BAG Beschluss v. - 4 ABR 115/09

Eingruppierung von Arbeitnehmern im Service-Center eines Zeitungsverlags - Gehaltstarifvertrag für die Angestellten im Zeitungsverlagsgewerbe in Bayern

Gesetze: § 99 Abs 2 Nr 1 BetrVG, § 99 Abs 4 BetrVG, § 1 TVG

Instanzenzug: Az: 37 BV 429/08 Beschlussvorgehend Landesarbeitsgericht München Az: 7 TaBV 28/09 Beschluss

Gründe

1A. Die Beteiligten streiten über die Ersetzung der Zustimmung des bei der Arbeitgeberin (Antragstellerin) bestehenden Betriebsrats (Beteiligter zu 2.) zur Eingruppierung von elf Arbeitnehmerinnen im Service-Center des Betriebes der Arbeitgeberin anlässlich der Überleitung in den Gehaltstarifvertrag für die Angestellten im Zeitungsverlagsgewerbe in Bayern vom (GTV).

2Die Arbeitgeberin, ein Zeitungsverlag, ist tarifgebunden und wendet auf die Arbeitsverhältnisse der bei ihr beschäftigten Angestellten den GTV in seiner jeweiligen Fassung an.

3Die Tarifvertragsparteien des GTV hatten im Juni 2005 mit Wirkung zum die Struktur der Gehaltsgruppen verändert. Unter anderem hatten sie zwischen die zuvor bestehenden Gehaltsgruppen 3 und 4 GTV, deren Voraussetzungen unverändert geblieben sind, eine weitere Gehaltsgruppe eingeführt. Die eingeschobene Gehaltsgruppe trägt nunmehr die Nummer 4, die Tätigkeitsmerkmale der folgenden Gehaltsgruppen sind jeweils eine Nummer weitergerückt. Bis zum Inkrafttreten der neuen Gehaltsstruktur wurden die vorliegend betroffenen Arbeitnehmerinnen sämtlich mit Zustimmung des Betriebsrats nach der Gehaltsgruppe 3 GTV vergütet.

Die elf Arbeitnehmerinnen, deren Eingruppierung zwischen den Beteiligten noch streitig ist, sind im Service-Center mit der Betreuung von Anzeigenkunden und Abonnenten der Zeitungen „M M“ und „t“ beschäftigt. Ihre Tätigkeit besteht im Wesentlichen aus:

5Für diese Tätigkeiten im Call-Center der Arbeitgeberin ist eine Berufsausbildung weder vorgesehen noch erforderlich. Die Aufgaben können nach einer Einarbeitung ausgeübt werden, ua. unter Verwendung eines Leitfadens „Call-Center/lnbound“, der 101 Seiten und 32 Anlagen umfasst.

Für die einzelnen Beschäftigten ergeben sich aus der folgenden Aufstellung die jeweiligen Zeitanteile der Haupttätigkeiten sowie der jeweilige Berufsabschluss:

7Mit im Wesentlichen denselben Aufgaben sind drei weitere Angestellte betraut, deren Eingruppierung in die Gehaltsgruppe 3 GTV zwischen den Beteiligten nicht mehr streitig ist. Zwei dieser Arbeitnehmerinnen verfügen nicht über eine abgeschlossene Berufsausbildung, eine weitere hat eine Ausbildung als Friseurin abgeschlossen.

8Die Arbeitgeberin hat nach Inkrafttreten der veränderten Gehaltsstruktur für die betroffenen elf Arbeitnehmerinnen unverändert die Gehaltsgruppe 3 GTV angenommen und sie dementsprechend vergütet. Nach Beilegung eines Streits mit dem Betriebsrat über die Frage, ob es sich hierbei wegen der Veränderungen in der Entgeltstruktur um eine Umgruppierung und damit um eine mitbestimmungspflichtige personelle Einzelmaßnahme iSv. § 99 Abs. 1 BetrVG handelt, hat die Arbeitgeberin mit Schreiben vom den Betriebsrat unter Vorlage von Tätigkeitsbeschreibungen zu ihrer Absicht angehört, die betroffenen Arbeitnehmerinnen unverändert nach Gehaltsgruppe 3 GTV zu vergüten.

9Der Betriebsrat hat innerhalb der von den Tarifvertragsparteien mit der ersten Protokollnotiz zum Protokoll über die Sitzung der Tarifvertragsparteien am verlängerten Reaktionszeit von acht Wochen mit Schreiben vom sowie jeweils ergänzenden Einzelschreiben vom selben Tag seine Zustimmung zur Umgruppierung verweigert. Eine Eingruppierung nach Gehaltsgruppe 3 GTV sei fehlerhaft. Zutreffend sei bereits nach den von der Arbeitgeberin in der Anhörung aufgeführten Tätigkeitsmerkmalen mindestens die Gehaltsgruppe 4 GTV. Aus einer Befragung der betroffenen Arbeitnehmerinnen und nach eigenen Kenntnissen ergäben sich zudem weitere Anforderungen der Tätigkeit, die in der Beschreibung der Tätigkeit durch die Arbeitgeberin fehlten und die ebenfalls einer Eingruppierung nach der Gehaltsgruppe 3 GTV entgegenstünden.

10Daraufhin hat die Arbeitgeberin im September 2008 das vorliegende Zustimmungsersetzungsverfahren eingeleitet. Sie hat die Ansicht vertreten, für das Tätigkeitsbild der Mitarbeiterinnen des Service-Centers sei eine Eingruppierung nach der Gehaltsgruppe 3 GTV zutreffend, hingegen seien die Merkmale der Gehaltsgruppe 4 GTV nicht erfüllt. Eine entsprechende abgeschlossene Berufsausbildung sei weder erforderlich noch gebe es sie, es handele sich nicht um einen Ausbildungsberuf. Die Tätigkeit könne nach Einarbeitung unter Verwendung des Leitfadens und mit einem gewissen Geschick im Umgang mit Menschen ausgeführt werden. Auch „weitere Fachkenntnisse“ im Sinne der tariflichen Vorgaben seien nicht notwendig. Die Arbeitnehmerinnen seien zudem nicht „überwiegend selbständig“ tätig, eigene Abwägungs- und Entscheidungsprozesse seien idR nicht erforderlich. Entgegen den Behauptungen des Betriebsrats falle eine Kundenberatung nicht an, es seien lediglich Aufträge und Wünsche von Kunden umzusetzen; weitere Tätigkeiten wie Gestaltung von Anzeigen kämen selten und zeitlich nur in minimalem Umfang vor. Reklamationen seien nur ausnahmsweise bei offensichtlicher Fehlerhaftigkeit selbst zu bearbeiten.

Die Arbeitgeberin hat zuletzt noch beantragt,

12Soweit für die Rechtsbeschwerde noch von Bedeutung, hat der Betriebsrat die Abweisung des Antrages der Arbeitgeberin beantragt. Er hat die Auffassung vertreten, die Arbeitgeberin werte die Arbeit der Arbeitnehmerinnen des Service-Centers tarifwidrig ab. Nach der Gehaltsgruppe 4 GTV müssten sie nur über „entsprechende“ Berufsausbildungen verfügen, nicht über „einschlägige“. Sämtliche betroffenen Arbeitnehmerinnen besäßen eine entsprechende abgeschlossene Berufsausbildung. Aus den Ausbildungsordnungen der von den Mitarbeiterinnen erlernten Berufe ergebe sich, dass diese sämtlich - bis auf den Beruf der Schriftsetzerin - die Kommunikation mit Kunden und häufig auch den Umgang mit Beschwerden und Reklamationen zum Inhalt hätten. Bei der Schriftsetzerin Frau Mo sei der Bereich Druckvorlagenherstellung, Satzherstellung und Druckformherstellung „entsprechend“.

13Auch die weiteren Tatbestandsmerkmale der Gehaltsgruppe 4 GTV seien erfüllt, die Tätigkeit erfordere weitere Fachkenntnisse und werde überwiegend selbständig ausgeführt, wobei Selbständigkeit bei vorwiegend einfacher Tätigkeit nicht gleichzusetzen sei mit Selbständigkeit bei qualifizierter Tätigkeit. Dass die in Gehaltsgruppe 4 GTV geforderten „weiteren Fachkenntnisse“ nach dem Wortlaut der Regelung mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung verknüpft seien, nicht jedoch für ungelernte Arbeitskräfte mit fünfjähriger Berufserfahrung anerkannt würden, scheine ein Redaktionsversehen zu sein. Es gebe keinen sachlichen Grund, Beschäftigte ohne abgeschlossene Berufsausbildung nicht zur Eingruppierung nach der Gehaltsgruppe 4 GTV zuzulassen. Vorliegend würden sämtliche Mitarbeiterinnen weitere Fachkenntnisse im Sinne der Gehaltsgruppe 4 GTV aufweisen, die über die jeweils individuelle Ausbildung hinausgingen.

14Das Arbeitsgericht hat dem Antrag der Arbeitgeberin in dem zuletzt gestellten Umfang stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde des Betriebsrats zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen. Mit seiner Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat die Aufhebung der Beschlüsse der Vorinstanzen, soweit die Zustimmung zur Eingruppierung der im Antrag zuletzt noch genannten Mitarbeiterinnen ersetzt worden ist und damit auch die Zurückweisung des Antrages der Arbeitgeberin. Die Arbeitgeberin beantragt, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

15B. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Zustimmung des Betriebsrats zu den von der Arbeitgeberin beabsichtigten Umgruppierungen nach der Gehaltsgruppe 3 GTV zu Recht ersetzt.

16I. Der Betriebsrat hat frist- und formgerecht seine Zustimmung zu der beabsichtigten Beurteilung verweigert.

17Dabei ist es ohne Bedeutung, ob der Beurteilungsakt eine Eingruppierung zum Gegenstand hat oder eine Umgruppierung (so auch  - zu B II 1 a der Gründe, AP BetrVG 1972 § 99 Eingruppierung Nr. 7 = EzA BetrVG 1972 § 99 Nr. 138). Nach erfolgter Veränderung im Entgeltschema steht dem Betriebsrat ein Mitbeurteilungsrecht über die zutreffende Einreihung der Tätigkeiten zu.

18Der Betriebsrat hat seine Zustimmung zu den beabsichtigten Umgruppierungen der betroffenen Arbeitnehmerinnen nach Unterrichtung durch die Arbeitgeberin, die - soweit nach den von den Beteiligten vorgelegten Unterlagen ersichtlich - ordnungsgemäß war, unter Angabe von Gründen in der vorgesehenen Form und innerhalb der durch Protokollnotiz zum Protokoll über die Sitzung der Tarifvertragsparteien am auf acht Wochen verlängerten Frist verweigert. Die Verlängerung der Frist des § 99 Abs. 3 Satz 1 BetrVG durch Tarifvertrag ist rechtlich möglich ( - BAGE 50, 55). Nichts anderes gilt bei der hier vorliegenden Vereinbarung der Tarifvertragsparteien in Form einer Protokollnotiz.

19II. Der nach § 99 Abs. 4 BetrVG gestellte Antrag der Arbeitgeberin auf Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats ist begründet. Dem Betriebsrat steht für seine Zustimmungsverweigerung keiner der in § 99 Abs. 2 BetrVG geregelten Gründe zur Seite. Insbesondere liegt kein Zustimmungsverweigerungsgrund nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG iVm. den Vorgaben der Gehaltsgruppe 4 GTV vor.

201. Die Umgruppierung der betroffenen Arbeitnehmerinnen richtet sich nach dem GTV, der nach dem übereinstimmenden Vortrag der Beteiligten für die im Betrieb der Arbeitgeberin beschäftigten Angestellten das maßgebende Entgeltschema ist.

2. Folgende Regelungen des GTV sind dafür von Bedeutung:

Die Gehaltstabelle zum GTV weist, soweit hier von Interesse, mit Wirkung vom folgende Gruppen aus:

233. Zutreffend ist das Landesarbeitsgericht mit dem Arbeitsgericht davon ausgegangen, dass die Tätigkeit der betroffenen Arbeitnehmerinnen nicht die Tatbestandsmerkmale der Gehaltsgruppe 4 GTV erfüllt.

24a) Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln (zu den Kriterien vgl. ua. - 4 AZR 180/00 - zu I 2 a der Gründe, BAGE 97, 271) und ist - wie auch die Auslegung von Gesetzen selbst - in der Revisionsinstanz in vollem Umfang nachzuprüfen (st. Rspr., zB  - Rn. 40, BAGE 124, 240).

25b) Nach § 3 Ziff. 5 GTV kommt es bei der tarifrechtlichen Gehaltsbestimmung auf die „überwiegende Tätigkeit“ an, falls die von den Arbeitnehmerinnen auszuübenden Tätigkeiten im Hinblick auf die Eingruppierung oder Umgruppierung von unterschiedlichem Wert sein sollten, sodass verschiedene Entgeltgruppen zutreffend wären. Vorliegend sind zehn der elf betroffenen Arbeitnehmerinnen im Service-Center der Arbeitgeberin überwiegend mit der Entgegennahme von Abonnentenanrufen befasst. Diese Tätigkeit macht bei zehn Mitarbeiterinnen 66 vH der Arbeitszeit aus. Auch bei Frau H füllt sie mit 53 vH noch den überwiegenden Teil der Arbeitszeit aus. Nur bei Frau M überwiegt die Erfassung von Online-Anzeigenaufträgen mit 66 vH der Arbeitszeit. Ob für die tarifliche Bewertung von diesen - überwiegenden - Teiltätigkeiten auszugehen ist, oder in zehn der elf Fälle von einer einheitlich zu bewertenden Gesamttätigkeit (vgl. ua.  - Rn. 40 mwN, ZTR 2011, 165), die in der Entgegennahme von Abonnentenanrufen, der Entgegennahme und Bearbeitung telefonischer und schriftlicher Anzeigenaufträge, der Erfassung von Online-Anzeigenaufträgen und der gelegentlichen und nur sehr kurzzeitigen Aushilfs- und Vertretungstätigkeit in der Schalterhalle besteht, kann offenbleiben. Denn bei keinem denkbaren zeitlichen Zuschnitt der Teil- oder Gesamttätigkeit besteht der vom Betriebsrat geltend gemachte Zustimmungsverweigerungsgrund; die Arbeitgeberin beabsichtigt keine gegen einen Tarifvertrag verstoßende Umgruppierung. Dies gilt ebenso, wenn auch aus teilweise anderen Gründen, für die Umgruppierung von Frau M.

26c) Die Tätigkeiten sämtlicher betroffener Arbeitnehmerinnen erfüllen nicht die Tatbestandsmerkmale der Gehaltsgruppe 4 GTV.

27Dabei kann unentschieden bleiben, ob die Arbeitnehmerinnen mit ihren teilweise weit von der aktuell ausgeübten Tätigkeit angesiedelten Berufsausbildungen das Erfordernis der „entsprechenden abgeschlossenen Berufsausbildung“ in der Gehaltsgruppe 4 GTV erfüllen. Verneinte man dies, käme man angesichts von § 4 GTV von vornherein als höchstmögliche Bewertung nur zu der von der Arbeitgeberin beabsichtigten Umgruppierung in Gehaltsgruppe 3 GTV. Dies kann ebenso dahinstehen wie die Frage, ob die Arbeitnehmerinnen ihre Tätigkeiten überwiegend selbständig ausüben. Selbst wenn man unterstellt, diese beiden Tatbestandsmerkmale der Gehaltsgruppe 4 GTV seien erfüllt, scheitert eine Umgruppierung in diese Gehaltsgruppe jedenfalls am Erfordernis der „weiteren“ Fachkenntnisse.

28aa) Für eine Umgruppierung in die Gehaltsgruppe 4 GTV kommen nach dem Wortlaut dieses Tätigkeitsmerkmales nur Angestellte in Betracht, die neben den eben als erfüllt unterstellten Voraussetzungen eine Tätigkeit ausüben, die „weitere“, also zusätzliche Fachkenntnisse erfordert. Gemeint sind damit Fachkenntnisse, die über die in einer „entsprechenden abgeschlossenen Berufsausbildung“ erworbenen Fachkenntnisse hinausgehen und für die erfolgreiche Erledigung der übertragenen Aufgaben erforderlich sind.

29(1) Das Wort „weitere“ stellt nach der Wortbedeutung einen inhaltlichen Bezug auf etwas „vorheriges“ her, über das es hinausgeht. Nach dem Satzbau ist das direkt Vorherige, an das durch das Wort „und“ angeknüpft wird, das Erfordernis einer „entsprechenden abgeschlossenen Berufsausbildung“. Diese ist in den aufeinander aufbauenden Gehaltsgruppen 2 bis 6 GTV das durchgehend enthaltene Tatbestandsmerkmal, konkretisiert und teilweise erweitert durch die Regelung in § 3 Ziff. 8 Buchst. b GTV. Hinzu kommen für die aufeinander aufbauenden Gehaltsgruppen jeweils unterschiedliche Heraushebungsmerkmale, darunter das der Erforderlichkeit weiterer Fachkenntnisse für das Ausüben der Tätigkeit in der Gehaltsgruppe 4 GTV. Dieses Heraushebungsmerkmal ist durch die Satzstellung und durch das verbindende Wort „und“ so zu verstehen, dass „weitere Fachkenntnisse“ solche sind, die als inhaltliche Steigerung über die in der so beschriebenen Berufsausbildung typischerweise erlangten Fachkenntnisse auch qualitativ hinausgehen, darauf aufbauen. Nach dem Wortlaut müssen diese zusätzlich zur beschriebenen Berufsausbildung vorhandenen Fachkenntnisse „erforderlich“ für das Ausführen der auszuübenden Tätigkeit sein, auf die es nach § 3 Ziff. 1 GTV für die Eingruppierung oder auch Umgruppierung ankommt.

30(2) Auch dann, wenn man den Bezugspunkt für die „weiteren Fachkenntnisse“ nicht innerhalb der Gehaltsgruppe 4 GTV sähe, sondern auf die Gehaltsgruppe 3 GTV abstellte, ergibt sich kein anderes Auslegungsergebnis. Denn auch dann wäre die „entsprechende abgeschlossene Berufsausbildung“ der Bezugspunkt der weiteren, zusätzlichen Fachkenntnisse. Dieses Berufsausbildungserfordernis wäre dann zwar durch die Regelung in § 4 GTV auch von sog. ungelernten Angestellten erfüllbar, jedoch nur nach Maßgabe längerer einschlägiger Berufserfahrung und mit einer überwiegend der Gehaltsgruppe entsprechenden Tätigkeit, sodass auch dann der mit der entsprechenden Berufsausbildung einhergehende Umfang an Fachkenntnissen Maßstab für die Erforderlichkeit weiterer Fachkenntnisse bliebe.

31(3) Der Betriebsrat bezieht sich, was das Tatbestandsmerkmal der „weiteren“ Fachkenntnisse angeht, auf die „jeweils individuelle Ausbildung“ der Arbeitnehmerinnen. Er nimmt damit offenbar den Standpunkt ein, es komme auf die „jeweils individuelle Ausbildung“ unabhängig von den Anforderungen der Tätigkeit an, von dort aus sei festzustellen, ob „weitere Fachkenntnisse“ erforderlich seien. Dies steht im Widerspruch zu dem von den Tarifvertragsparteien Gewollten. Das Ausbildungserfordernis der Gehaltsgruppen 2 bis 6 GTV ist weniger personen-, als vielmehr im Schwerpunkt tätigkeitsbezogen zu verstehen. Dies zeigt sich am Wortlaut der Gehaltsgruppen, die eine „entsprechende“ Berufsausbildung verlangen und damit an § 3 Ziff. 1 GTV anknüpfen, wonach für die Eingruppierung die Art der Tätigkeit maßgebend ist. Das Tarifvertragsverständnis des Betriebsrats führte zudem zu einem von den Tarifvertragsparteien mit Sicherheit nicht gewollten Ergebnis: Je weiter die „entsprechende“ Berufsausbildung von der aktuell ausgeübten Tätigkeit entfernt ist, umso eher wären für sie im Verständnis des Betriebsrats „weitere“ Fachkenntnisse erforderlich, die dann zu einer höheren Vergütung führen müssten, die diejenigen nicht erreichen könnten, die bereits innerhalb ihrer Berufsausbildung die für ihre ausgeübte Tätigkeit erforderlichen Fachkenntnisse erworben haben.

32(4) Um ein derartiges, nach den Vorgaben der Tarifvertragsparteien ausgeschlossenes Ergebnis zu vermeiden, sind die für den Tätigkeitsbereich einschlägigen oder ihm zumindest nahe kommenden Ausbildungsberufe als Maßstab dafür heranzuziehen, welche Fachkenntnisse als „weitere“ im tariflichen Sinne anzusehen sind. Ob sich daraus notwendig eine engere Sicht auf das gesondert festzustellende Merkmal der „entsprechenden abgeschlossenen Berufsausbildung“ in dem Sinne ergibt, dass nur einschlägige, nicht aber lediglich nützliche oder vorteilhafte Berufsausbildungen das Merkmal erfüllen können, was dem Zustimmungsverweigerungsgrund des Betriebsrats von vornherein die Grundlage entzöge, kann unentschieden bleiben. Als Bezugspunkt für die „weiteren Fachkenntnisse“ reichen solche Berufsausbildungen jedenfalls nicht aus.

33Als Maßstab sind vielmehr die Ausbildungen als „Servicefachkraft für Dialogmarketing“, als „Fachkaufmann/-frau für Teleservice“ und ggf. als „Call-Center-Agent/in“ heranzuziehen. Sie stehen den von den Arbeitnehmerinnen überwiegend ausgeübten Tätigkeiten im Call-Center und in der telefonischen und internetbezogenen Kundenbetreuung eines Zeitungsverlags am nächsten, die sich aus der Entgegennahme von Abonnentenanrufen, der Entgegennahme und Bearbeitung telefonischer und schriftlicher Anzeigenaufträge, der Erfassung von Online-Anzeigenaufträgen und der nur gelegentlichen und sehr kurzfristigen Aushilfs- und Vertretungstätigkeit in der Schalterhalle zusammensetzen.

34(a) Als weitgehend entsprechende abgeschlossene Berufsausbildung für diesen Tätigkeitsbereich ist zunächst der seit dem anerkannte Ausbildungsberuf „Servicefachkraft für Dialogmarketing“ (vgl. zB Bekanntmachung des Verzeichnisses der anerkannten Ausbildungsberufe und des Verzeichnisses der zuständigen Stellen vom , BAnz. Nr. 84a vom S. 134) heranzuziehen. Dieser Ausbildungsberuf erfordert eine zweijährige Ausbildung, die nach dem Berufsbildungsgesetz (BBiG) geregelt ist (Bundesagentur für Arbeit www.berufenet.arbeitsagentur.de Steckbrief „Servicefachkraft für Dialogmarketing“ zB Stand ). Servicefachkräfte für Dialogmarketing kommunizieren und korrespondieren in Call-Centern oder Kunden- und Service-Centern größerer Industrie-, Handels- und Dienstleistungsunternehmen mit Auftraggebern und Kunden. Sie verkaufen Produkte oder Dienstleistungen und bearbeiten Anfragen, Aufträge oder Reklamationen. Dabei telefonieren sie, schreiben E-Mails und pflegen die Kundendatenbank. Im Outbound nehmen sie selbst Kontakt zu potenziellen Kunden auf (aaO).

35(b) Ein Bezugspunkt ist aufgrund der Regelung in § 3 Ziff. 8 Buchst. b GTV auch der Ausbildungsberuf „Fachkaufmann/-frau für Teleservice“ als zweijähriger, landesrechtlich geregelter Bildungsgang an Fachoberschulen (Bundesagentur für Arbeit www.berufenet.arbeitsagentur.de Steckbrief „Fachkaufmann/-frau für Teleservice“ zB Stand ). Fachkaufleute für Teleservice arbeiten hauptsächlich in Tele-Service-Centern oder Call-Centern und sind mithilfe von Telekommunikationsmitteln wie Telefon und Internet beispielsweise in der telefonischen Kundengewinnung und -betreuung, im Telefonmarketing, in der Marktforschung und im Beschwerdemanagement tätig. Sie organisieren zudem den E-Mail-Verkehr, arbeiten mit Textverarbeitungsprogrammen und erstellen bzw. pflegen Kundendatenbanken (aaO).

36(c) Schließlich kann der schulische Aus-/Weiterbildungsberuf „Call-Center-Agent/in“ Ausgangspunkt für die Frage nach der Erforderlichkeit „weiterer Fachkenntnisse“ sein. Er wird, teilweise nach abgeschlossener Berufsausbildung und/oder mehrjähriger Berufserfahrung, in 2 bis 12 monatigen Lehrgängen bei privaten Bildungsträgern oder Industrie- und Handelskammern erlernt (Bundesagentur für Arbeit www.berufenet.arbeitsagentur.de Steckbrief „Call-Center-Agent/in“ zB Stand ).

37bb) Die den Arbeitnehmerinnen von der Arbeitgeberin übertragenen Tätigkeiten im Call-Center und in der telefonischen und internetbezogenen Kundenbetreuung, insbesondere die der Entgegennahme von Abonnentenanrufen, der Entgegennahme und Bearbeitung telefonischer und schriftlicher Anzeigenaufträge und der Erfassung von Online-Anzeigenaufträgen gehen ersichtlich nicht über das hinaus, was für eine Tätigkeit im Rahmen der genannten Ausbildungen von zweijähriger Dauer als Servicefachkraft für Dialogmarketing und als Fachkaufmann/-frau für Teleservice prägend ist. Gemeinsam ist ihnen, dass in Call-Centern oder Kunden- und Service-Centern telefonisch oder elektronisch mit Kunden kommuniziert und korrespondiert wird und dass die damit zusammenhängenden Daten verarbeitet werden. Insoweit ist für die Tätigkeit der Arbeitnehmerinnen nicht ersichtlich, welche weiteren, darüber hinausgehenden Fachkenntnisse erforderlich sein sollten. Ähnliches gilt für die vom Betriebsrat angesprochene Anforderung des Umgangs mit Beschwerden und Reklamationen.

38Dass die Arbeitnehmerinnen ihre Tätigkeit im Rahmen des Verlagsgeschäftes der Arbeitgeberin auszuüben haben, führt schon deshalb nicht zum Erfordernis „weiterer Fachkenntnisse“, weil es hier nicht um über die angesprochenen Berufsbilder hinausgehende, auf ihnen aufbauende Fachkenntnisse geht, sondern nur um Konkretisierung der Fachkenntnisse auf den tatsächlichen Einsatzbereich, der von jedem der in den genannten Bereichen Ausgebildeten verlangt wird, wenn die Kenntnisse im praktischen Berufsleben, also „vor Ort“, eingesetzt werden.

39cc) Dafür, dass aufgrund anderer Tätigkeitsaspekte weitere Fachkenntnisse iSd. Gehaltsgruppe 4 GTV erforderlich wären, ist ebenfalls nichts ersichtlich.

40(1) Soweit die Tätigkeit in der Schalterhalle angesprochen wird, ist jedenfalls bei zehn der elf Arbeitnehmerinnen, also mit Ausnahme der Arbeitnehmerin H, schon nach den mitgeteilten Zeitanteilen, in denen sie anfallen, eine eingruppierungsrechtliche Relevanz ausgeschlossen unabhängig davon, ob man bei diesen Arbeitnehmerinnen von einer zu bewertenden Gesamttätigkeit oder von Teiltätigkeiten ausgeht.

41(2) Bei Frau H handelt es sich bei der Tätigkeit in der Schalterhalle demgegenüber um eine Teiltätigkeit, die gesondert zu bewerten ist, weil sie nicht nur ganz kurzzeitig und in seltenen Aushilfs- und Vertretungszeiten anfällt, sondern mit einem Anteil von 20 % der Gesamtarbeitszeit die gesamte Tätigkeit mitprägt. Sie unterscheidet sich nach der Art der Tätigkeit und den hier erwarteten Arbeitsergebnissen von dem, was in einem Call- und Servicecenter zu leisten ist. Für die Tätigkeit in der Schalterhalle mit unmittelbarem Kundenkontakt ist deshalb auch eine andere „entsprechende Berufsausbildung“ Maßstab gebend, als bei den übrigen Tätigkeiten, die Frau H und ihre Kolleginnen zu verrichten haben. Ist die Tätigkeit von Frau H in der Schalterhalle hiernach eine tariflich gesondert zu bewertende Teiltätigkeit, kommt es auf sie für deren zutreffende Umgruppierung nicht an, weil sie nicht die „überwiegende Tätigkeit“ ist (§ 3 Ziff. 5 GTV).

42(3) Nichts anderes ergibt sich im Hinblick auf die Einwände des Betriebsrats, was die teilweise erforderliche Kundenberatung in Form von Hilfe bei der Anzeigengestaltung angeht. Es kann unterstellt werden, dass es solcher Tätigkeiten auch bedarf. Dies ändert jedoch nichts daran, dass eine Umgruppierung in die Gehaltsgruppe 4 GTV nicht tariflich geboten ist. Es steht außer Streit, dass die genannten Tätigkeiten selten sind und nur wenig Arbeitszeit einnehmen. Sie sind deshalb für die tarifliche Bewertung der Tätigkeiten der Arbeitnehmerinnen ohne rechtliche Bedeutung.

4. Nach alledem haben die Vorinstanzen die Zustimmung des Betriebsrats zur Umgruppierung der Arbeitnehmerinnen in die Gehaltsgruppe 3 GTV zu Recht ersetzt. Da eine Umgruppierung in die Gehaltsgruppe 4 GTV ausscheidet und beide Beteiligte keinen Zweifel haben, dass jedenfalls nicht niedriger als in die Gehaltsgruppe 3 GTV umzugruppieren ist, bedarf dies keiner vertieften Begründung. Eine summarische Prüfung ergibt die Richtigkeit der beabsichtigten Umgruppierung.

Fundstelle(n):
BB 2011 S. 2740 Nr. 44
NAAAD-93658