die B-GmbH seit Ende 2000 nicht mehr; im Dezember 2002 wurde im Handelsregister des Amtsgerichts (AG) . ihre Auflösung und die Bestellung des Klägers zum Liquidator eingetragen.

3 Am beschloss die Gesellschafterversammlung der B-GmbH, an die C-GmbH am selben Tag einen Gewinn für das Kalenderjahr 2000 in Höhe von 1.754.578 DM auszuschütten. Der Kläger stellte der beim Finanzamt für Körperschaften in . (FA Kö) steuerlich geführten C-GmbH eine Bescheinigung über anrechenbare Körperschaftsteuer (751.962 DM) und Kapitalertragsteuer (438.644,50 DM) und Solidaritätszuschlag (24.125,44 DM) aus. Eine Anmeldung und Abführung der Abzugsteuer unterblieb. Durch weitere Vereinbarung vom trat die C-GmbH der B-GmbH den Gesamtbetrag der anrechenbaren Körperschaftsteuer und Abzugsteuern ab, was die C-GmbH dem FA Kö im August 2002 anzeigte. Am beschloss die Gesellschafterversammlung der C-GmbH die Auflösung der Gesellschaft; zum Liquidator wurde der Kläger bestellt.

4 Am . Mai 2003 stellte der Kläger für die B-GmbH beim AG . einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, woraufhin das Gericht im August 2003 ein vorläufiges Aufrechnungsverbot für die Gläubiger erließ. Am wurde Rechtsanwalt X als vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt.

5 Am setzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt . —FA—) aufgrund einer vom FA Kö übersandten Kontrollmitteilung über eine Ausschüttung für den Zeitraum September 2001 Kapitalertragsteuer (224.275,37 €) gegenüber der B-GmbH fest. Einspruch und Klage blieben erfolglos.

6 Das FA Kö erließ am einen Abrechnungsbescheid gegenüber der C-GmbH, mit dem es feststellte, dass das Guthaben aus Körperschaftsteuer 2001 in Höhe von 608.747,69 € zuzüglich Solidaritätszuschlag zur Kapitalertragsteuer in Höhe von 12.335,43 € (insgesamt 621.083,12 €) wegen Abtretung (an die B-GmbH) und Erfüllung erloschen sei. Den Betrag hatte das FA Kö an das FA überwiesen; dort wurde er zunächst mit anderen, hier nicht streitigen Steuerschulden verbucht, später aber auf Anforderung des FA Kö zurückgezahlt. Den Bescheid vom hob das FA Kö am auf. Den nach Erlass des geänderten Körperschaftsteuerbescheides 2001 vom ergangenen Abrechnungsbescheid vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom hob das FA Kö am auf.

7 Über das Vermögen der B-GmbH wurde am ... März 2005 das Insolvenzverfahren eröffnet und X zum Insolvenzverwalter bestellt.

8 Am erließ das FA Kö gegenüber der C-GmbH einen Änderungsbescheid für 2001 über Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlag (zu versteuerndes Einkommen nach Ansatz eines Verlustrücktrags: 0 €). Unter Berücksichtigung anzurechnender Körperschaftsteuer (415.422 DM) und anzurechnender Kapitalertragsteuer (438.645 DM) ergab sich ein Guthaben von 854.067 DM (436.677,52 €) zuzüglich Solidaritätszuschlag von 12.335,14 €, zusammen 449.012,66 €.

9 Ebenfalls mit Verfügung vom (gerichtet an X) rechnete das FA Kö gegenüber der B-GmbH die Forderung auf Auszahlung des Guthabens aus dem Körperschaftsteuerbescheid vom gegen den Bundesanteil der Steuerschulden der B-GmbH beim FA auf. Es überwies den gesamten Betrag (449.012,66 €) an das FA.

10 Am forderte das FA Kö vom FA von dem überwiesenen Betrag 218.338,76 € zurück, weil nur der Bundesanteil an der Körperschaftsteuer (218.338,76 €) und der Solidaritätszuschlag von 12.335,14 € (insgesamt 230.673,90 €) hätten überwiesen werden dürfen. Der Differenzbetrag zu 449.012,66 € (218.338,76 €) sei deshalb vom FA zu erstatten. Das FA Kö leitete den Betrag an X als Insolvenzverwalter der B-GmbH weiter.

11 Das FA erließ am gegenüber der C-GmbH einen auf § 44 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes 1997 (EStG 1997) gestützten Nachforderungsbescheid über 224.275,37 € Kapitalertragsteuer zuzüglich Solidaritätszuschlag. Im Einspruchsverfahren wurde die Nachforderung wegen teilweiser Tilgung auf 112.137,69 € herabgesetzt; eine Klage der C-GmbH wurde später zurückgenommen.

12 Am erließ das FA einen Haftungsbescheid, mit dem es den Kläger als früheren Geschäftsführer der B-GmbH gemäß § 69 der Abgabenordnung (AO) wegen der noch fälligen Kapitalertragsteuer für September 2001 in Höhe von 112.137,69 € in Anspruch nahm (hälftiger Betrag von 224.275,62 €), nachdem Vollstreckungsmaßnahmen gegenüber der B-GmbH wegen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen aussichtslos erschienen. Die dagegen erhobene Klage war erfolgreich (Finanzgericht —FG— Berlin-Brandenburg, Urteil vom 9 K 9282/09).

13 Das FA rügt die Verletzung materiellen Rechts und beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

14 Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

15 II. Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Klageabweisung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Das FG hat rechtsfehlerhaft dahin erkannt, dass der Haftungsbescheid wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist rechtswidrig ist.

16 1. Nach § 191 Abs. 1 i.V.m. § 69 AO kann die Finanzbehörde die in § 34 AO bezeichneten Personen mit Haftungsbescheid in Anspruch nehmen, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht erfüllt wurden. Zu jenen Personen gehören die gesetzlichen Vertreter juristischer Personen (§ 34 Abs. 1 Satz 1 AO).

17 2. Das FG hat im angefochtenen Urteil die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Inanspruchnahme des Klägers zu Recht als erfüllt angesehen: Der Kläger war als Geschäftsführer der ausschüttenden B-GmbH verantwortlich, deren Pflicht zur Einbehaltung, Anmeldung und Abführung der mit der Ausschüttung ausgelösten Kapitalertragsteuer (§ 31 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes 1999 i.V.m. § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [i.V.m. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG 1997], § 44 Abs. 1 Satz 2 und 3, § 45a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 44 Abs. 1 Satz 5 EStG 1997) zu erfüllen. Dem ist er nicht nachgekommen. Der Pflichtenverstoß erfolgte auch jedenfalls grob fahrlässig (§ 69 Satz 1 AO), da er seine Verpflichtung zur Einbehaltung, Anmeldung und Abführung der Kapitalertragsteuer auf der Grundlage seiner langjährigen Tätigkeit als Geschäftsführer hätte kennen müssen. Der Haftung kann der Kläger auch nicht, wie das FG rechtsfehlerfrei entschieden hat, einen etwaigen Schadensausgleich bei der Steuerfestsetzung oder eine Aufrechnung (die tatsächlich nicht stattgefunden hatte) entgegenhalten. Im Übrigen hindert der Umstand, dass eine Anrechnung bei der Ausschüttungsempfängerin (C-GmbH) auch hätte versagt werden dürfen, die Haftung nicht, da eine Anrechnung tatsächlich stattgefunden hat. Darüber hinaus wird die Haftung von der Höhe der konkreten Festsetzung der Steuerschuld (hier: bei der C-GmbH) nicht berührt; sie steht selbständig neben der Steuerschuld (z.B. Senatsurteil vom I R 30/02, BFH/NV 2003, 1301, m.w.N.). Schließlich hat das FG ohne Rechtsfehler entschieden, dass Ermessensfehler bei der Inanspruchnahme des Klägers, soweit sie Gegenstand einer gerichtlichen Prüfung sein können (§ 102 Satz 1 FGO), gerade mit Blick auf die Aussichtslosigkeit eines Realisierungserfolgs bei der B-GmbH nicht ersichtlich sind.

18 3. Das FG hat allerdings —und das ist der Kern des in der Revisionsinstanz geführten Streits— den Haftungsbescheid als rechtswidrig angesehen, weil zum Zeitpunkt seines Erlasses die Festsetzungsfrist abgelaufen sei (§ 191 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 169 Abs. 1 Satz 1 AO). Dem ist nicht beizupflichten.

19 a) Nach § 191 Abs. 3 Satz 1 AO sind die Vorschriften über die Festsetzungsfrist auf den Erlass von Haftungsbescheiden entsprechend anzuwenden. Die Festsetzungsfrist, die im Streitfall vier Jahre beträgt (s. insoweit § 191 Abs. 3 Satz 2 Alternative 1 AO), beginnt mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Tatbestand verwirklicht worden ist, an den das Gesetz die Haftungsfolge knüpft (§ 191 Abs. 3 Satz 3 AO). Ist die Steuer, für die gehaftet wird, noch nicht festgesetzt worden, so endet die Festsetzungsfrist für den Haftungsbescheid nicht vor Ablauf der für die Steuerfestsetzung geltenden Festsetzungsfrist; andernfalls gilt § 171 Abs. 10 AO sinngemäß (§ 191 Abs. 3 Satz 4 AO), und danach endet die Festsetzungsfrist nicht vor Ablauf von zwei Jahren nach Bekanntgabe der Steuerfestsetzung.

20 b) Das FG hat seine Fristberechnung auf § 191 Abs. 3 Satz 3 AO und auf § 191 Abs. 3 Satz 4 Halbsatz 2 AO gestützt, mithin auf eine sinngemäße Anwendung des § 171 Abs. 10 AO. Da die Steuerfestsetzung gegenüber der B-GmbH (Festsetzung der Kapitalertragsteuer) am erfolgte, komme eine nach § 191 Abs. 3 Satz 4 Halbsatz 2 AO berechnete Ablaufhemmung bei einem Fristbeginn zum (Fristbeginn mit dem Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Pflichtverletzung erfolgte) und einer Frist von vier Jahren im Streitfall „im Ergebnis nicht zum Tragen”. Die Frist sei jedenfalls vor dem Tag der Bekanntgabe des Haftungsbescheides (Bescheid vom ) abgelaufen.

21 c) Die Fristberechnung des FG ist rechtsfehlerhaft. Denn sie beruht auf der Nichtanwendung der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), nach der es in der Situation der Haftung eines sog. Entrichtungsschuldners zu einer entsprechenden Anwendung der Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO im Bereich des § 191 Abs. 3 AO kommt. Es besteht kein Anlass, von dieser Rechtsprechung abzurücken.

22 aa) Nach jener Rechtsprechung beginnt die Festsetzungsfrist für eine Haftung eines sog. Entrichtungsschuldners, wenn der haftungsbegründende Pflichtenverstoß darin begründet ist, dass eine Steueranmeldung (Entrichtungssteuer) nicht abgegeben wurde, mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steueranmeldung eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahrs, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist (§ 191 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO; s. , BFHE 180, 365, BStBl II 1996, 608; vom I R 95/99, BFHE 193, 12, BStBl II 2001, 13; s.a. , BFHE 220, 307, BStBl II 2008, 597; BFH-Beschlüsse vom V B 122/02, BFH/NV 2003, 645; vom VII S 1/11, BFH/NV 2011, 2014; s.a. , Entscheidungen der Finanzgerichte 2012, 778). Die Literatur folgt dieser Auffassung überwiegend (z.B. Nacke, Die Haftung für Steuerschulden, 3. Aufl., Rz 689; Halaczinsky, Die Haftung im Steuerrecht, 4. Aufl., Rz 629, 633; Jatzke in Beermann/Gosch, AO § 191 Rz 45; Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 191 AO Rz 70; s.a. Gosch, Deutsches Steuerrecht 2000, 2087).

23 bb) Das FG verweist demgegenüber auf den Wortlaut des § 191 Abs. 3 Satz 3 AO: Indem dort maßgeblich an die (erstmalige) Pflichtverletzung des Haftenden angeknüpft werde, könne die für den Steueranspruch geltende Regelung einer Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO nicht gelten; dies erweise sich in besonderem Maße an dem Fall, dass der Geschäftsführer der Kapitalgesellschaft (Entrichtungssteuerschuldnerin) nach dem ursprünglichen Pflichtenverstoß ausscheide, ihm daher in der folgenden Zeit keine Möglichkeit mehr offenstehe, auf die Abgabe einer Steuererklärung der Kapitalgesellschaft hinzuwirken.

24 cc) Jene vom FG angeführte Sachverhaltskonstellation zeigt allerdings nicht auf, aus welchem Grund die (rechtliche) Möglichkeit, die Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO durch (wenn auch verspätete) Abgabe der Erklärung zu beenden, auf den bereits eingetretenen Pflichtenverstoß des Geschäftsführers durch die frühere Nichtabgabe der Erklärung/Anmeldung (als haftungsbegründenden Tatbestand) einwirken soll. Vielmehr wird der Zeitpunkt des Pflichtenverstoßes, wenn jener darin liegt, Deklarationsverpflichtungen nicht ordnungsgemäß nachgekommen zu sein, der Behörde zunächst nicht bekannt. Insoweit ist die Anlaufhemmung in Einklang mit dem Zweck des § 191 Abs. 3 Satz 4 AO sinnentsprechend anzuwenden. Die Festsetzungsfrist für den Haftungsbescheid endet nicht vor dem Ablauf der für die Steuerfestsetzung geltenden Festsetzungsfrist (z.B. Senatsurteil in BFHE 193, 12, BStBl II 2001, 13; Senatsbeschluss vom I B 145/01, BFHE 199, 95, BStBl II 2003, 223; BFH-Urteil in BFHE 220, 307, BStBl II 2008, 597).

25 d) Auf dieser Grundlage beginnt die Festsetzungsfrist im Streitfall mit Ablauf des und endet mit Ablauf des . Ein Verfahrenshindernis der Verjährung für die Haftungsinanspruchnahme durch den streitgegenständlichen Haftungsbescheid vom besteht damit nicht.

26 Die Anlaufhemmung der Festsetzungsfrist ist nicht auf den Ablauf des (als Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuerfestsetzung gegenüber der B-GmbH erfolgte) zu begrenzen. Zwar könnte man den Zweck jener Hemmung im Zeitpunkt der Festsetzung der Kapitalertragsteuer durch das FA als erfüllt ansehen. Denn das FA hat die Steuer auf der Grundlage der den gesamten Besteuerungstatbestand (Ausschüttung) erfassenden Kontrollmitteilung des FA Kö entsprechend den Angaben der Ausschüttungsbescheinigung „aufgrund der unstrittig im Zeitraum September des Jahres 2001 vorgenommenen Ausschüttungen für das Wirtschaftsjahr 2000” (wenn auch unter Hinweis auf eine „bislang nicht vorgenommene(n) Kapitalertragsteueranmeldung” unter dem Vorbehalt der Nachprüfung) festgesetzt. § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO soll verhindern, dass für eine Steuerfestsetzung nur noch unangemessen wenig Zeit bleibt, wenn die Finanzbehörde infolge einer Verletzung von Erklärungs- oder Steueranmeldungspflichten von einem steuerpflichtigen Vorgang erst mit erheblicher Verspätung Kenntnis erlangt (Senatsurteil vom I R 10/02, BFHE 202, 1, BStBl II 2003, 687). Es ließe sich infolgedessen vertreten, dass die Anlaufhemmung endet, wenn eine Steuerfestsetzung ohne weiteren Aufklärungsbedarf erfolgt. Insoweit könnte sich der Streitfall in rechtserheblicher Weise von der Situation einer durch die Nichtabgabe der Steuererklärung veranlassten Schätzung der Besteuerungsgrundlagen i.S. des § 162 Abs. 1 AO bei einer Veranlagungssteuer unterscheiden, die die Anlaufhemmung nicht beendet (s. insoweit , BFH/NV 1988, 480; Banniza in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO § 170 Rz 39; Paetsch in Beermann/Gosch, AO § 170 Rz 31). Allerdings steht einem solchen Verständnis der Wortlaut des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO entgegen. Denn eine Steueranmeldung (verbunden mit einer „Wahrheitsversicherung” i.S. des § 150 Abs. 2 AO) ist durch die B-GmbH zu keinem Zeitpunkt beim FA eingereicht worden. Und von diesem Erfordernis kann angesichts der aus Gründen der Rechtssicherheit eher formalen Struktur der Verjährungsregelungen nicht abgesehen werden.

27 4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

28 Die Entscheidung ergeht im schriftlichen Verfahren (§ 121 Satz 1 i.V.m. § 90 Abs. 2 FGO).

Fundstelle(n):
AO-StB 2015 S. 204 Nr. 7
BFH/NV 2015 S. 797 Nr. 6
HFR 2015 S. 536 Nr. 6
LAAAE-88366