Dreitagesfrist bei Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes
Gesetze: AO § 108 Abs. 3, AO § 122 Abs. 2 Nr. 1, AO § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1, SGB X § 26 Abs. 3, SGB X § 37, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
1 I. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) sind zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Eheleute. Der Kläger war im Jahr 2001 (Streitjahr) nacheinander als Rechtsanwalt an zwei Sozietäten beteiligt. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) erließ im Mai 2003 einen Einkommensteuerbescheid 2001, in dem Einkünfte aus selbständiger Arbeit in der geschätzten Höhe von . DM angesetzt wurden. Aufgrund von späteren Gewinnfeststellungsbescheiden erließ das FA im weiteren Verlauf des Verfahrens geänderte Einkommensteuerbescheide 2001. Zuletzt berücksichtigte es im Bescheid vom Einkünfte aus der Tätigkeit des Klägers als Rechtsanwalt in Höhe von . DM.
2 Im Jahr 2009 wurde eine Außenprüfung bei der Kanzlei „K Rechtsanwälte” abgeschlossen. An dieser Kanzlei war der Kläger beteiligt gewesen. In einem Bescheid vom über die einheitliche und gesonderte Feststellung der Einkünfte aus selbständiger Arbeit für das Jahr 2001 wurden auf den Kläger entfallende Einkünfte von . DM festgestellt. Der Bescheid wurde am selben Tag zur Post gegeben. Die entsprechende Mitteilung des Feststellungs-FA wurde beim beklagten FA zunächst nicht ausgewertet. Zu einer Auswertung kam es erst Ende 2011.
3 Eine Mitarbeiterin des FA warf den geänderten Einkommensteuerbescheid 2001, durch welchen die Folgerungen aus dem Feststellungsbescheid vom gezogen wurden, am persönlich in einen Briefkasten, der sich bei der Wohnung der Kläger befand. Gegen diesen Bescheid wandten sich die Kläger mit Einspruch. Zur Begründung trugen sie vor, die Frist für den Erlass eines geänderten Einkommensteuerbescheids sei abgelaufen, auch sei der Bescheid nicht wirksam bekannt gegeben worden.
4 Der Rechtsbehelf hatte keinen Erfolg, ebenso wenig die anschließend erhobene Klage. Das Finanzgericht (FG) war der Ansicht, der geänderte Einkommensteuerbescheid 2001 sei rechtmäßig. Festsetzungsverjährung sei zum Zeitpunkt seines Erlasses noch nicht eingetreten. Der Feststellungsbescheid vom habe am (Montag) den Bereich des FA verlassen. Dies stehe aufgrund der als Zeugen vernommenen Mitarbeiter des FA fest. Die zweijährige Frist zur Auswertung dieses Grundlagenbescheids sei durch die wirksame Bekanntgabe gewahrt worden.
5 Mit der Nichtzulassungsbeschwerde machen die Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowie die Erforderlichkeit einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Fortbildung des Rechts sowie zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geltend. Das FG habe den Rechtssatz aufgestellt, dass sich die Dreitagesfrist zwischen der Aufgabe eines Verwaltungsakts zur Post und seiner vermuteten Bekanntgabe verlängere, wenn das Fristende auf einen Sonntag, gesetzlichen Feiertag oder Sonnabend falle. Dieser Rechtssatz habe zwar Eingang in die Rechtsprechung des BFH gefunden (Urteil vom IX R 68/98, BFHE 203, 26, BStBl II 2003, 898). Er widerspreche jedoch dem (Neue Juristische Wochenschrift —NJW— 2011, 1099). Nach Ansicht des BSG sei die Argumentation des BFH auf das Sozialrecht nicht übertragbar, da im Sozialrecht eine Bevollmächtigung der Sozialleistungsempfänger nicht die Regel sei. Diese Überlegung sei zweifelhaft. Sie gelte im Streitfall nicht, weil der Steuerbescheid ihnen —den Klägern— selbst bekannt gegeben worden sei. Die Rechtsprechung des BFH beruhe auf Billigkeitserwägungen zugunsten des Steuerpflichtigen. Eine Auslegung zu seinen Ungunsten und gegen den klaren Gesetzeswortlaut verstoße gegen das Gebot des gesetzlichen Verwaltungshandelns und gegen das Rechtsstaatsprinzip und sei daher unzulässig.
6 Die angefochtene Entscheidung basiere auf dem Rechtssatz, dass sich die Zugangsfiktion sowohl zugunsten als auch zuungunsten von Steuerpflichtigen auswirken könne. Dieser Rechtssatz sei falsch, sofern es um das Ende einer Verjährungsfrist gehe. Diese Frage sei bislang nicht vom BFH beantwortet worden. In den Entscheidungen vom XI B 130/99 (juris) und vom X R 96/98 (BFHE 193, 512, BStBl II 2001, 274), welche das FG zitiert habe, fänden sich hierzu keine Ausführungen.
7 II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet und wird durch Beschluss zurückgewiesen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Die von den Klägern vorgebrachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.
8 1. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).
9 a) Die Kläger halten die Rechtsfrage für grundsätzlich bedeutsam, ob sich die Dreitagesfrist des § 122 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) nach § 108 Abs. 3 AO verlängert, wenn der letzte Tag der Frist auf einen Samstag, Sonntag oder gesetzlichen Feiertag fällt.
10 aa) Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache ist gegeben, wenn eine für bedeutsam gehaltene Rechtsfrage im Allgemeininteresse klärungsbedürftig und im Streitfall klärbar ist. An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es, wenn die Rechtsfrage anhand der gesetzlichen Grundlagen und der bereits vorliegenden Rechtsprechung beantwortet werden kann und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung der Rechtsfrage durch den BFH geboten erscheinen lassen (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsbeschluss vom III B 72/11, BFH/NV 2012, 379).
11 bb) Die von den Klägern herausgestellte Rechtsfrage ist bereits geklärt. In der Rechtsprechung des BFH ist für den Bereich des Steuerrechts seit dem Urteil in BFHE 203, 26, BStBl II 2003, 898 anerkannt, dass die Dreitagesfrist nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO in den Fällen des § 108 Abs. 3 AO verlängert wird (s. , BFH/NV 2004, 159; vom I R 4/03, BFH/NV 2004, 758; vom IX R 60/03, BFH/NV 2005, 327; vom VII R 13/03, BFH/NV 2004, 1065, und vom IV R 89/06, BFH/NV 2010, 818; BFH-Beschlüsse vom XI B 13/06, BFH/NV 2007, 389; vom III B 76/11, BFH/NV 2011, 1845). Insoweit besteht kein Klärungsbedarf.
12 cc) Klärungsbedarf ist auch nicht dadurch entstanden, dass das BSG in dem Urteil in NJW 2011, 1099 für den Bereich des Sozialrechts zu § 37 Abs. 2 Satz 1 und zu § 26 Abs. 3 Satz 1 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch entschieden hat, dass sich an der Zugangsvermutung nichts ändert, wenn der Tag, für den der Zugang eines Bescheids unterstellt wird, ein Samstag, Sonntag oder gesetzlicher Feiertag ist. Das BSG war der Ansicht, es weiche nicht von der BFH-Rechtsprechung ab, da der BFH auf die von der finanzgerichtlichen Rechtsprechung entwickelten Anforderungen an die Erschütterung der Zugangsvermutung abgestellt habe sowie auf die besondere Situation im Steuerrecht mit der dort üblichen Vertretung durch Bevollmächtigte steuerberatender Berufe, die ihre Postfächer an Samstagen generell nicht leerten. Wegen der bewussten Abgrenzung des BSG hat der BFH keinen Anlass, seine Rechtsauffassung zu überdenken. Aufgrund der generellen Anwendbarkeit des § 108 Abs. 3 AO in den Fällen, in denen der Bekanntgabezeitpunkt nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO vermutet wird, kann es im Einzelfall auch keinen Unterschied machen, ob ein Steuerpflichtiger durch einen Bevollmächtigten vertreten wird oder nicht.
13 b) Auch hinsichtlich der Rechtsfrage, ob sich die Rechtsprechung des BFH zur Verlängerung der Dreitagesfrist in den Fällen des § 108 Abs. 3 AO zu Lasten von Steuerpflichtigen auswirken kann, besteht kein Klärungsbedarf. Ist die Vorschrift anwendbar, so folgt daraus zwangsläufig, dass sie auch dann gilt, wenn sie sich für einen Steuerpflichtigen nachteilig auswirkt.
14 2. Die Revision ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen.
15 a) Der Zulassungsgrund der Rechtsfortbildung nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO ist ein Unterfall des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung (s. Senatsbeschluss vom III B 192/10, BFH/NV 2011, 2043). Die Rechtssache hat jedoch —wie ausgeführt— keine grundsätzliche Bedeutung.
16 b) Das FG ist auch nicht von einem im BSG-Urteil in NJW 2011, 1099 enthaltenen Rechtssatz abgewichen (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO). Das BSG hat zu den § 122 Abs. 2 Nr. 1, § 108 Abs. 3 AO keinen Rechtssatz aufgestellt, vielmehr hat es sich —wie oben dargelegt— bewusst von der hierzu ergangenen BFH-Rechtsprechung abgegrenzt.
17 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 1, § 135 Abs. 2 FGO.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2014 S. 1186 Nr. 8
ZAAAE-67838