31. Dezember 2014 – stille Reserven oder stille Lasten?
Ist Silvester, jener kurze Moment der Harmonie von Soll und Ist, vergangen, werden uns immer wieder schnell die steuerrechtlichen Realitäten aufgezeigt. Zentrales Anliegen ist die Möglichkeit der Konservierung stiller Reserven und die rechtzeitige steuerwirksame Abbildung stiller Lasten. Mit dem AIFM-StAnpG vom hat der Gesetzgeber die Hebung stiller Lasten im Zusammenhang mit der Übertragung von schuldrechtlichen Verpflichtungen eingeschränkt (vgl. § 4f EStG, für den Veräußerer, und § 5 Abs. 7 EStG, für den Übernehmer). Gleichzeitig gibt es zahlreiche Normen, die das Anlegen oder Konservieren stiller Reserven ermöglichen (bspw. §§ 6 Abs. 3, 6b, 7g, 7h, 7i EStG; R 6.6 EStR). Das Umwandlungssteuergesetz zielt darauf, Umwandlungen ohne Realisation stiller Reserven zu ermöglichen, wenn deren steuerliche Erfassung sichergestellt ist.
Dem Wesen „stiller Reserven“ („hidden reserves“, „stille Rücklagen“ oder „Reservefonds“) entspricht es, (noch) nicht im bilanziellen Eigenkapital sichtbar zu sein. Verglichen werden die Buchwerte und zutreffend erachtete Vergleichswerte. Dies birgt allerdings das Problem, dass stille Reserven nicht bilanzierungsfähiger Werte – bspw. selbst geschaffene immaterielle Wirtschaftsgüter (§ 5 Abs. 2 EStG) – überhaupt nicht in die Betrachtung mit einfließen können. Des Weiteren ist die Ausrichtung an einem Vergleichswert problembehaftet; denn auch diese Größe muss erst gefunden werden. Marktwerte sind dann keine Hilfe, wenn sie schnellen Änderungen unterliegen; in anderen Fällen können zudem keine Marktwerte ermittelt werden. Und letztlich fehlt bei dem Vergleich die tatsächliche Realisation über einen Marktvorgang. Zu Recht gilt auch steuerbilanziell noch immer das handelsrechtliche Realisationsprinzip des § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB. Das Nominalwertprinzip führt bei eingetretenen Preissteigerungen gleichsam automatisch zur Bildung stiller Reserven. Solche Marktzeitwertrücklagen werden derzeit bei niedrigen allgemeinen Inflationsraten und partiellen Preissenkungen eher selektiv entstehen.
Als Abbildungsdifferenzen treten demgegenüber stille Lasten auf, wenn der tatsächliche Wert im Aktivposten unter dem Buchwert liegt oder – und dies wird häufiger der Fall sein – wenn Fremdkapitalposten zu niedrig oder gar nicht angesetzt werden. Die Bedeutung stiller Lasten in der Steuerbilanz darf nicht unterschätzt werden, denn in wesentlichen Bilanzierungsfeldern weichen die für die Passivseite maßgebenden Bewertungsregeln von betriebswirtschaftlich und bilanzrechtlich gebotenen Vergleichswerten ab (§ 5 Abs. 4, 4a, 4b, § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG). Sprengstoff bildet insbesondere der in § 6a EStG verankerte realitätsfremde Rechnungszinsfuß von 6 %. Anders als in den letzten vier Dekaden des 20. Jahrhunderts mit erheblichen Zinsschwankungen, hat sich durch die Staatsschuldenkrise inzwischen ein auf lange Zeit stabiles Niedrigzinsniveau etabliert, das bei leistungsfähigkeitsadäquater Besteuerung berücksichtigt werden muss.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen guten Start ins Neue Jahr.
Herzliche Grüße
Ihr
Franz Jürgen Marx
Fundstelle(n):
SteuerStud 1/2015 Seite 1
NWB GAAAE-80790