Unsichere Aktivposten
Auf der Aktivseite der Bilanz sind alle Posten irgendwie „riskant” – bei den einen kaum, bei den anderen ganz erheblich. Bei der Barkasse wird man kaum ein Risiko erkennen können. Bei Bankguthaben kann es sich schon ganz anders verhalten – das hat uns die „Krise” eindringlich gelehrt. Und so kann es weitergehen von den Vorräten über die Forderungen bis hin zum Sachanlagevermögen. In diesem PiR-Heft mögen unsere geneigten Leserinnen und Leser ihr besonderes Augenmerk auf zwei Rubrik-Beiträge richten, in denen die Werthaltigkeit bestimmter Aktivposten besonders herausgestellt werden.
Im „Kompaktwissen” greift Jens Freiberg einen Sonderbereich des Bilanzansatzes für die aktive Steuerlatenz heraus. Man kann nicht oft genug wiederholen: Die Bilanzierungsvorgaben für die Steuerlatenzen sind nach IAS 12 imparitätisch ausgerichtet. Das muss übrigens auch für die in der Konzeption an IAS 12 angelehnte Gesetzesregel in § 274 HGB gelten, abgesehen von dem Sonderfall des dortigen Wahlrechts zur Aktivierung eines Latenzüberhangs. Bezüglich der Imparität darf man an die Tatbestandsvoraussetzungen in IAS 12.35 erinnern, insbesondere in den Fällen einer sog. Verlusthistorie. Hier werden in der Praxis gar zu gerne die Steuereffekte aus den künftig erwarteten Gewinnen bilanziert. Diese Erwartungen begründen sich auf entsprechenden Planungen – auf was sonst? Doch mit den Planungen ist es so eine Sache. Der Vorstand eines im Verlusttal befindlichen Unternehmens wird für die nächsten fünf Jahre kaum weitere Verluste in seine Planungsrechnung einstellen, denn sonst kann er gleich seinen Dienst quittieren. Aber solche mit überwiegenden Wahrscheinlichkeiten unterlegten Planungsüberlegungen für möglichst lange Zukunftszeiträume genügen eben gerade nicht zur Ansatzberechtigung von Latenzen aufgrund von Verlustvorträgen. Es müssen vielmehr überzeugende Belege (convincing other evidence) zur Entstehung künftiger positiver Einkommen aus Sicht des Bilanzstichtags bestehen. Und irgendwelche in der Schublade schlummernden Gestaltungsvorstellungen der Steuerabteilung über die Realisierung stiller Reserven genügen nicht, wenn nicht eine konkrete Umsetzung geplant ist.
Ein relativ sicherer Hafen zur Aktivierung von Steuerlatenzen, sei es aus Buchwertunterschieden oder aus Verlustvorträgen, ergibt sich aus vorhandenen Passivlatenzen. Allerdings – und das ist der Inhalt des Kompaktbeitrags – darf nicht nur der absolute Betrag in das Kalkül einfließen, sondern auch die zeitliche Abfolge der Auflösung temporärer Differenzen mit Passivüberhang. Die ohnehin schon schwierig genug aufgezogene Steuerlatenzierung erfährt dadurch einen weiteren Grad der Verkomplizierung. Die Propagandisten einer flächendeckenden Steuerlatenzierung nach HGB sollten an dieser Stelle einmal mehr in sich gehen.
In der Rubrik „IFRS Aktuell” erhalten unsere Leserinnen und Leser aus der Feder von Daniel T. Fischer einen brandaktuellen Beitrag über die Überlegungen des IASB zu Kreditausfallrisiken. Als Rechtsanwender kann man hier zunächst nur feststellen: Es wird auch „höchste Zeit”. Seit fünf Jahren drohen an allen Ecken und Enden Kreditausfälle der internationalen Finanzwirtschaft. Ob nun mit der Abbildung der incurred losses dieses Risiko besser abgebildet werden kann als durch die expected losses, wird niemand überzeugend vorhersagen wollen. Es ist nun einmal so: Die bilanzielle Abbildung des wirtschaftlichen Geschehens eines Unternehmens ist mit vielen Unsicherheiten, Unwägbarkeiten und Ermessensspielräumen verbunden – gerade auch auf der Aktivseite.
Wolf-Dieter Hoffmann
Fundstelle(n):
PiR 4/2013 Seite 1
NWB LAAAE-32984