Zinsschranke verfassungswidrig?
... und nun zum nächsten Nichtanwendungserlass
[i]BMF, Schreiben vom 13. 11. 2014 - IV C 2 - S 2742-a/07/10001: 009 NWB EAAAE-79681Der BFH hat nicht nur die Aufgabe, den einzelnen Rechtsstreit zwischen dem Steuerpflichtigen und dem Finanzamt zu entscheiden. Er soll auch für eine einheitliche Rechtsprechung im Massenverfahren „Steuerveranlagung“ sorgen und Rechtsgrundsätze entwickeln. Deshalb sind viele Verfahren vor dem BFH faktisch Musterverfahren, die über den konkreten Rechtsstreit hinaus bundesweit umstrittene Fragen für eine Vielzahl von Steuerpflichtigen klären.
Das BMF boykottiert [i]BFH gewährt AdV, BMF nichtdieses Prinzip nun immer wieder mit sog. Nichtanwendungserlassen. Jüngstes Beispiel hierfür ist das zur Zinsschranke. Der BFH hatte in Sachen Zinsschranke gemäß § 8a KStG und § 4h EStG die Aussetzung der Vollziehung (AdV) gewährt, weil er Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Zinsschranke hatte.
Das BMF [i]Püttner, Die Zinsschranke gerät ins Wanken, BBK 20/2014 S. 960 NWB AAAAE-74996will diesen BFH-Beschluss nun über den Einzelfall hinaus nicht anwenden, weil die verfassungsrechtlichen Zweifel des BFH nicht berechtigt seien. Zu Unrecht, wie ich meine. Denn entscheidend ist, ob das Gericht als Teil der Judikative Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit hat, und nicht, ob die Finanzverwaltung als Teil der Exekutive diese Zweifel teilt. Zur Gewaltenteilung gehört es nun einmal, dass die Exekutive Entscheidungen der Rechtsprechung akzeptiert.
Der BFH hat [i]BFH kritisiert Nichtanwendungserlassedie Nichtanwendungspolitik des BMF immer wieder öffentlich kritisiert, aber nicht verhindern können. Für die Steuerbürger bleibt der Trost, dass sie ihr Recht trotz eines Nichtanwendungserlasses durchsetzen können und auch sollten – indem sie nämlich selbst klagen. Dies ist zwar ärgerlich und kostet Zeit; der Ausgang des Gerichtsverfahrens ist aber in der Regel ziemlich sicher, weil die Finanzgerichte an einen Nichtanwendungserlass nicht gebunden sind: Das Finanzamt wird also verlieren. Denn für jedes Finanzgericht ist es ein Leichtes, die Begründung des BFH aus dem nichtanzuwendenden Beschluss zu übernehmen, dem Aussetzungsantrag stattzugeben und dem Finanzamt die Kosten aufzuerlegen – diese Kosten trägt im Ergebnis natürlich wieder der Steuerzahler.
Schlechter sieht es [i]BFH, Vorlagebeschlüsse vom 17. 7. 2014 - VI R 8/12 NWB CAAAE-78516 und VI R 2/12 NWB SAAAE-78515 für die Steuerzahler bei Nichtanwendungsgesetzen aus. Immer häufiger bereitet die Finanzverwaltung nämlich Gesetzesentwürfe vor, mit denen missliebige BFH-Urteile ausgehebelt werden sollen. So ist etwa die Zinsregelung bei Rückgängigmachung des Investitionsabzugsbetrags noch während des laufenden Revisionsverfahrens beim BFH durch den neuen § 7g Abs. 3 Satz 4 EStG verschärft worden. Die Änderung des § 7g EStG erfolgte durch das AmtshilfeRLUmsG vom , während der BFH erst am zur bisherigen Rechtslage entschied (Az. IV R 9/12). Aktuell versucht die Finanzverwaltung, im geplanten ZollkodexAnpG das gesetzliche Abzugsverbot für Ausbildungskosten auszudehnen. Hier war der BFH nun aber jüngst schneller: Er hält nämlich schon das bestehende Abzugsverbot für verfassungswidrig. Als Steuerzahler schaut man bei diesem Wettlauf nur fassungslos zu.
Bernd Rätke
Fundstelle(n):
BBK 2014 Seite 1081
EAAAE-80393