Abzweigung von Kindergeld an den Grundsicherungsleistungsträger
Ermittlung der tatsächlichen Aufwendungen der Kindergeldberechtigten
Ermessensentscheidung bei unterhalb der Höhe des Kindergeldes liegenden eigenen Aufwendungen
Leitsatz
1. Erhält ein behindertes Kind die bedarfs- und bedürftigkeitsunabhängige Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung,
so dass das Existenzminimum des Kindes gedeckt ist und der Kindergeldberechtigte grundsätzlich keinen Unterhalt mehr leisten
muss, besteht gleichwohl die Möglichkeit zu Abzweigung des Kindergeldes an den Grundsicherungsleistungsträger dem Grunde nach,
weil die für die Abzweigungsentscheidung maßgebende zivilrechtliche Unterhaltspflicht bestehen bleibt (entgegen FG Sachsen-Anhalt
jeweils v. , K 33/11 (rechtskräftig); 5 K 454/11 (Revision eingelegt, Az beim BFH: V R 48/11) und 5 K 196/11 (Revision
eingelegt, Az bei BFH: V R 47/11).
2. Im Rahmen der Ermessensentscheidung über die Abzweigung von Kindergeld an den Grundsicherungsleistungen gewährenden Sozialleistungsträger
ist mit vermindertem Beweismaßstab in jedem Einzelfall festzustellen, ob und in welcher Höhe den Kindergeldberechtigten den
Grund- und den behinderungsbedingten Mehrbedarf betreffende Aufwendungen entstanden sind. Den Kindergeldberechtigten ist zuzumuten,
die Aufwendungen im Einzelnen darzustellen, vorhandene Belege und Nachweise vorzulegen und bei der Aufklärung des Sachverhalts
mitzuwirken. Nicht zu prüfen ist, die Art oder die Verhältnismäßigkeit der Aufwendungen.
3. Die Aufwendungen der Kindergeldberechtigten sind bezogen auf ein Jahr zu ermitteln und diese sodann durchschnittlich auf
einen Monat zu verteilen.
4. Beim Erwerb langlebiger Wirtschaftsgüter für das Kind wie z. B. Einrichtungsgegenstände, sind die steuerlichen Abschreibungszeiträume
in Ansatz zu bringen. Möglicherweise besteht jedoch eine kürzere Nutzungsdauer z. B. durch behinderungsbedingten höheren Verschleiß.
5. Beim sog. „Wirtschaften aus einem Topf”, wovon beim Haushalt des Kindergeldberechtigten lebenden volljährigen behinderten
Kindern in der Regel auszugehen ist, sind die erhaltenen Grundsicherungsleistungen, getrennt nach den einzelnen Abteilungen
der Regelsatzleistungen den jeweils glaubhaft gemachten Aufwendungen der Kindergeldberechtigten für die einzelnen Abteilungen
gegenüber zu stellen und nur, soweit höhere Aufwendungen als die jeweiligen Sätze der Abteilungen geleistet werden, sind diese
Beträge den Kindergeldberechtigten als eigene Leistungen zuzurechnen. Eine Verrechnung zwischen den einzelnen Abteilungen
scheidet aus.
6. Die äußeren Grenzen, innerhalb derer eine (positive) Abzweigungsentscheidung getroffen werden kann, sind die Fälle, in
denen der Kindergeldberechtigte einerseits mindestens Aufwendungen in Höhe des Kindergeldes hat und andererseits in denen
er gar keine Aufwendungen trägt. Im zuerst genannten Fall ist das Ermessen der Familienkasse dahingehend auf Null reduziert,
dass eine Abzweigung nicht erfolgen darf. Im zweiten Fall erscheint dagegen jede andere Entscheidung als die volle Abzweigung
ermessensfehlerhaft. Bei unterhalb der Höhe des Kindergeldes liegendem Aufwand ist regelmäßig allein gerechtfertigt, das Kindergeld
dem Kindergeldberechtigten in Höhe dieses Aufwands zu belassen und nur den Restbetrag abzuzweigen.
7. Ist danach die Abzweigung in Höhe der Differenz zwischen den vom Kindergeldberechtigten getragenen Aufwendungen und dem
gesetzlichen Kindergeld die nicht begründungsbedürftige Regelfolge des § 74 Abs. 1 EStG, erscheint eine abwägende Stellungnahme
der Familienkasse weder zur Abzweigung dem Grunde noch der Höhe nach erforderlich.
Fundstelle(n): EFG 2012 S. 1564 Nr. 16 JAAAE-12826
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