Zwei Gewalten? – Nein, drei Gewalten!
Brauchen wir noch einen Gesetzgeber?
[i]Drei Gewalten: Legislative, Exekutive, Judikative In der Bundesrepublik Deutschland gibt es aus guten Gründen eine Gewaltenteilung: Die Legislative, d. h. die aus Bundestag und Bundesrat bestehende Gesetzgebung, verabschiedet Gesetze. Die Exekutive (Regierung und Behörden) führt die Gesetze aus. Und die Judikative (Rechtsprechung) überprüft sowohl die Vollzugsakte der Behörden wie z. B. Steuerbescheide als auch die zugrunde liegenden Gesetze. Das Ganze ist in Art. 20 Abs. 2 des Grundgesetzes festgelegt. Die Gewaltenteilung gilt natürlich und insbesondere auch für das Steuerrecht, dem Paradebeispiel für eine Eingriffsverwaltung des Staates.
Als Steuerrechtler [i]Erstellung der Gesetzentwürfe durch das BMF hat man sich allerdings schon fast daran gewöhnt, dass die Legislative (Bundestag und Bundesrat) als ausführendes Organ der Exekutive in Gestalt des Bundesfinanzministeriums „missbraucht” wird. So werden die maßgeblichen Gesetzentwürfe im Steuerrecht vom BMF vorbereitet und anschließend dem Bundestag „überlassen”.
Auch die [i]Bundesrat: BMF-Schreiben soll Gesetz werdenStellungnahmen des Bundesrats im Gesetzgebungsverfahren deuten immer wieder darauf hin, dass die Finanzverwaltung das Gesetzgebungsverfahren bestimmt. Jüngstes Beispiel: Der Bundesrat hat in einer Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Entbürokratisierung des Gemeinnützigkeitsrechts Ende 2012 (BT-Drucks. 17/12037 S. 6) eine Erweiterung des Teilabzugsverbots des § 3c Abs. 2 EStG auf Gesellschafterdarlehen vorgeschlagen und bittet um Prüfung, ob „die Notwendigkeit besteht, … die Auffassung der Finanzverwaltung festzuschreiben”; gemeint ist das BMF-Schreiben [i]BMF, Schreiben vom 8. 11. 2010 NWB OAAAD-55086 vom , dem der BFH in zwei grundlegenden Entscheidungen im Jahr 2012 immerhin widersprochen hat. Dass das Teilabzugsverbot des § 3c Abs. 2 EStG und das Gemeinnützigkeitsrecht nichts miteinander zu tun haben, sei hier nur am Rande bemerkt.
Dieser bedenklichen [i]Anwendung von Gesetzen vor ihrem InkrafttretenEntwicklung setzt das BMF nun noch eins drauf: Gesetze sollen schon anwendbar sein, bevor sie der Gesetzgeber überhaupt verabschiedet hat. Beispiele gefällig? Die im JStG 2013 geplanten Neuregelungen zur Kapitalertragsteuer sollen nach dem [i]BMF, Schreiben vom 28. 12. 2012 NWB AAAAE-27189 und vom 19. 12. 2012 NWB IAAAE-25682 „im Vorgriff auf eine gesetzliche Änderung” für Erträge anwendbar sein, die nach dem zufließen. Das gleiche Bild bietet sich bei ELStAM: Das bereits den Gesetzentwurf des JStG 2013 zu § 52b EStG über die geplante Fortgeltung der Lohnsteuerkarte 2010 für anwendbar erklärt und den Entwurf auf der Internetseite des BMF veröffentlicht. [i]Gescheitertes JStG 2013 wird nun angewendetWelche Folgen dieser vorauseilende Inkraftsetzungswahn hat, wird nach dem Scheitern des JStG 2013 nun deutlich. Die Finanzverwaltung sollte sich daher auf die Ausführung bereits in Kraft getretener Gesetze beschränken und nicht die Rolle des Gesetzgebers übernehmen. Deshalb lautet meine Antwort auf die eingangs gestellte Frage: Ja, wir brauchen einen Gesetzgeber!
Bernd Raetke
Fundstelle(n):
BBK 2013 Seite 89
TAAAE-27738