„Nahe stehend“ ist nicht gleich „nahe Angehörige“
„Es ist Sache der Gerichte, festzulegen, wie die Gesetze auszulegen sind!“
Diese Aussage des BVerfG in seiner Entscheidung vom Dezember vergangenen Jahres, die Nacke auf Seite 2699 eingehend analysiert, zieht sich wie ein roter Faden durch diese NWB-Ausgabe. Zu befassen hatte sich das Verfassungsgericht mit rückwirkend „klarstellenden“ Gesetzesnachbesserungen. Eine gern gewählte Methode, um die Rechtsansicht zumeist der Finanzverwaltung mit Wirkung für die Vergangenheit festzuschreiben, ohne in die Falle der echten Rückwirkung zu tappen. Diesem Vorgehen haben die Karlsruher Richter jetzt enge Grenzen gesetzt. Sie führen aus: „Sähe man jede erkennbare Auslegungsproblematik als Entstehungshindernis für verfassungsrechtlich schutzwürdiges Vertrauen an, stünde es dem Gesetzgeber weitgehend frei, das geltende Recht immer schon dann rückwirkend zu ändern, wenn es ihm opportun erscheint, etwa weil die Rechtsprechung das geltende Recht in anderer Weise auslegt, die nicht seinen Vorstellungen und Erwartungen entspricht.“ Soll heißen: Rückwirkend anzuwendende Gesetzesänderungen sind den Grundsätzen des Vertrauensschutzes unterworfen.
Bei der „Neuregelung“ der Steuerschuldnerschaft von Bauleistungen durch das Kroatien-Anpassungsgesetz scheint es allerdings fraglich, ob der Gesetzgeber die Grundsätze des Vertrauensschutzes eingehalten hat. Kurz zum chronologischen Ablauf: Zunächst hatte der BFH das für die Bauleistereigenschaft entscheidende Nachhaltigkeitskriterium der Finanzverwaltung abgelehnt, da der Begriff der Nachhaltigkeit dem Gesetz nicht zu entnehmen war. Vielmehr käme es – so die Finanzrichter – auf die Verwendung für eine Bauleistung an. Nach Ansicht des Gesetzgebers hätte diese Gesetzesauslegung allerdings zu Problemen in der Verwaltungspraxis und zu Einnahmeausfällen geführt, weshalb er sich zu einer Gesetzesänderung entschied. Mit Wirkung zum hat er den Begriff der Nachhaltigkeit gesetzlich normiert. Bis hierher also keine Rückwirkung und kein Problem mit dem Vertrauensschutz. – Kein „Zurück-zur-alten-Rechtslage“ gibt es aber für Bauträger. Sie sind nicht mehr Steuerschuldner von bezogenen Bauleistungen und können daher die Erstattung der in der Vergangenheit zu Unrecht abgeführten Umsatzsteuer beantragen. Mit Folgen für die Bauleister, bei denen nunmehr eine zwingende Änderung der Steuerfestsetzung vorgesehen ist. Hammerl/Fietz sehen darin auf Seite 2688 eine faktische Abschaffung des Vertrauensschutzes.
Mit der Gesetzesauslegung des Begriffs „nahe stehend“ in § 32d Abs. 2 Nr. 1 EStG durch den VIII. Senat des BFH befasst sich Böhlk-Lankes auf Seite 2672. Nach dieser Vorschrift ist der Abgeltungsteuersatz ausgeschlossen, wenn Gläubiger und Schuldner der Kapitalerträge „einander nahe stehe Personen“ sind. Für Darlehen zwischen Angehörigen stellen die Münchner Richter jetzt fest: „Nahe stehend“ ist nicht gleich „nahe Angehörige“!
Beste Grüße
Reinhild Foitzik
Fundstelle(n):
NWB 2014 Seite 2665
NWB BAAAE-71954