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FG des Landes Sachsen-Anhalt Urteil v. - 4 K 916/11 EFG 2012 S. 1564 Nr. 16

Gesetze: EStG § 74 Abs. 1 S. 4, EStG § 74 Abs. 1 S. 1, EStG § 74 Abs. 1 S. 3, SGB XII § 42, SGB XII § 43 Abs. 2, SGB XII § 94 Abs. 1 S. 3, SGB XII § 30 Abs. 1 Nr. 2, BGB § 1601, AO § 5, AO § 162, FGO § 102, FGO § 96 Abs. 1

Abzweigung von Kindergeld an den Grundsicherungsleistungsträger

Ermittlung der tatsächlichen Aufwendungen der Kindergeldberechtigten

Ermessensentscheidung bei unterhalb der Höhe des Kindergeldes liegenden eigenen Aufwendungen

Leitsatz

1. Erhält ein behindertes Kind die bedarfs- und bedürftigkeitsunabhängige Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, so dass das Existenzminimum des Kindes gedeckt ist und der Kindergeldberechtigte grundsätzlich keinen Unterhalt mehr leisten muss, besteht gleichwohl die Möglichkeit zu Abzweigung des Kindergeldes an den Grundsicherungsleistungsträger dem Grunde nach, weil die für die Abzweigungsentscheidung maßgebende zivilrechtliche Unterhaltspflicht bestehen bleibt (entgegen FG Sachsen-Anhalt jeweils v. , K 33/11 (rechtskräftig); 5 K 454/11 (Revision eingelegt, Az beim BFH: V R 48/11) und 5 K 196/11 (Revision eingelegt, Az bei BFH: V R 47/11).

2. Im Rahmen der Ermessensentscheidung über die Abzweigung von Kindergeld an den Grundsicherungsleistungen gewährenden Sozialleistungsträger ist mit vermindertem Beweismaßstab in jedem Einzelfall festzustellen, ob und in welcher Höhe den Kindergeldberechtigten den Grund- und den behinderungsbedingten Mehrbedarf betreffende Aufwendungen entstanden sind. Den Kindergeldberechtigten ist zuzumuten, die Aufwendungen im Einzelnen darzustellen, vorhandene Belege und Nachweise vorzulegen und bei der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken. Nicht zu prüfen ist, die Art oder die Verhältnismäßigkeit der Aufwendungen.

3. Die Aufwendungen der Kindergeldberechtigten sind bezogen auf ein Jahr zu ermitteln und diese sodann durchschnittlich auf einen Monat zu verteilen.

4. Beim Erwerb langlebiger Wirtschaftsgüter für das Kind wie z. B. Einrichtungsgegenstände, sind die steuerlichen Abschreibungszeiträume in Ansatz zu bringen. Möglicherweise besteht jedoch eine kürzere Nutzungsdauer z. B. durch behinderungsbedingten höheren Verschleiß.

5. Beim sog. „Wirtschaften aus einem Topf”, wovon beim Haushalt des Kindergeldberechtigten lebenden volljährigen behinderten Kindern in der Regel auszugehen ist, sind die erhaltenen Grundsicherungsleistungen, getrennt nach den einzelnen Abteilungen der Regelsatzleistungen den jeweils glaubhaft gemachten Aufwendungen der Kindergeldberechtigten für die einzelnen Abteilungen gegenüber zu stellen und nur, soweit höhere Aufwendungen als die jeweiligen Sätze der Abteilungen geleistet werden, sind diese Beträge den Kindergeldberechtigten als eigene Leistungen zuzurechnen. Eine Verrechnung zwischen den einzelnen Abteilungen scheidet aus.

6. Die äußeren Grenzen, innerhalb derer eine (positive) Abzweigungsentscheidung getroffen werden kann, sind die Fälle, in denen der Kindergeldberechtigte einerseits mindestens Aufwendungen in Höhe des Kindergeldes hat und andererseits in denen er gar keine Aufwendungen trägt. Im zuerst genannten Fall ist das Ermessen der Familienkasse dahingehend auf Null reduziert, dass eine Abzweigung nicht erfolgen darf. Im zweiten Fall erscheint dagegen jede andere Entscheidung als die volle Abzweigung ermessensfehlerhaft. Bei unterhalb der Höhe des Kindergeldes liegendem Aufwand ist regelmäßig allein gerechtfertigt, das Kindergeld dem Kindergeldberechtigten in Höhe dieses Aufwands zu belassen und nur den Restbetrag abzuzweigen.

7. Ist danach die Abzweigung in Höhe der Differenz zwischen den vom Kindergeldberechtigten getragenen Aufwendungen und dem gesetzlichen Kindergeld die nicht begründungsbedürftige Regelfolge des § 74 Abs. 1 EStG, erscheint eine abwägende Stellungnahme der Familienkasse weder zur Abzweigung dem Grunde noch der Höhe nach erforderlich.

Fundstelle(n):
EFG 2012 S. 1564 Nr. 16
JAAAE-12826

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