Einbehalt von Sozialversicherungsbeiträgen - landesrechtlich geregelter Übergang von Arbeitsverhältnissen
Gesetze: § 362 Abs 1 BGB, § 613a Abs 1 S 1 BGB, § 4 Abs 1 LBSG SH, Art 3 Abs 1 UAbs 1 EGRL 23/2001
Instanzenzug: Az: öD 4 Ca 2169 b/08 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Az: 4 Sa 117/09 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten über einbehaltene Arbeitnehmeranteile zum Rentenversicherungsbeitrag.
2Die beklagte Aktiengesellschaft ist aufgrund Verschmelzung im Laufe des Verfahrens Rechtsnachfolgerin der Landesbausparkasse Schleswig-Holstein AG geworden. Der 1943 geborene Kläger war seit 1972 bei der Landesbank Schleswig-Holstein, einer Anstalt des öffentlichen Rechts, beschäftigt und dort im „Zentralbereich Bausparkasse“ tätig. Seine betriebliche Altersversorgung regelte sich seit dem Jahre 1984 ohne inhaltliche Änderungen durch Dienstvereinbarung, zuletzt durch die „Dienstvereinbarung Nr. 1“ vom . Danach stand dem Kläger eine Gesamtversorgung iHv. 75 % des zuletzt bezogenen Gehalts zu, auf die ua. Renten, die er aufgrund nicht ausschließlich eigener Leistung von der Sozialversicherung erhält, anzurechnen sind.
3Nach dem durch das Rentenreformgesetz 1992 mit Wirkung zum eingeführten § 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI sind in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungsfrei Beschäftigte von Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen des öffentlichen Rechts, denen nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen eine Anwartschaft auf Versorgung bei verminderter Erwerbsfähigkeit und im Alter sowie auf Hinterbliebenenversorgung gewährleistet ist, wenn die Erfüllung der Gewährleistung gesichert ist. Das Gesetz verlangt ferner, dass bei der Landesaufsicht unterliegenden Rechtsträgern das Vorliegen der Voraussetzungen von der zuständigen Landesbehörde bestätigt wird. Soweit Personen am noch versicherungspflichtig waren, ist nach § 230 Abs. 2 Satz 2 SGB VI ein entsprechender Antrag zu stellen.
Die Landesbank machte von dieser Möglichkeit zunächst keinen Gebrauch, jedoch wurde seit 1994 der Gesamtpersonalrat initiativ. Der Vorstand der Landesbank beschloss deshalb am , für die der einschlägigen Dienstvereinbarung unterliegenden Beschäftigten mit deren Zustimmung einen Antrag auf Befreiung von der Sozialversicherung zu stellen, soweit bestimmte - beim Kläger vorliegende - Voraussetzungen erfüllt waren. Bei Versicherungsfreiheit erhöhen sich die vom Arbeitgeber zu zahlenden Renten im Rahmen der Gesamtversorgung wegen der geringeren Ansprüche auf gesetzliche Rente. Die betroffenen Arbeitnehmer wurden durch ein Merkblatt sowie ein Anschreiben unterrichtet. Darin war klargestellt, dass mit einem vom Mitarbeiter und der Bank gemeinsam zu stellenden Antrag bei der Sozialversicherung die Voraussetzungen der Versicherungsfreiheit erfüllt sind. Ferner heißt es in dem Anschreiben an die betroffenen Arbeitnehmer:
5Antragsgemäß wurde der Kläger von der Pflichtversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit.
Durch Gesetz vom wurde die Landesbank Schleswig-Holstein Girozentrale neu strukturiert. Art. 4 dieses Gesetzes enthält das „Gesetz über die Ausgliederung der Landes-Bausparkasse Schleswig-Holstein aus dem Vermögen der Landesbank Schleswig-Holstein Girozentrale“ (LBSG). Nach dessen § 1 Abs. 1 wird „die als rechtlich unselbständiger Zentralbereich der Landesbank Schleswig-Holstein Girozentrale betriebene Landes-Bausparkasse Schleswig-Holstein (LBS) (…) aus dem Vermögen der Landesbank Schleswig-Holstein Girozentrale ausgegliedert und auf eine dadurch gegründete Aktiengesellschaft übertragen“. Die Wahl der Rechtsform der Aktiengesellschaft erfolgte auf Betreiben des Vorstands und der Eigentümer der Landesbank. Den Übergang der Arbeitsverhältnisse regelt § 4 Abs. 1 LBSG wie folgt:
7Seit dem behielten die Landesbausparkasse Schleswig-Holstein AG und später die Beklagte den Arbeitnehmeranteil der Rentenversicherungsbeiträge vom Bruttoentgelt des Klägers (wieder) ein und führten ihn ab.
8Mit seiner am eingereichten und mit Schriftsatz vom erweiterten Klage hat der Kläger zunächst Ersatz des Schadens geltend gemacht, der ihm seit dem bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand im Jahre 2006 dadurch entstanden sei, dass sein Bruttogehalt mit Arbeitnehmerbeiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung belastet wurde. Er hat dazu die Auffassung vertreten, die Landesbank habe eine Gesamtzusage erteilt, ihn von der Rentenversicherungspflicht zu befreien. Aufgrund einer Entscheidung der Landesbank sei die Landesbausparkasse Schleswig-Holstein in eine Aktiengesellschaft umgewandelt worden. Deshalb sei die Erfüllung der Gesamtzusage unmöglich, was von der Landesbank Schleswig-Holstein zu vertreten sei. Dafür habe die Beklagte als Rechtsnachfolgerin einzustehen.
9Nachdem das Bundesarbeitsgericht in gleichgelagerten Parallelverfahren einen Schadensersatzanspruch verneinte ( - 3 AZR 172/07 - AP ZPO § 253 Nr. 48 sowie - 3 AZR 623/06 - und - 3 AZR 1059/06 -), hat der Kläger einen Erfüllungsanspruch geltend gemacht und die Auffassung vertreten, § 4 Abs. 1 LBSG verpflichte die Beklagte, ihn so zu stellen, als wäre die innerbetriebliche Handhabung zur Gewährleistung der gesetzlichen Sozialversicherungsfreiheit weiter möglich gewesen. Die Minderung seines Nettoeinkommens stehe im Widerspruch zum Ziel des § 4 Abs. 1 LBSG, den Inhalt des Arbeitsverhältnisses unverändert zu erhalten.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
11Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, der Kläger habe keine von den gesetzlichen Befreiungsvoraussetzungen unabhängige Rechtsposition erworben, insbesondere keinen Anspruch auf Erhöhung der Nettovergütung um den Arbeitnehmeranteil zur gesetzlichen Rentenversicherung.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.
Gründe
13Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts zu Recht zurückgewiesen. Die Klage ist unbegründet.
14I. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung weiterer Vergütung in Höhe der im streitgegenständlichen Zeitraum von seinem Bruttoentgelt einbehaltenen Arbeitnehmeranteile zum Rentenversicherungsbeitrag. Die Beklagte und ihre Rechtsvorgängerin haben den Vergütungsanspruch des Klägers erfüllt (§ 362 Abs. 1 BGB).
151. Die Beklagte kann dem Entgeltanspruch des Klägers den besonderen Erfüllungseinwand der Einbehaltung und Abführung von Rentenversicherungsbeiträgen entgegenhalten.
16Der Arbeitgeber ist verpflichtet, den Gesamtsozialversicherungsbeitrag (§ 28d SGB IV) an die Einzugsstelle zu zahlen. Er hat gemäß § 28g Satz 1 und Satz 2 SGB IV gegen den Arbeitnehmer einen Anspruch auf den vom Beschäftigten zu tragenden Teil des Gesamtsozialversicherungsbeitrags, den er ausschließlich im Wege des Abzugs vom Arbeitsentgelt geltend machen kann. Mit dem Abzug und der Abführung von Lohnbestandteilen erfüllt der Arbeitgeber seine Zahlungspflicht gegenüber dem Arbeitnehmer (BAG GS - GS 1/00 - zu III 1 b der Gründe mwN, BAGE 97, 150). Die Abführung begründet einen besonderen Erfüllungseinwand, ohne dass es einer Aufrechnung bedürfte ( - Rn. 18, BAGE 126, 325). Soweit die Abführung vor der Verschmelzung durch die vormalige Arbeitgeberin des Klägers, der Landesbausparkasse Schleswig-Holstein AG, erfolgte, kann die Beklagte den besonderen Erfüllungseinwand nach § 324 UmwG iVm. § 613a Abs. 1 BGB erheben.
17Dass der Kläger ab dem (wieder) versicherungspflichtig in der gesetzlichen Rentenversicherung war, stellt er selbst nicht in Abrede.
182. § 4 Abs. 1 LBSG begründet keinen Vergütungsanspruch in Höhe der im streitgegenständlichen Zeitraum einbehaltenen Arbeitnehmeranteile zum Rentenversicherungsbeitrag.
19a) Nach § 4 Abs. 1 LBSG ist das Arbeitsverhältnis des Klägers „mit allen Rechten und Pflichten“ auf die Landesbausparkasse Schleswig-Holstein AG übergegangen. Die Norm ist § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB nachgebildet, der für den Betriebsübergang durch Rechtsgeschäft formuliert, der neue Inhaber trete in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ein. Der Gesetzesbegriff „Rechte und Pflichten“ umfasst dabei die durch den Arbeitsvertrag selbst oder die arbeitsvertraglich in Bezug genommenen Tarifwerke gestalteten Arbeitsbedingungen (ErfK/Preis 11. Aufl. § 613a BGB Rn. 66 mwN). Wie § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB gewährt § 4 Abs. 1 LBSG einen Inhaltsschutz und will verhindern, dass allein der Übergang der Arbeitsverhältnisse kraft Gesetzes zum Anlass eines Abbaus der erworbenen Besitzstände der Arbeitnehmer genommen werde (zu § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB vgl. - Rn. 15, BAGE 124, 345; - 8 AZR 397/06 - BAGE 121, 273).
20b) Der Kläger hatte vor dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses nach § 4 Abs. 1 LBSG gegen seine frühere Arbeitgeberin keinen Anspruch erworben, nicht mit dem Arbeitnehmeranteil zum gesetzlichen Rentenversicherungsbeitrag belastet zu werden. Das Landesarbeitsgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, die Landesbank Schleswig-Holstein als vormalige Arbeitgeberin des Klägers habe sich nur dazu bereit erklärt, die seinerzeit bestehende gesetzliche Möglichkeit zur Befreiung von der Rentenversicherung auszuschöpfen. Sie hat in dem Anschreiben an die betroffenen Arbeitnehmer ausdrücklich darauf hingewiesen, sie werde keine Rentenversicherungsbeiträge mehr abführen, „solange dafür die Voraussetzungen vorliegen“. Eine Willenserklärung in Form einer Gesamtzusage (zum Begriff der Gesamtzusage und deren Voraussetzungen vgl. - Rn. 17 f., ZTR 2011, 225), unabhängig von der Versicherungsfreiheit des Klägers in der gesetzlichen Rentenversicherung dessen Arbeitnehmeranteil zum Rentenversicherungsbeitrag übernehmen zu wollen, lässt sich dem nicht entnehmen. Die vormalige Arbeitgeberin hat lediglich im Rahmen der sozialversicherungsrechtlichen Vorgaben daran mitgewirkt, dass der Kläger die Vorteile der vom Gesetzgeber zum eröffneten Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen Rentenversicherung in Anspruch nehmen konnte.
213. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom (ABl. EG L 82 vom S. 16) zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen, wobei dahingestellt bleiben kann, ob diese auf den Übergang eines Arbeitsverhältnisses kraft Gesetzes überhaupt anwendbar ist (vgl. dazu - [UGT-FSP] Rn. 25 mwN, EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2001/23 Nr. 4).
22Nach Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom (ABl. EG L 82 vom S. 16) gehen die Rechte und Pflichten des Veräußerers aus einem zum Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsvertrag oder Arbeitsverhältnis aufgrund des Übergangs auf den Erwerber über. Dazu hat der Gerichtshof wiederholt entschieden, dass die Richtlinie 2001/23/EG die Wahrung der Ansprüche der Arbeitnehmer bei einem Wechsel des Inhabers des Unternehmens dadurch gewährleisten soll, dass sie ihnen die Möglichkeit gibt, ihr Beschäftigungsverhältnis mit dem neuen Arbeitgeber zu eben den Bedingungen fortzusetzen, die mit dem Veräußerer vereinbart waren. Die Richtlinie solle soweit wie möglich die Fortsetzung des Arbeitsvertrags oder des Arbeitsverhältnisses mit dem Erwerber in unveränderter Form gewährleisten, um eine Verschlechterung der Lage der betroffenen Arbeitnehmer allein aufgrund des Übergangs zu verhindern ( - [Juuri] Rn. 28, Slg. 2008, I-8907; - C-386/09 - [Briot] Rn. 26, jeweils mwN).
23Der Kläger hatte vor dem gesetzlichen Übergang seines Arbeitsverhältnisses gegen seine vormalige Arbeitgeberin keinen Anspruch erworben, nicht mit dem Arbeitnehmeranteil zur gesetzlichen Rentenversicherung belastet zu werden (so. I 2 b). Seine Lage hat sich allein durch den Übergang seines Arbeitsverhältnisses nicht verschlechtert.
244. Die finanziellen Nachteile des Klägers resultieren ausschließlich daraus, dass in Folge der Privatisierung seiner Arbeitgeberin die Voraussetzungen für eine Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht mehr vorlagen und er wieder - wie schon in den Jahren 1972 bis 1996 - versicherungspflichtig wurde. Ob die Privatisierung eines öffentlichen Arbeitgebers einen Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers begründen kann (verneinend jedenfalls für die streitgegenständliche Privatisierung - AP ZPO § 253 Nr. 48), braucht der Senat nicht zu entscheiden. Auf Schadensersatz stützt der Kläger seine Klage nicht mehr.
II. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.
Fundstelle(n):
DB 2011 S. 1925 Nr. 34
BAAAD-85951