Regelungs- und Anwendungslücken nach IFRS
Steuerlatenz bei Organschaft – fair value-Bilanzierung in Deutschland – Aktivierung von Entwicklungskosten – die drei Fokus-Beiträge dieser PiR-Ausgabe befassen sich mit Dauerbrennern der internationalen Rechnungslegung. Die deutsche Organschaft als nationale Ausprägung eines Gruppenbesteuerungssystems befindet sich bezüglich der Steuerlatenzierung in einem Anwendungsloch. Es fehlt in IAS 12 an spezifischen Regeln. Dafür stellt generalisierend IAS 8.10 einen Notnagel zur Verfügung: Das Management muss eine Bilanzierungsstrategie entwickeln und sich dabei zunächst prinzipienorientiert an ähnlichen Regelungsbereichen orientieren und bezüglich des Ansatzes, der Bewertung etc. die Vorgaben des Framework berücksichtigen. In der Praxis wird darüber gern hinweggegangen und gleich auf die weitere Suchebene anderer Standardsetter ausgewichen – regelmäßig US-GAAP.
In dem von Jochen Pilhofer, Hendrik Suermann und Ronja Müller werden sehr subtil prinzipienorientierte Lösungswege zur sachgerechten Abbildung von Steuerlatenzen im Organkreis vorgestellt. Insbesondere befasst sich der Beitrag mit der Steuerabgrenzung bei Steuerumlageverträgen, die durch einen hohen Schwierigkeitsgrad bezüglich der Steuerlatenzierung gekennzeichnet sind. Die Praxisbeispiele der Latenzierung von Verlustvorträgen verdienen besondere Beachtung. Es werden Gedanken vorgestellt, die in dieser Form noch nirgends nachzulesen waren. Der treue PiR-Leser wird dies zu schätzen wissen.
Keine Regelungs- dafür aber Anwendungslücken legt der weitere aus der Feder von Markus Ertel zur fair value-Relevanz in Deutschland offen. Die fair value-Bilanzierung ist in Deutschland zumindest in fachliterarischen Kreisen zu einem regulären Zankapfel aufgewertet worden. Die fair value-Philosophie wird zerrissen, doch die IASB-Karawane zieht weiter. Hier sollte es nicht an einer differenzierten Betrachtung mangeln, dazu bietet sich die Empirie der praktischen Anwendung als Demonstrationsobjekt an. Der Beitrag belegt die geringe Anwendung der fair value-Bewertung in Fällen von Wahlrechten mit der Ausnahme der Immobilienbranche nach IAS 40. Umgekehrt verhält es sich branchenübergreifend beim Wahlrecht zum Neubewertungsmodell nach IAS 16: Gerade einmal ein deutscher Konzern wendet diese Bewertung an, und dann aber auch nur beschränkt auf den Vermögenswert Grund und Boden.
Implizit beklagen unsere Autoren Dieter Christian und Veronika Kern in ihrem zur Aktivierung von Entwicklungskosten ebenfalls Regelungslücken in IAS 38. Sie beanstanden die wenig konkreten Vorgaben des Standards. Insbesondere bemängeln sie die praktisch kaum durchführbare Phasentrennung zwischen dem Forschungs- und dem Entwicklungsbereich. Die Kritik fällt leicht, aber wie soll man das besser machen? Die Bilanzierungsregeln und die herrschenden Vorstellungen dazu sind nun einmal sehr stark haptisch vorbelastet, d. h. materielle Vermögenswerte bzw. solche, die es werden können, werden sehr viel weniger kritisch beurteilt als die immateriellen. Wenn im Bau befindliche Stahlwerke jahrelang als Anlagen im Bau bilanziert werden, stört sich niemand daran. Ein pharmazeutisches Präparat erfüllt die Aktivierungskriterien des IAS 38 nicht, wohl aber das Stahlwerk diejenigen nach IAS 16. Und plötzlich stellt sich dann nach Fertigstellung des Stahlwerks aller Haptik zum Trotz die nicht gegebene kommerzielle Verwertbarkeit heraus. Die beschränkte Aussagekraft der internationalen (nicht nur) Rechnungslegung zur Darstellung wirtschaftlicher Verhältnisse eines Unternehmens/Konzerns wird in beiden Fällen manifest.
Wolf-Dieter Hoffmann
Fundstelle(n):
PiR 6/2014 Seite 1
NWB OAAAE-66138